Der Artikel mit dem Titel «La diplomatie suisse déboussolée» (verwirrte Schweizer Diplomatie) stammt aus der Feder des Westschweizer Journalisten Jacques Pilet, der auf eine jahrzehntelange Karriere bei den verschiedensten französischsprachigen Medien in der Schweiz zurückblickt.
In der Deutschschweiz wenig beachtet, kommt der Beitrag von letzter Woche einer Fundamentalkritik an der aktuellen Schweizer Aussen- und Verteidigungspolitik gleich.
Pilet bezieht sich auf ein Interview, das der Walliser Ex-Diplomat Georges Martin anlässlich der Veröffentlichung seines Buches mit dem etwas hochtrabenden Titel «Une vie au service de la Suisse» («Ein Leben im Dienste der Schweiz») der Radiosendung Les Beaux Parleurs gewährt hatte.
Sinngemäss wirft er der Schweizer Diplomatie vor, dass sie nicht mehr wisse, wohin sie gehe. Die von Aussenminister Ignazio Cassis am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos angekündigte Friedenskonferenz bezeichnet er zum Beispiel als ein weiteres, wenig effektives Treffen des «Selenskyj-Fanclubs».
Er warnt davor, eine Friedenslösung zu suchen, ohne alle beteiligten Parteien angemessen zu berücksichtigen. Er argumentiert, dass die Diplomatie ihre Glaubwürdigkeit verliere, wenn sie sich auf öffentliche Kommunikation und Popularitätssucht stützt, anstatt auf diskrete Gespräche und vertrauliche Kontakte.
Im Allgemeinen bemängelt Martin die fehlende Klarheit und Richtung der schweizerischen Aussenpolitik. Dabei kritisiert er nicht nur Ignazio Cassis, sondern auch Verteidigungsministerin Viola Amherd.
Die Kritik richtet sich gegen Cassis’ öffentliche Äusserungen und Positionen, die aufdringlich seien und Unbehagen verursachen würden. Georges Martin betont, dass die schweizerische Diplomatie unter Cassis’ Führung keine klare Richtung mehr zu haben scheine. Amherd wird hingegen für ihre geplante Annäherung an die NATO und das Missmanagement beim staatlichen Rüstungskonzern RUAG getadelt.
Die undurchsichtigen Geschäftspraktiken von RUAG, insbesondere im Zusammenhang mit dem Ringtausch von Leopard-Panzern aus Italien, die dem Rüstungskonzern gehörten, wird als besonders problematisch dargestellt. Es werden aber auch Personalentscheidungen kritisiert, zum Beispiel die Anstellung von Freunden ohne Erfahrung.
Ein Beispiel für impulsives Handeln sieht der Autor im geplanten Verbot der Hamas, obwohl die Hamas in der Schweiz nie aktiv war. Er bezeichnet die Idee als juristische Geste, die nichts zur Lösung des Nahostkonflikts beitrage und möglicherweise die Handlungsfähigkeit der Diplomatie der Schweiz beeinträchtige.
Der Autor wirft sodann die Fragen zur Zukunft der Neutralität der Schweiz auf und dazu, ob sie Mitglied der NATO werden solle. Er plädiert dafür, die Interessen des Landes zu priorisieren, sowohl im militärischen als auch im diplomatischen Bereich.
Abschliessend betont der Autor die Notwendigkeit, die Aussenpolitik mit Klarsicht und ohne moralisierenden Ansatz zu gestalten:
«Der moralisierende Ansatz in der internationalen Politik führt nur zu Isolation. Zur Hilflosigkeit bei unseren Friedensbemühungen. Zur Aufgabe unserer ganz konkreten Interessen. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Benchmarks mit Offenheit und Augenhöhe definieren.
Schliesslich sollten wir uns auch nicht mit dem Begriff der Souveränität schmücken. Sie ist für niemanden absolut. Ein anderer Begriff scheint besser zu sein: Würde. Er steht im Gegensatz zur Unterwerfung unter die Ansichten der Mächtigen.»
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