George Orwell und Aldous Huxley haben mit «1984« und «Schöne neue Welt» zwei Dystopie-Klassiker geschrieben, die noch heute Faszination ausüben. Die Qualität dieser Romane liegt darin, dass sie wie in einem Brennglas Machtmechanismen zum Vorschein bringen, die allzeitliche Geltung haben, auch wenn sich der ideologische Kontext ändert. 2021 legte Thomas Eisinger mit «Hinter der Zukunft» einen dystopischen Roman vor, der sich mit jenen Klassikern messen lässt. Kürzlich erschien die Hörfassung.
Der Autor widmet sich darin der grünen Agenda und dreht die Welt von heute ein wenig weiter. Die Handlung spielt in einer nicht näher definierten nahen Zukunft. Alles wird durch das Ziel bestimmt, die CO₂-Produktion auf ein Minimum zu reduzieren, am besten auf Null. Es ist eine Welt der Entbehrung. Die Bürger bekommen ab dem sechsten Lebensjahr ein CO₂-Lebensbudget, gezählt in Coints. Sobald sie verbraucht sind, endet auch das eigene Leben.
Das kann sehr schnell passieren, wenn man ein umweltschädliches Verhalten an den Tag legt. Denn jede Handlung, ob Einkauf, Heizverhalten oder Transport, lässt sich auf die Produktion von CO₂ umrechnen und hat deshalb einen Abzug von Coints zur Folge. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, sie durch verdienstvolles Verhalten zu erwerben.
Der «Gute Helfer»
Die Buchführung des CO₂-Lebensbudgets erfolgt über ein Armband, «Guter Helfer» genannt. Dieser erweist sich aber nicht nur als ein zuverlässiger Tracker, sondern auch als ein Gerät, das mitlauscht. Die Kontrolle ist absolut. Jedes «dunkle Wort» wird genauso registriert, wie der Aufruf «dunkler Seiten» im Internet. Als Protagonist tritt der 18-jährige Robin Hochwaldt auf, ein erfolgreicher Computer-Gamer, der im Laufe der Verwicklungen in eine politisch exponierte Position kommt, in der er Verantwortung übernehmen muss.
Eisinger hat seinen Roman in drei Teile gegliedert, wobei der erste der stärkste ist, nicht nur handwerklich, sondern auch inhaltlich. Die Leser tauchen ein in eine absurde Welt und erleben Szenen, die bleibenden Nachdruck hinterlassen, etwa die, in der zwei Jugendliche als «KlimaPatrouille» durch ein Wohnviertel streifen und ein Ehepaar um fünf Monate Lebenszeit bringen, nur weil dieses sich erdreistet hat, Fleisch zu braten.
Diese staatlich unterstützten Denunzianten vom Schlage heutiger Trusted Flagger treten in Eisingers Roman genauso arrogant auf wie alle Jugendlichen. Sie fühlen sich der älteren Generation überlegen, ist sie es doch, die den Planeten an den Rand des Kollapses gebracht hat. Menschen ab 45 gelten deshalb als Zukunftsvernichter, als Bürger zweiter Klasse.
Pray-for-the-Planet im Gendersprech
In diesen Details, die die Romanwelt so sonderbar machen, zeigt sich Eisingers Originalität und seine Einbildungskraft. Gerade im ersten Teil folgt ein toller Einfall auf den anderen, wenn etwa die Kanzlerin täglich ihre Ansprache hält, eine Klima-Litanei im Gendersprech. «Pray-for-the-Planet» heißt diese weltliche Messe und wird eingeleitet von einer Variation der 9. Sinfonie Beethovens:
«Ende aller Lebensfunken,
zukunftslos und leichenbleich.
Wir verspielten – egotrunken,
oh Planet, dein Zukunftsreich.Deine Wunden bluten wieder,
was dir Menschen angetan.
Unsre Schuld fällt auf uns nieder,
lass uns sein dein Untertan.Seid umschlungen, Millionen!
Diese Scham der ganzen Welt.
Ohne Zukunft weiterleben,
auch wenn es so schwer uns fällt.»
Nicht weniger einfallsreich ist die Kreation des Amts für Schuld und Scham, zu dem die Bürger pilgern, um für ihre Taten Buße zu tun. Nicht selten werden sie vom «Guten Helfer» dazu animiert, wegen «ketzerischer Gespräche oder diverser CO₂-Sünden». «In diesen Fällen war ein Besuch Pflicht», heißt es, «die Schuld wollte gebeichtet, die Hilfe empfangen werden». Das religiös konnotierte Vokabular ist bewusst gesetzt. Die Verfechter der CO₂-Ideologie gleichen einer Sekte, mit ihren eigenen Riten und Verhaltensformen.
Corona-Ereignisse mitverarbeitet
Als Eisinger an seinem Roman schrieb, brach die Corona-Krise aus. Die Art und Weise, wie die Staaten in dieser Zeit die Bürger zu kontrollieren begannen, deckte sich mit dem, was auch er mahnend auf Papier bringen wollte. Der Autor konnte daher gar nicht anders, als die Ereignisse rund um die Maßnahmen-Politik mitzuverarbeiten. Die Kontakte sind limitiert, die Grenzen geschlossen, Flüge ohnehin nicht erlaubt. Nicht selten fällt der Begriff «Build Back Better», quasi das globale Motto zur Corona-Krise.
Für die Leser dürfte diese Welt schrecklich erscheinen. Aber, und das ist der Unterschied zumindest zu «1984», die meisten fühlen sich darin wohl, allen voran die jungen Menschen, die über weite Strecken radikalisiert wirken und glauben, dass der Staat einfach immer Recht hat.
Zehn Regeln der Macht
Eisinger gelingt es, diese Welt mit Leben zu füllen, den einzelnen Figuren eine eigene Stimme zu geben und die Handlung spannend zu gestalten. Im zweiten Teil flacht diese Kurve ein wenig ab, weil der Autor sich darauf konzentriert, die berühmten zehn Regeln der Macht zu vermitteln. Er übersetzt sie aber nicht in Handlung, sondern teilt sie lediglich mit, in einer klassischen Mentor-Schüler-Konstellation. Der eine erzählt, der andere hört zu – und staunt. Das liest sich teilweise sehr zäh, auch wenn die Mechanismen der Macht inhaltlich sehr interessant und erhellend sind.
Im dritten und letzten Teil müssen schließlich Entscheidungen getroffen werden. Eisinger macht hier viele Anleihen bei einem Thriller-Plot und lässt es zum Schluss actionreich zugehen. Wenn man will, steht jeder Teil für ein besonderes Merkmal dieses Romans: Er hat Tiefgang, er vermittelt interessantes Wissen und bietet Unterhaltung. Und das, muss man zugeben, ist keine geringe Leistung.
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Hier finden Sie das Interview mit Thomas Eisinger von Eugen Zentner für Transition News.
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