Für Ben Christenson, 27 Jahre alt und aufgewachsen in einer anglikanischen Gemeinde in Fairfax, Virginia, war die Orthodoxie die Antwort auf eine lange Suche. In seiner Jugend war er tief in die Aktivitäten seiner Kirche eingebunden: Sonntagsgottesdienste, religiöse Schulen und Sommerlager prägten seine Kindheit. Doch er erlebte, wie sich seine anglikanische Kirche im Laufe der Jahre immer stärker veränderte, schreibt die New York Post in einem letzte Woche veröffentlichten Hintergrundartikel.
«Das Schwierige an meiner Kirche war, dass sich so vieles geändert hat, selbst in meiner kurzen Lebenszeit», erinnert er sich. «Traditionen wurden aufgegeben, und es schien, als gäbe es keine Garantie, dass etwas Bestand hat.»
Dazu zählten für ihn der Wechsel von klassischen Chören zu modernen Lobpreisbands und die Liberalisierung von Positionen zu kontroversen Themen wie Frauenordination und LGBTQ-Fragen.
«Das hat mir das Gefühl gegeben, dass auch die theologischen Überzeugungen austauschbar sind.»
Diese Unsicherheit trieb Christenson dazu, nach einem Glauben zu suchen, der nicht von gesellschaftlichen Strömungen beeinflusst wird. 2022 konvertierte er schließlich zur Orthodoxie.
«Es gibt eine Struktur, eine Kontinuität … Es ist genau dasselbe wie vor 2000 Jahren. Es wird sich nicht ändern», beschreibt er seine neue Glaubensheimat.
Christenson ist Teil eines größeren Trends: Immer mehr Menschen, insbesondere junge Erwachsene, finden ihren Weg in die Orthodoxie. Eine Umfrage orthodoxer Gemeinden in den USA zeigte, dass die Zahl der Konvertiten im Jahr 2022 im Vergleich zu den Vorjahren um 78 Prozent gestiegen ist. Dieser Trend beschleunigte sich insbesondere nach 2020 und scheint weiterhin an Dynamik zu gewinnen.
Pater Josiah Trenham, der seit fast drei Jahrzehnten die Saint Andrew’s Orthodox Church in Kalifornien leitet, bestätigt diesen Aufwärtstrend:
«Die letzten vier bis fünf Jahre haben einen massiven Anstieg gezeigt, und es scheint, als würde er weiter zunehmen. Es geschieht in großem Umfang, und es gibt keine Anzeichen, dass es sich verlangsamt.»
Ein bemerkenswerter Faktor für die wachsende Popularität der Orthodoxie ist das Internet. Plattformen wie YouTube und Diskussionen in sozialen Netzwerken haben dazu beigetragen, die Glaubensrichtung einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Dr. Zachary Porcu, Theologe und Konvertit, spricht von einem Phänomen, das er «Internet-Orthodoxie» nennt. «Wir haben regelmäßig Menschen, die zu uns kommen und sagen: ‹Ich habe online über Orthodoxie gelesen, und das hat mich zu Ihrer Kirche geführt.›» Porcu sieht in der Orthodoxie auch eine Antwort auf die Herausforderungen der modernen Zeit:
«Die Orthodoxie ruft dazu auf, sich selbst zu verbessern – durch Fasten, Gebete und spirituelle Disziplin. Sie bietet eine tiefgründige, strukturierte Spiritualität, die vielen Menschen fehlt.»
Auch Elijah Wee Sit, ein 17-jähriger Gymnasiast aus Toronto, beschreibt die Orthodoxie als eine Quelle von Stabilität und Herausforderung. Als ehemaliger Evangelikaler fühlte er sich zunehmend entfremdet von Gottesdiensten, die sich wie «emotional gesteuerte Rockkonzerte» anfühlten.
«Das, was mich an der Orthodoxie wirklich angesprochen hat, war, wie beständig und unbeweglich sie ist», sagt Elijah, der sich aktuell auf seine Taufe vorbereitet.
Sein Vater, ein Einwanderer aus den Philippinen, war zunächst skeptisch, unterstützt ihn nun aber und fährt ihn jeden Sonntag zur Kirche.
Für viele Konvertiten ist die Orthodoxie nicht nur ein Glaubenswechsel, sondern eine Rückkehr zu einer disziplinierteren und spirituell anspruchsvolleren Form des Christentums. Bailey Mullins, ein 26-jähriger Grafikdesigner aus Tennessee, beschreibt seine Erfahrungen mit der Orthodoxie ähnlich.
«Ich wollte an einem Ort sein, der stabil ist und sich nicht ständig verändert», erklärt er.
Mullins war frustriert über die politischen und kulturellen Spaltungen in den traditionellen Kirchen, die er besuchte, und entschied sich für die Orthodoxie. «Es gibt eine Sicherheit in der Tatsache, dass diese Traditionen seit 2000 Jahren bestehen.»
In einer Welt des ständigen Wandels bietet die Orthodoxie vielen jungen Menschen das, was sie suchen: Stabilität, Tiefe und eine unveränderliche Verbindung zur Geschichte des Christentums. Sie spricht eine Generation an, die sich nach Tradition und einem festen Fundament sehnt – und zeigt, dass inmitten moderner Unsicherheiten der Weg zu den Wurzeln eine spirituelle Antwort sein kann.
Gut zu wissen
Heute gibt es verschiedene orthodoxe Kirchen, die sich zum Teil an Nationalstaaten orientieren. Dogmatisch ist der Unterschied zwischen der katholischen und den orthodoxen Kirchen klein. Die geschichtliche Entwicklung verlief aber seit dem Schisma, also der Kirchenspaltung von 1054 ganz anders.
Ein großer Unterschied der beiden Kirchen ist: Die katholische Kirche hat ein einziges Oberhaupt, den Papst in Rom – das ist noch heute so. Die orthodoxe Kirche hat mehrere Oberhäupter, sie nennen sich Patriarchen. Der Patriarch von Konstantinopel ist eher ein primus inter pares und ohne Weisungskraft gegenüber den anderen Patriarchen. Dominante Konfession ist die Orthodoxie in Osteuropa, zum Beispiel in Griechenland, Rumänien, Serbien oder Russland.
Ein weiterer großer Unterschied zum katholischen Glauben besteht darin, dass die Orthodoxie kein Pflichtzölibat für Pfarrer kennt. Allerdings müssen höhere Geistliche wie Bischöfe Mönche sein und damit ehelos bleiben.
Von der äußerlichen Form her ähneln die orthodoxen Kirchen den altorientalischen Kirchen. Mit diesem Begriff werden im Wesentlichen jene Ostkirchen bezeichnet, die sich nach dem Konzil von Ephesos (431) oder nach dem Konzil von Chalcedon (451) von der römischen Reichskirche trennten. Dominant sind altorientalische Kirchen, zum Beispiel in Armenien, Äthiopien oder Eritrea. Die koptische Kirche in Ägypten gehört ebenfalls dazu.