«Sehen Sie die Vögel da oben aufgereiht, die holen sich nun das Gebäude», sagt die 71-jährige Margaretha kopfschüttelnd. Sie zeigt auf die ehemalige Filiale der Kaufhauskette Galeria-Kaufhof in Wuppertal. «Erst vor einigen Wochen haben die geschlossen. Doch es scheint, als wäre es schon ewig vorbei. Dieser Österreicher René Benko musste dreimal Insolvenz anmelden.» Dabei handelt es sich hier nicht nur um irgendeine Filiale, sondern um das erste Warenhaus Tietz in Elberfeld, dem Zentrum der Stadt in Nordrhein-Westfalen.
Fassade Galeria-Kaufhof, ehemals Tietz, in Wuppertal (Foto: Antonulas)
«Tempel der Kauflust»
Auf einer Tafel wird die Geschichte des Hauses erklärt: «Der prächtige Neubau der Leonhard Tietz AG entstand 1912 nach Plänen von Wilhelm Kreis: ein Meilenstein der Warenhaus-Architektur. Auf Betreiben der Nationalsozialisten und der Grossbanken wurde das Unternehmen 1933 «arisiert» und in «Westdeutsche Kaufhof AG» umbenannt.» Und unter einem Foto, auf dem eine prächtige Lichthalle zu sehen ist, steht: «Ein Tempel der Kauflust.»
«Ich bin selbst Elberfelderin», erklärt die Passantin stolz. «Wenn ich Geld hätte, würde ich wegziehen, aber ich bezahle 300 Euro warm für meine 31-Quadratmeter-Wohnung. In jeder anderen Stadt würde ich dafür nur ein Kabuff bekommen. Das will ich nicht.»
Warum vergeht den Konsumenten eigentlich die Kauflust? Erst diese Woche stellten mehrere Medien die Frage, ob es Warenhäuser überhaupt noch brauche. Anlass war eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts, der zufolge die Kauf- und Warenhäuser im Jahr 2023 preisbereinigt 34.8 Prozent weniger Umsatz machten als im Jahr 2003. Gerätselt wird über die Gründe dafür: Etwa weil die Konsumenten lieber online shoppen? Oder weil es die Kaufhausketten nicht mehr schaffen, auf aktuelle Trends zu reagieren? Oder gar wegen schlechter Geschäftsführung?
Die Mittelschicht schrumpft laut Bertelsmann Stiftung bereits seit 1997, also seit 27 Jahren. Auch in einer Studie des Ifo-Instituts von 2023 heisst es: «Deutschlands Mittelschicht ist mit ihrer Grösse zwar noch im Mittelfeld des europäischen Vergleichs, allerdings bröckelt ihre Grösse seit einigen Jahren. Sie kann nicht mehr mit der positiven Entwicklung anderer EU-Länder Schritt halten. Mit Blick auf die Steuer- und Abgabenlasten im europäischen Vergleich ist diese Entwicklung wenig verwunderlich. Bei Steuern und Abgaben gehört die deutsche Mittelschicht zur Spitzengruppe im europäischen Vergleich.»
Und hier liegt wohl die eigentliche Antwort für das Schliessen der einstigen Tempel der Kauflust: Die Mittelschicht als Hauptzielgruppe der Warenhäuser hat weniger Geld zur Verfügung.
Aber was soll mit den leerstehenden Gebäuden geschehen? Da in Deutschland Wohnungen fehlen, gab die Immobilienwirtschaft die Studie «Nachnutzung von Kaufhäusern für Wohnen» in Auftrag, deren Autoren zu folgendem Schluss kommen: «Die Vorstellung, dass Kaufhäuser bald im grossen Stil zu Wohnungen umgemodelt werden, ist reizvoll, leider aber oft zu schön, um wahr zu sein.»
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