«Orchid Health, deren Motto ‹Gesunde Babys haben› lautet, ist das Startup-Unternehmen, das für die Entwicklung und Vermarktung des ersten kommerziell verfügbaren Embryotests mit vollständiger Genomsequenzierung in fast drei Dutzend Kinderwunschzentren in den Vereinigten Staaten verantwortlich ist.»
Dies berichtet The Federalist. Das in San Francisco ansässige Unternehmen behauptet, eine Technologie entwickelt zu haben, die in der Lage sei, mehr als 99 Prozent der DNA eines Embryos zu sequenzieren und so eine enorme Bandbreite an potenziellen Störungen, Krankheitsanfälligkeiten und Geburtsfehlern zu erkennen.
«Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die nur ein schmales Feld genetischer Informationen untersuchen, die mit Krebs und anderen Krankheiten in Verbindung stehen, sequenziert Orchid das gesamte Genom von Embryonen – für stolze 2.500 Dollar pro untersuchtem Embryo – und hat bereits damit begonnen, dies für eine geheime Kundenliste zu tun.»
Das schreibt Neoscope. Orchid Health macht sich die künstliche Fortpflanzungstechnologie der In-vitro-Fertilisation, kurz IVF, bei der die Befruchtung nicht im Körper der Frau, sondern «künstlich» im Labor stattfindet, zunutze. Dabei werden dann die multiplen Embryonen der Kunden mittels «genetischer Präimplantationstests» auf jegliche Art von Defekten untersucht, damit nur die «perfekten» Embryonen den «Ausleseprozess» überleben.
«Ich glaube, dass im Grunde genommen Sex Spaß macht und Embryoscreening für Babys ist. Ich denke, es wird als verrückt betrachtet werden, nicht auf diese Dinge zu testen», wird die Gründerin des Unternehmens, Noor Siddiqui, zitiert.
Siddiqui, eine ehemalige Thiel-Stipendiatin, sei der festen Überzeugung, so The Federalist, dass alle Kinder, die geboren werden, einer genetischen Untersuchung unterzogen werden sollten. Diese biete ihr Unternehmen jetzt an.
Sie möchte den Eltern eine «Superkraft geben, die sie nie zuvor hatten», und es ihnen ermöglichen, «das Würfeln zu vermeiden (...) und Pech zu haben». Siddiqui erklärt weiter:
«Zum ersten Mal können Eltern sicher sein, dass die Genetik ihres Kindes nicht gegen sie arbeitet. Ich denke, dass dies das Potenzial hat, die Reproduktion völlig neu zu definieren.»
Genomische Tests wie von Orchid werben dafür, «mikroskopisch kleine Geschwister in einer biologischen Schlacht gegeneinander antreten zu lassen», so The Federalist.
«Der Gewinner kuschelt sich in eine Gebärmutter, hoffentlich die seiner biologischen Mutter und nicht die einer Leihmutter, und hat das Privileg, geboren zu werden und aufzuwachsen. Die Verlierer werden in der Zeit eingefroren, verzögert oder ganz von der Einpflanzung ausgeschlossen, basierend auf einer Berichtskarte mit Was-wäre-wenn.»
Wired interviewte Siddiqui im April und wählte dazu folgende Schlagzeile: «Diese Frau wird entscheiden, welche Babys geboren werden.»
In dem Interview besteht die 1994 geborene Siddiqui darauf, dass die von ihr ermöglichte Praxis nicht auf Eugenik hinauslaufe. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich «von guter Abstammung». Die Eugenik beschäftigt sich demnach mit Einflüssen, welche die angeborenen Eigenschaften (des Menschen) verbessern. Insbesondere in Deutschland schwingt bei diesem Begriff die nationalsozialistische «Rassenhygiene» mit.
In dem vieldiskutierten Interview mit Wired spricht Siddiqui ausführlich darüber, wie mit dem Screening der Genome von Embryonen erreicht werden kann, dass Menschen weniger leider. Doch als der Interviewer Jason Kehe sie nach der Entstehungsgeschichte ihres Unternehmens fragt, beginnt es zu knistern.
Er spricht dabei nämlich an, dass bei ihrer Mutter Retinitis pigmentosa diagnostiziert worden und sie die aufgrund dieser Krankheit seit einiger Zeit recht blind sei. Kehe:
«Das ist ja einer der Gründe, warum Sie Orchid gegründet haben. Aber immer, wenn ich über diese Geschichte nachdenke, denke ich: Wenn es die Orchid-Technologie damals schon gegeben hätte, und wenn die [bei der In-Vitro-Fertilisation entstandenen] Embryonen ... untersucht worden wären, und wenn die Eltern Ihrer Mutter – Ihre Großeltern – nicht gewollt hätten, dass ihr Kind mit Retinitis pigmentosa aufwächst, und wenn sie deshalb einen anderen Embryo ausgewählt und ein anderes Kind bekommen hätten, dann gäbe es Sie – die zukünftige Tochter des verworfenen Embryos – nicht. Oder? Haben Sie darüber nachgedacht? Ergeben diese Gedanken für Sie Sinn?»
Darauf antwortet Siddiqui:
«Ich kann es irgendwie nachvollziehen, aber irgendwie auch nicht. Ich meine, ich merze meine Mutter nicht aus.»
«Aber rückwirkend betrachtet gibt es eine Welt, in der Sie sie gewissermaßen gelöscht hätten», erwidert Kehe.
Daraufhin sagt die in Stanford ausgebildete Startup-Gründerin: «Ich schätze ja, aber – so denke ich darüber – hätte ich eine Mutter, aber meine Mutter hätte nicht so gelitten, wie sie es tat. Meine Mutter hätte nicht blind werden müssen. Ich hätte sie nicht darunter leiden sehen müssen.»
«Du hättest sie nicht leiden sehen müssen», entgegnet Kehe, «denn – auch wenn ich hier keine Schallplatte mit Sprung sein will – du würdest nicht existieren».
Siddiqui daraufhin: «Es wäre eine andere Version von mir.»
Dieser durchaus komplexe und eindeutig emotionale Austausch offenbart, wie unterschiedlich die Weltanschauungen sein können – und wie sich die genetische Selektion als Verbraucherdienstleistung unbemerkt in die Gesellschaft einzuschleichen scheint.
Neben der Frage, die auch Kehr in den Raum wirft, nämlich ob die Technologie von Siddiqui dazu führt, dass wir Menschen gewissermaßen Gott respektive Göttin spielen, sollte derweil auch ein weitere Frage gestattet sein: Wie viele Krankheiten könnten überhaupt durch die Anwendung dieser Technologie dingfest gemacht werden?
Ist uns zum Beispiel Krebs oder ist uns Retinitis pigmentosa oder die Veranlagung zu dieser Art von Leiden wirklich in die Wiege gelegt?
Fakt ist, dass uns diese Vorstellung von der Verantwortung für die eigene Gesundheit entbindet. Und Fakt ist auch, dass uns Faktoren wie Ernährung, Bewegung, psychisches Wohlbefinden und Industriegifte schwer krank machen können.
Die Dinge sind also oftmals komplexer als wir auf den ersten Blick meinen. Und genau so sollten wir vielleicht auch auf die Embryotests von Orchid schauen: Die Technologie ist vorhanden und damit nicht mehr aus der Welt zu schaffen – gehen wir also verantwortungsvoll mit ihr um, ohne sie per se als Teufelswerk zu verdammen oder als Gotteswerkzeug zur Erlangung ewiger Gesundheit in den Himmel zu heben.
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare