Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übersetzt und übernommen.
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Die US-amerikanischen Ureinwohner, Völker von außerordentlichem historischem und kulturellem Reichtum, wurden lange Zeit durch vereinfachende Stereotype und verzerrte Darstellungen falsch dargestellt, die ihre Identität verschleiert haben. Kino, Populärliteratur und kollektive Vorstellungswelt haben komplexe und lebendige Gemeinschaften oft auf simple Karikaturen reduziert und damit Mythen aufrechterhalten, welche die Vielfalt, Widerstandsfähigkeit und Beiträge der Ureinwohner leugnen.
Dank einer wachsenden literarischen und journalistischen Produktion, wie den Büchern von indigenen Autoren und Fachrubriken, darunter «Nativi» (Ureinwohner) auf L’AntiDiplomatico, können wir heute sechs tief verwurzelte Unwahrheiten entlarven und das authentische Erbe der indigenen Völker der heutigen USA wiederentdecken. Aber Vorsicht: Auch heute noch ist es sehr schwierig, die Kultur der indigenen Völker der USA zu verbreiten. Der westliche Überlegenheitskomplex ist in vielen Fällen immer noch weit verbreitet und verschleiert Informationen und zensiert viele Zeitungen.
Mythos 1: Die US-amerikanischen Ureinwohner sind eine einzige monolithische Gruppe
Das stereotype Bild eines «Indianers» mit Federn und Tomahawk ist eine Erfindung Hollywoods. Tatsächlich umfassen die US-amerikanischen Ureinwohner über 570 in den Vereinigten Staaten anerkannte Stämme, von denen jeder seine eigene Sprache, Traditionen und Geschichte hat. Die Navajo beispielsweise, die für ihre Textilkunst und ihre komplexe Kosmologie bekannt sind, unterscheiden sich stark von den Cherokee, die 1821 dank Sequoyah ein Silbenschriftsystem entwickelten und damit die Cherokee Phoenix, die erste Zeitung der Ureinwohner, ins Leben riefen. Werke wie «The Heartbeat of Wounded Knee» von David Treuer unterstreichen diese Vielfalt, während Rubriken wie diese die kulturellen, historischen und aktuellen Besonderheiten oft ignorierter Stämme untersuchen und damit dem monolithischen und reduktiven Bild entgegenwirken.
Mythos 2: Die indigenen Völker der USA sind ausgestorben
Der Mythos, dass die US-amerikanischen Ureinwohner nur der Vergangenheit angehören, wird durch Fakten widerlegt: Laut der US-Volkszählung von 2020 identifizieren sich über neun Millionen Menschen als Ureinwohner der USA, inklusive Alaskas. Ihre Gemeinschaften sind lebendig, wie die Powwows, Tanz- und Musikfeste, die Tausende von Ureinwohnern zusammenbringen, oder die Wiederbelebung der Lakota-Sprache in Stammes-Schulen zeigen.
Bücher wie «There There» von Tommy Orange erzählen von der Lebendigkeit der städtischen indigenen Gemeinschaften, während Artikel über Indigene den zeitgenössischen Aktivismus hervorheben, wie zum Beispiel die Kämpfe um territoriale Souveränität. Sie verleihen einer Widerstandsfähigkeit Ausdruck, die jedem Narrativ vom Aussterben widerspricht.
Mythos 3: Sie hatten vor dem Kontakt mit den Europäern keine fortgeschrittenen Gesellschaften
Die Vorstellung von «primitiven» Gesellschaften wird durch archäologische Funde widerlegt. So erbaute die sogenannte Mississippi-Zivilisation zwischen 900 und 1350 n. Chr. Cahokia, eine Stadt mit über 20.000 Einwohnern und einer 30 Meter hohen Pyramide. Die Anasazi, Vorfahren der Pueblo, entwickelten Kanalisationssysteme in den Wüsten des Südwestens, während die Haudenosaunee eine hochentwickelte politische Konföderation schufen.
Texte wie «1491» von Charles C. Mann dokumentieren diese Errungenschaften, und Fachartikel beleuchten das architektonische und politische Genie der Ureinwohner. Sie widerlegen damit das koloniale Vorurteil der europäischen Überlegenheit.
