Wodurch zeichnen sich die meisten Mainstream-Medien aus? Dass sie über heikle Themen, die von ihnen hofierte Politiker betreffen, gar nicht, unvollständig oder erst spät berichten. Diese These untermauerte die englischsprachige Ausgabe von Euractiv am 1. August. Das EU-affine Portal titelte: «EU-Kommission lässt Pfizergate-Texte verschwinden.» Im Untertitel wurde mitgeteilt, dass Kritiker – darunter Richter am Gericht der Europäischen Union – argumentierten, dass die Entscheidung, den Zugang zu den Textnachrichten zu verweigern, gegen die Transparenzverpflichtungen verstoßen würde.
Das Urteil des EU-Gerichts vom Mai 2025 wird von Euractiv also einfach nur als Kritik an Ursula von der Leyen dargestellt. Auch die Ereignisse, die sich rund um die Pfizergate-Affäre ranken, werden nur schwammig beschrieben. Zwar wird erwähnt, dass die Textnachrichten, die im Mittelpunkt des Skandals stehen, Anfang 2021 zwischen Ursula von der Leyen und Pfizer-CEO Albert Bourla ausgetauscht wurden und dass die New York Times auf ihre Herausgabe geklagt hatte, aber es wird nur lapidar festgestellt, dass diese «während der Verhandlungen über den größten Impfstoffvertrag der Union ausgetauscht» wurden.
Dass von der Leyen bei diesem geheimen Deal über 1,8 Milliarden Impfstoffdosen im Wert von 35 Milliarden Euro das Verhandlungsteam für die Beschaffung der Präparate umgangen und damit die Anzahl der Dosen auf etwa zehn pro EU-Bürger erhöht haben soll, wird dagegen verschwiegen.
Dafür kommen andere interessante Details ans Licht. Euractiv lässt wissen, dass die EU-Kommission nach dem Urteil des EU-Gerichts gegen von der Leyen weiterhin die Veröffentlichung der Textnachrichten verweigert. Dies gehe aus einem Schreiben der EU-Kommission vom 28. Juli 2025 hervor.
Auch eine Erklärung für den mysteriösen Verlust der Nachrichten wird geliefert. So habe von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert die Nachrichten «im Sommer 2021» auf dem Telefon der Präsidentin gesichtet und beschlossen, «sie nicht in einer Weise aufzubewahren, die sie öffentlich zugänglich machen würden». Denn angeblich hätten diese SMS «ausschließlich dazu gedient, Telefonate während der Pandemie zu vereinbaren».
Weiterhin informiert Euractiv, dass Seibert diese Entscheidung getroffen habe, nachdem die Kommission in einem ersten Antrag auf Zugang zu den Texten, der im Mai 2021 vom Journalisten Alexander Fanta gestellt worden sei, bereits zur Transparenz aufgefordert worden war. Aus dem Schreiben gehe auch hervor, dass die Nachrichten «seit mindestens Juli 2023 fehlen». Wir haben darüber allerdings schon seit 2021 berichtet (hier und hier).
Genauso wie über die Tatsache, dass «Flinten-Uschi» schon als deutsche Verteidigungsministerin in einen Skandal verstrickt war, bei dem Textnachrichten auf ihrem Diensthandy verschwanden (wir berichteten). Beim sogenannten McKinsey-Skandal, der 2018 aufflog, ging es um millionenschwere Aufträge an externe Beratungsunternehmen wie McKinsey, KPMG und Accenture, die das Verteidigungsministerium massenhaft vergeben hatte. Ausschreibungsverfahren wurden dabei umgangen, Aufträge lieber freihändig verteilt. Folgen für von der Leyen hatte das nicht.
Das Telefon der EU-Chefin sei «mehrfach ausgetauscht» worden, ohne dass man die Daten übertragen habe, fährt Euractiv fort. Nachrichten auf älteren Geräten seien gelöscht, die Handys recycelt worden, deshalb könne die Kommission die Textnachrichten auch nicht wiederherstellen. Die Kontroverse gehe über diese fehlenden SMS hinaus, weiß Euractiv. Kritisiert werde «die allgemeine mangelnde Transparenz der Kommission in Bezug auf den größten Impfstoffvertrag der EU». Wichtige Details zum Verhandlungsprozess, aber auch zu den finanziellen Bedingungen blieben weiterhin geheim.
Auch das entspricht nur der halben Wahrheit, denn im Fall Pfizergate kam es schon im April 2024 zu einem Eklat im EU-Parlament. Als die AfD-Abgeordnete Christine Anderson von der Leyen wegen der Verschwendung von 35 Milliarden Euro Steuergeldern der Korruption und Vetternwirtschaft bezichtigte, wurde ihr einfach das Mikrofon abgestellt (hier und hier).
Auch im März 2023 kochte im Parlament bereits die Stimmung, als Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bei der letzten Covid-Sondersitzung behauptet hatte:
«Die Präsidentin [Ursula von der Leyen] war bei keinem der Impfstoffe in die Vertragsverhandlungen involviert. Ich habe das schon oft gesagt und werde es wiederholen.» (ab Min. 16:24:40)
In ihrem Urteil vom Mai 2025 hätten die Richter ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kommission «glaubwürdige Erklärungen liefern muss, die es der Öffentlichkeit und dem Gerichtshof ermöglichen zu verstehen, warum diese Dokumente nicht auffindbar sind». Insbesondere angesichts «des Umfangs des größten Vertrags, den die EU jemals abgeschlossen habe», schreibt Euractiv.
Die Kommission habe trotzdem keine Berufung gegen das Urteil eingelegt, so das Portal, sondern sich stattdessen dafür entschieden, «eine solidere rechtliche Begründung zu erarbeiten, um ihre erneute Weigerung zu rechtfertigen, die Texte offenzulegen». Zum Abschluss teilt Euractiv kryptisch mit, die New York Times könne «die Entscheidung der Kommission erneut vor Gericht anfechten und noch einige Jahre abwarten, um zu sehen, ob die EU-Richter diese erneut beanstanden». Da stellt sich die Frage, warum es überhaupt ein EU-Gericht gibt, wenn dessen Entscheidungen keinerlei juristische Konsequenzen nach sich ziehen.
In der Zwischenzeit seien die Texte bei der Kommission nach wie vor nicht auffindbar, resümiert Euractiv und lamentiert, dass ein Sprecher der Kommission nicht sofort auf eine Anfrage nach einer Stellungnahme reagiert habe.