Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übernommen.
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Wenn Covid Familien und junge Menschen aus Metropolen dazu bewegt hat, auf der Suche nach den großen Weiten und nach einem besseren Leben aus den nördlichen Bundesstaaten oder aus Kalifornien nach Colorado, Texas, Montana und Utah zu ziehen, aber auch nach Georgia sowie Nord- und Süd Carolina, so wandern ihre Eltern seit mindestens zwanzig Jahren nach der Pensionierung nach Florida, Nevada, Arizona und New Mexico aus. Einst waren die letzten drei Staaten dünn besiedelt, und im Jahr 2000 lebten in Montana gerade einmal 800.000 Menschen. Es waren zudem arme Staaten, mit vielen Indianerreservaten. Während des Kalten Krieges wurden in den weiten Wüsten Nevadas, Arizonas und New Mexicos Atomwaffen getestet.
In den letzten zwanzig Jahren sind Pensionäre der Babyboomer-Generation aufgrund des warmen und trockenen Wüstenklimas, der günstigen Immobilienpreise und steuerlicher Vorteile (in Arizona werden staatliche Renten und Sozialversicherungsbezüge nicht besteuert, in Nevada gibt es keine Einkommenssteuer) in diese Staaten gezogen. Laut dem Census Bureau (Volkszählungsamt) ziehen jährlich über eine Million US-Amerikaner über 65 Jahre um, und neben Florida gehören Arizona, Nevada und New Mexico zu den beliebtesten Zielen.
Die Pensionäre brachten nicht nur ihr Gepäck, sondern auch die Annehmlichkeiten des städtischen Lebens mit. Krankenhäuser, Sozialzentren, Golfplätze, Bars und Restaurants, die Rabatte für Senioren anbieten, schossen wie Tulpen im Frühjahr in den kleinen Städten der halbwüstenartigen Regionen des Südwestens aus dem Boden. Schulen hingegen wurden geschlossen – aus einem einfachen Grund: Diese Migranten haben keine Kinder, die zur Schule gehen, und daher gibt es keinen Grund, sie zu finanzieren.
In den USA werden Schulen und alle Dienstleistungen für junge Menschen über Immobiliensteuern finanziert, eine Art Grundsteuer, die auf alle Gebäude erhoben wird. Die Bauunternehmen in New Mexico, Nevada und Arizona haben für die Senioren eine Steuerlösung gefunden: Sogenannte «gated communities», eingezäunte Grundstücke, in die man nur mit Einladung oder als Bewohner hineingelangt, sind von der Immobiliensteuer befreit. In diesen Enklaven dürfen nur Senioren, also Personen über 55 Jahre, eine Wohnung oder ein Haus kaufen, und niemand unter 55 darf dort wohnen. Kinder und Enkel dürfen nur zu Besuch kommen, aber nicht dort leben.
Es ist leicht, sich die sozialen Auswirkungen vorzustellen. In Städten wie Phoenix in Nevada oder Tucson in Arizona gibt es ganze Stadtviertel, die nur von älteren Menschen bewohnt werden, und die gesamte lokale Wirtschaft dreht sich um sie. Ein Paradies für Physiotherapeuten, Ärzte, Zahnärzte und Sportzentren für Senioren. In diesen Vororten gibt es keine jungen Menschen oder Kinder, keine Schulen, Kindergärten, Bars oder Diskotheken.
Wenn es in Nevada und Arizona vor dem Ansturm der Pensionäre kaum Leben gab, so existierte in New Mexico eine Künstler- und Hippie-Gemeinschaft, die seit den 1960er Jahren in diesen ruhigen Bundesstaat gezogen war, fernab von den Metropolen der Ostküste, dem Verkehr von Los Angeles und der Politik in Washington D.C. Taos, ein kleines Dorf der amerikanischen Ureinwohner, war Heimat für Künstler, Musiker, Lederhandwerker, Schmiede, Weber und viele Hippies, die eine klare Lebensentscheidung getroffen hatten: Sie wollten fernab vom reichen und imperialistischen Amerika leben.
Santa Fe, nur eine kurze Strecke entfernt, bot eine Vielzahl kleiner Läden, in denen man für wenig Geld die Werke dieser Handwerker kaufen konnte. Die meisten dieser alternativen Bewohner gingen nicht wählen und interessierten sich nicht für Politik. Wer wählte, stimmte für die Republikaner, wie in den umliegenden Staaten.
