Die deutsche Bundesregierung lässt in Sachen Totalüberwachung nicht locker: Innenminister Alexander Dobrindt plant ein neues «Sicherheitspaket». Dies geht aus zwei Gesetzentwürfen «zur Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit» hervor, die Netzpolitik.org am Mittwoch geleakt hat. Der Vorstoß wird vom Mainstream bisher weitgehend ignoriert.
Gemäß den Referenten-Entwürfen geht es um biometrische Überwachung im Internet in Kombination mit massiver Datensammlung und -auswertung durch künstliche Intelligenz (KI). Wegen einer «hohen abstrakten Bedrohungslage» soll die Polizei zum Beispiel mit Tools wie Clearview massenhaft und anlasslos Fotos im Internet durchsuchen und riesige Datenbanken mit Gesichtsfotos anlegen dürfen.
Biometrische Daten sind neben Fotos aber auch andere Merkmale wie Bewegungs-, Handlungs- oder Sprechmuster. Derartige Sammlungen seien nach Einschätzungen vieler Datenschützer illegal, schreibt Netzpolitik.org.
Big Data und KI sollten künftig verschiedene Datenbestände technisch zusammenführen und automatisiert analysieren, so das Portal. Dadurch könne die Polizei «Verbindungen zwischen Taten, Personen, Orten sowie anderen Anknüpfungspunkten finden» und sogar «neues Wissen erzeugen». Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht automatisierte Datenanalysen für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten bereits 2023 als verfassungswidrig beurteilt.
An dieser Stelle drängt sich der Name «Palantir» auf. Denn genau solche Analysen sind die Arbeit der Überwachungssoftware Gotham dieses US-Konzerns, der dem Multimilliardär Peter Thiel gehört. Und dieser hat beste Beziehungen zu Geheimdiensten. Palantirs Big Data-Software wird bereits in Nordrhein-Westfalen und Bayern eingesetzt. In beiden Fällen sind Verfassungsbeschwerden wegen der automatisierten Massenanalyse von Personendaten anhängig.
Wenn ein Thema erstmal auf der Agenda ist ...
Dobrindts aktuelle Initiative setzt einerseits Vereinbarungen des Koalitionsvertrags um, wonach die Sicherheitsbehörden «automatsierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels Künstlicher Intelligenz» vornehmen können sollen.
Andererseits knüpft sie an eine Reihe früherer Versuche an, die Befugnisse und den Werkzeugkasten der Sicherheitsorgane deutlich zu erweitern. Auf Bundesebene war das zuletzt das «Sicherheitspaket» der «Ampel». Dies hatte der Bundestag im Oktober 2024 zwar verabschiedet, es scheiterte jedoch anschließend im Bundesrat.
Auf Landesebene gesellt sich zu den Überwachungsfans Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und Bayern nun auch Niedersachsen. Hier plant die rot-grüne Regierung gerade ein neues Polizeigesetz «zur Verhinderung von Straftaten», wie die Hannoversche Allgemeine (HAZ) berichtete. Der Entwurf hat demnach deutliche Ähnlichkeit mit dem «Sicherheitspaket» des Bundes.
Der niedersächsische Gesetzesentwurf lasse Schlimmes befürchten, kommentiert Erik Tuchtfeld vom Zentrum für Digitalen Fortschritt D64. Laut HAZ soll die Polizei weitreichende neue Befugnisse zum Einsatz intelligenter Videoüberwachung, biometrischer Echtzeit-Identifizierung auf öffentlichen Plätzen sowie der biometrischen Auswertung des Internets erhalten.
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) habe dementiert, es könne womöglich auch hier Palantir-Software zum Einsatz kommen – es gebe «keinerlei Planungen» dafür und das sei eine andere Frage. Der niedersächsischen CDU gingen die Vorschläge der Regierung derweil nicht weit genug, so die HAZ. Die Hürden für den Einsatz künstlicher Intelligenz dürften nicht zu hoch liegen. Die Zeitung selber fragt, warum die Polizei so lange auf eine KI-Software warten müsse.
Das aktuelle «Sicherheitspaket» von Minister Dobrindt dürfte ähnlich kritisiert werden wie das der Vorgängerkoalition, befindet Netzpolitik.org. Oliver Süme vom Verband der Internetwirtschaft «eco» forderte die Bundesregierung auf, den aktuellen Entwurf nicht ins parlamentarische Verfahren einzubringen. Angesichts der Pläne warnte er:
«Sicherheit darf nicht zu Lasten von Freiheit und Grundrechten gehen. Ermittlungsarbeit braucht rechtsstaatliche Grenzen, nicht anlasslose Massenüberwachung. Der Einsatz von KI muss gesetzlich klar begrenzt, transparent und kontrollierbar bleiben. Eine biometrische Vollerfassung im Netz ist grundrechtswidrig. (...)
Es braucht eine ernsthafte politische und gesellschaftliche Debatte über die Frage, wie neue Technologien in Einklang mit unserer Verfassung und den Werten einer freien, digitalen Gesellschaft gestaltet werden können.»