Ungarn wird sich nicht gegen die weitere NATO-Unterstützung für die Ukraine stellen, wie ein Treffen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch ergab. Dafür muss sich Ungarn nicht an NATO-Operationen im Ukraine-Krieg beteiligen, wie es hieß.
Dieser Kompromiss zwischen beiden Seiten wurde gemeldet, nachdem zuvor Ungarn sein Veto gegen weitere NATO-Hilfen für die Ukraine angekündigt hatte. Zudem hatte Orbán kürzlich mehrfach ein Ende des Krieges gefordert und dessen Fortsetzung auch durch die westliche Unterstützung für Kiew kritisiert.
Den Berichten nach haben Orbán und Stoltenberg eine Abmachung getroffen, wonach Ungarn die geplante Ausweitung der NATO-Aktivitäten im Ukraine-Krieg nicht durch sein Veto weiter blockiert. Beim NATO-Gipfel im Juli will Stoltenberg neue finanzielle Ukraine-Hilfen auf den Weg bringen. Außerdem soll das westliche Kriegsbündnis künftig anstelle der USA die Waffenlieferungen und die Ausbildung für die ukrainische Armee koordinieren.
Doch Ungarn brauche sich daran nicht zu beteiligen und die Aktivitäten auch nicht mitzufinanzieren, hätten beide Seiten vereinbart, heißt es. Zugleich habe der ungarische Ministerpräsident dem NATO-Generalsekretär versichert, dass Ungarn sich den Plänen nicht entgegenstellen wird.
Allerdings gibt es keine rechtliche Verpflichtung für NATO-Mitglieder, sich an Aktivitäten des Bündnisses zu beteiligen, solange es nicht um den sogenannten Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages geht. Darauf hatte Orbán selbst zuletzt in Reden und Interviews mehrfach hingewiesen und damit begründet, warum Ungarn nicht mitmachen wolle.
Vor der EU-Wahl hatte er sich deutlich dagegen ausgesprochen, den Krieg in der Ukraine weiter zu unterstützen und dessen Ende durch einen Waffenstillstand gefordert. Damit hatte er eine klare alternative Position zu der der anderen NATO-Staaten eingenommen.
Nach der Abmachung mit Stoltenberg am Mittwoch erklärte er den Berichten nach, er könne weiterhin «garantieren», dass er «Entscheidungen vertreten werde, die dem Standpunkt Ungarns entsprechen». Seine Haltung hatte er immer mit den ungarischen nationalen Interessen und dem Ziel begründet, Ungarn aus dem Krieg herauszuhalten.
Deutliche Kritik an Orbáns Vorgehen im Widerspruch zu seinen öffentlichen Aussagen äußerte mit László Földi ein ehemaliger ungarischer Geheimdienstchef. Werde kein Veto eingelegt, werde der Fortsetzung des Krieges zugestimmt, sagte er in einer Sendung des Podcast-Portals Ultrahang am Mittwoch. Das sei nicht zu verantworten, fügte Földi hinzu.
Die ungarische Regierung stehe unter Druck und sei «in einer nicht einfachen Lage». Das Beste wäre aus seiner Sicht, Ungarn würde aus der NATO austreten, wenn das möglich wäre. Formal ist ein Austritt aus dem Militärbündnis auch relativ einfach. Doch was das in der Realität bedeutet, erklärte Földi so:
«Der Grund, warum wir das nicht tun können, ist, dass die NATO-Truppen am nächsten Tag hier sein würden, und sie würden mit der Parole ankommen, dass Ungarn so undemokratisch ist, dass es in Ordnung gebracht werden muss.»
Ungarn sitze «in der Falle» und könne nicht die Entscheidungen treffen, die es gern treffen würde. Der Ex-Geheimdienstchef stimmte der Einschätzung von Ultrahang-Moderator Tamás Kiralyi zu, dass der NATO-Gipfel im Juli beschließen wird, «dass dieser Krieg noch lange weitergehen wird».
Laut Földi versuchen «umliegende Länder», Ungarn weiter zu schwächen, auch «Verbündete». Das Dilemma der Orbán-Regierung könne erst aufgelöst und eine «normale Außenpolitik» betrieben werden, wenn der Krieg in der Ukraine beendet werde.
Aus seiner Sicht ist die Rolle der NATO ebenso wie ihre Ethik neu zu überdenken. Dazu gehöre auch das Selbstverständnis der NATO, unbedingt gegen einen Feind kämpfen zu müssen, wozu ein Feindbild und die Kriegsvorbereitung gehöre.
Es gebe keinen Feind, der die NATO angreifen wolle, widersprach Földi den Aussagen zahlreicher Politiker aus NATO-Staaten, die er als «absurd» einstufte. Er bedauerte außerdem, dass Ministerpräsident Orbán gegenüber Stoltenberg nicht darauf drängte, über einen Waffenstillstand und Verhandlungen in der Ukraine zu reden. Das sei zumindest nicht öffentlich geschehen, sagte er.
Földi betonte, dass aus seiner Sicht Russland am Frieden interessiert sei und die NATO nicht angreifen wolle. Für ihn ist es unverständlich, warum der Westen nicht bereit ist, mit Moskau zu verhandeln. Er machte außerdem einen interessanten Vorschlag, wie eine Friedenslösung für die Ukraine schnell erreicht werden könnte:
«Ich kann ganz offen sagen, dass die Gutmenschen, die Politiker, die Wirtschaftsinteressenvertreter, die sich jetzt äußern, schnell an die Front geschickt werden sollten. Glauben Sie mir, danach würde sehr schnell Frieden herrschen.»
Für diejenigen, die hetzen und andere in den Tod schicken, sei es nur eine Angelegenheit, «als ob sie am Computer Politik spielen würden», kritisiert der Ex-Geheimdienstchef. Es sei «schrecklich», dass es hinter den Kulissen des Krieges keine geheimen Verhandlungen zwischen beiden Seiten über eine Ende gebe.
Es müssten noch viele Menschen sterben, bevor «die Interessengruppen, die den Krieg anzetteln, zu dem Schluss kommen, dass Frieden ein besseres Geschäft» ist, so Földi. Er rechnet aber damit, dass der «Konflikt mit Russland in der Ukraine» nicht mehr sehr lange dauern wird.
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