Santa Fe war eine kleine Stadt im mexikanischen Stil, in der sich alle kannten. Die Häuser waren im Vergleich zum Rest der USA sehr günstig, und es gab viele junge Leute in exzentrischer Kleidung. Es gab Familien und Kinder, Schulen und Bars, in denen man jeden Abend Musik hören konnte. Heute ist Santa Fe eine Stadt mit 85.000 Einwohnern, umgeben von einem riesigen Vorort, der von Menschen bevölkert wird, die in der Seniorenwirtschaft oder im Tourismus arbeiten. Das alte Stadtzentrum ist zu einer Kunstgalerie/Freizeitpark für reiche amerikanische Touristen geworden. Die Preise sind so hoch wie auf dem Rodeo Drive. Santa Fe ist zu einer Art mexikanischem Disneyland geworden. Wie Venedig, Florenz, Barcelona und viele andere Städte hat es seinen Charme verloren.
Auch die Neigung, republikanisch zu wählen, hat sich verändert: Bei den letzten acht Präsidentschaftswahlen hat New Mexico sieben Mal für die Demokraten gestimmt. Biden gewann 2020 54 Prozent der Stimmen, Trump 44 Prozent. Staaten wie Nevada und Arizona sind zu «Swing States» geworden, immer auf der Kippe zwischen den Kandidaten. In Nevada gewannen die Republikaner die Präsidentschaftswahlen von den späten 1960er Jahren bis in die späten 1980er. Im Jahr 2016 schlug Hillary Clinton Donald Trump mit einem knappen Vorsprung von 48 zu 46 Prozent. Im Jahr 2020 gewann Joe Biden mit etwa 2,5 Prozent Vorsprung vor Trump – ebenfalls ein sehr geringer Unterschied.
Arizona ist traditionell ein republikanischer Staat. Abgesehen von Bill Clintons Sieg im Jahr 1996 stimmte der Staat von 1952 bis 2016 durchgehend für die Republikaner. Allerdings gewann Donald Trump 2016 mit einem deutlich geringeren Vorsprung als seine republikanischen Vorgänger, und 2020 siegte Joe Biden mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,3 Prozent.
Man könnte versucht sein zu sagen, dass die internen Migrationen eine der Ursachen für die zunehmende Polarisierung des Landes sind. Es ist jedoch schwer, dies zu beweisen. Dennoch ist unbestreitbar, dass beide Phänomene Hand in Hand gehen. Die Spaltung, so argumentieren die Strickerinnen aus South Dakota (wir berichteten), rührt vom sozialen Wandel durch die Migrationen und von der Geschwindigkeit, mit der dieser stattfindet. Covid hat diesen Prozess beschleunigt.
Ein Taxifahrer aus Santa Fe erzählte mir, dass er seine Arbeit in einem Labor verloren habe und anfing, Essen mit Uber auszuliefern. Vom Staat habe er lediglich 1200 Dollar erhalten, ebenso wie eine Händlerin in Farmington, an der Grenze zum Navajo-Reservat:
«Man musste Angestellte haben, um einen Scheck zu bekommen. Ich arbeite allein. Also habe ich nur 1200 Dollar erhalten, das war’s. Aber ich habe weiter geöffnet. Die Leute kamen zur Tür, und wir gaben ihnen, was sie brauchten. Es war extrem hart.»
Der Taxifahrer hat inzwischen eine sichere Stelle in der Stadtverwaltung gefunden und fährt Taxi als Nebenjob: «Ich dachte, falls es wieder zu einer Pandemie kommt, gibt mir ein fester Job Sicherheit.»
Ich ahne, dass der Covid-Bruch bis an die Wurzel des amerikanischen Traums geht und ihn mit der Angst vor der Armut untergraben hat. Ich spüre auch, dass viele US-Amerikaner glauben, «Make America Great Again» sei die einzige Formel, um ihn wiederherzustellen. Sicherlich, es ist nur ein Slogan, aber Amerika ist in einem solchen Maße auf der Suche nach sich selbst, dass es sich an jeden Strohhalm klammert.