Mythos 4: Die US-amerikanischen Ureinwohner waren nur primitive Nomaden ohne fortschrittliche Landwirtschaftssysteme
Das Bild des Ureinwohners als nomadischer Jäger ignoriert die landwirtschaftlichen Innovationen vieler Stämme. Die Haudenosaunee bauten die «Drei Schwestern» (Mais, Bohnen, Kürbis) mit nachhaltigen Mischkulturtechniken an, während die Hopi Bewässerungssysteme nutzten, um in trockenen Gebieten Landwirtschaft zu betreiben. Mais, der ursprünglich aus Amerika stammt, revolutionierte die globale Landwirtschaft.
Schriftsteller und Schriftstellerinnen, wie zum Beispiel Robin Wall Kimmerer in «Braiding Sweetgrass», feiern die ökologische Weisheit der Ureinwohner. Sie erzählen, wie diese landwirtschaftlichen Praktiken noch immer ein Vorbild für Nachhaltigkeit sind, was die Vorstellung von Primitivismus widerlegt.
Mythos 5: Die indigenen Völker der USA waren von Natur aus gewalttätig und den Europäern gegenüber feindselig
Das Narrativ vom «feindlichen Wilden» ist eine koloniale Verzerrung. So nahmen die Wampanoag die eingewanderten Pilger 1621 auf und teilten ihre Ressourcen mit ihnen, was das erste Erntedankfest ermöglichte. Konflikte wie das Massaker von Sand Creek im Jahr 1864, bei dem US-Truppen 150 Cheyenne und Arapaho töteten, wurden oft durch Vertragsverletzungen ausgelöst. Werke wie «Bury My Heart at Wounded Knee» von Dee Brown dokumentieren diese Ungerechtigkeiten, während wir hier die Diplomatie der Ureinwohner analysieren, wie beispielsweise die Verträge der Haudenosaunee, und eine Tradition des Friedens hervorheben, die durch parteiische Erzählungen verdeckt wurde.
Mythos 6: Die US-amerikanischen Ureinwohner haben nicht zur modernen Kultur der Vereinigten Staaten beigetragen
Die US-amerikanischen Ureinwohner haben die US-Kultur tiefgreifend geprägt. Die Verfassung wurde vom Konföderationssystem der Haudenosaunee inspiriert, einem Modell der partizipativen Demokratie. Wörter wie «moose» (Elch) und «hurricane» (Hurrikan) stammen aus indigenen Sprachen.
Persönlichkeiten wie der Navajo-Künstler R.C. Gorman oder die Aktivistin Winona LaDuke haben ihre Spuren in der Kunst und in der Ökologie hinterlassen, während die Standing-Rock-Bewegung gegen die Dakota Access Pipeline die Welt inspiriert hat. Autoren wie Louise Erdrich mit Romanen wie «Love Medicine» und viele Artikel belegen den lebendigen Einfluss der Ureinwohner und widerlegen diejenigen, die ihre Rolle leugnen.
Eine Einladung zur Entdeckung durch Literatur und Journalismus
Diese Unwahrheiten aufzudecken, ist ein Akt der historischen und kulturellen Gerechtigkeit, der durch die Kraft der einheimischen Literatur und des unabhängigen Journalismus ermöglicht wird. Bücher wie die von Sherman Alexie oder Leslie Marmon Silko sowie Rubriken wie «Nativi» führen uns zu einem authentischen Verständnis und feiern die Widerstandsfähigkeit und Kreativität der amerikanischen Ureinwohner.
Ihre Geschichte ist nicht nur eine Geschichte des Überlebens, sondern eine Lektion in Menschlichkeit, die weiterhin inspiriert. Tauchen wir ein in diese Narrative, um ein Erbe wiederzuentdecken, das der ganzen Welt gehört.
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Raffaella Milandri ist Schriftstellerin, Journalistin sowie Aktivistin für die Menschenrechte indigener Völker und Expertin für US-amerikanische Ureinwohner. Sie hat einen Abschluss in Anthropologie. Milandri ist Ehrenmitglied des Four Winds Cherokee Tribe in Louisiana und des Crow-Stammes in Montana. Sie hat über zehn Bücher veröffentlicht, alle über US-amerikanische Ureinwohner und indigene Völker, mit besonderem Schwerpunkt auf Menschenrechten, sowohl im historischen als auch im zeitgenössischen Kontext. Sie beschäftigt sich mit der Verbreitung der Kultur und Literatur der US-amerikanischen Ureinwohner in Italien und widmet sich derzeit der Herausgabe und Übersetzung von Werken indigener Autoren. Sie moderiert eine Radiosendung über die Musik der indigenen Völker der USA, «Nativi Americani ieri e oggi» (Amerikanische Ureinwohner gestern und heute), und betreut die Rubrik «Nativi» auf L’AntiDiplomatico.