Deutliche und klare Kritik am Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser äußert der investigative US-Journalist Seymour Hersh in seinem jüngsten Text. Er gibt darin unter anderem Aussagen eines ungenannten israelischen Militärveteranen wieder, der damit den gezielten Völkermord Israels im Gaza-Streifen bestätigt.
Gaza sei zu einem Massengrab, einem «killing field», geworden, erklärte laut Hersh ein «gut informierter israelischer Veteran, der die anfängliche israelische Reaktion auf den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 enthusiastisch unterstützte». Dieser meine, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ein «moderner Colonel Kurtz ist, der psychotische Killer aus Francis Ford Coppolas ‹Apocalypse Now›, dem berühmten Vietnamkriegsfilm von 1979».
Der «Vergeltungskrieg» der israelischen Streitkräfte IDF gegen eine disziplinierte Hamas-Guerilla habe sich zu einem «systematischen Aushungern einer Gesellschaft» entwickelt. Deren überlebende Zivilisten – die palästinensischen Männer, Frauen und Kinder – seien Opfer eines israelischen Militärs, dessen Kampfeinheiten oft von der zweiten Generation israelischer Siedler angeführt würden.
Es handele sich dabei um «religiöse fanatische Majore und Oberstleutnants, die glauben, es sei ihre Berufung, jeden Palästinenser, der sich bewegt, zu erschießen, egal ob Kämpfer oder Zivilist». Sie stammten zunehmend aus den mehr als 120 israelische Siedlungen im Westjordanland, darunter fünfzehn in Ostjerusalem.
Es gebe außerdem mehr als zweihundert illegale Außenposten auf palästinensischem Gebiet, die trotzdem von der zunehmend radikalen israelischen Regierung mit Waffen versorgt würden.
«Die Gewalt gegen Palästinenser im Westjordanland hat stetig zugenommen, einschließlich der Bombenangriffe der israelischen Luftwaffe.»
Das Rekrutierungsmuster der IDF erkläre die zunehmende Gewalt gegen die Palästinenser, so Hersh. Demnach stammen 40 bis 45 Prozent der heutigen höheren Offiziere in der IDF aus Siedlerfamilien im Westjordanland, die «tiefe Religiosität mit Netanyahus politischer Leidenschaft» verbinden.
Der israelische Veteran habe ihm erzählt, dass er mit Kollegen entsetzt zusah, wie israelische Bombenangriffe und Erdbewegungsmaschinen den Norden Gazas weiter «nivellierten» und in eine tote Zone verwandelten. Es gebe «immer mehr Berichte von Obersten und sogar Generälen, die den Befehl erteilen, jeden Palästinenser, den man sieht, zu töten und jedes noch stehende Gebäude zu zerstören».
«Israels Krieg in Gaza ist fanatisch geworden. Es ist ‹Apocalypse Now›. Töten um des Tötens willen. Es ist Korruption wie nie zuvor.»
Der Veteran habe auf einen Bericht der israelischen Zeitung Haaretz vom Dezember hingewiesen, der sich mit dem Geschehen im Netzarim-Korridor beschäftigt. Diese einst schmale, teilweise asphaltierte Straße trenne den Norden und Süden des Gaza-Streifens und sei seit dem Angriff vom 10. Juli 2024 von der IDF zu einer vier Kilometer breiten Sicherheitszone ausgebaut worden.
Hunderte von Gebäuden in der Nähe, darunter ein Krankenhaus, seien dafür mit Bulldozern plattgewalzt worden, um Platz für die IDF zu schaffen. Laut Haaretz befehlen die dort eingesetzten IDF-Offiziere ihren Soldaten, Bewohner des Gazastreifens zu erschießen, auch jene, die mit ihren Kindern nach Nahrung und Sicherheit suchen.
«Viele wurden auf Anordnung höherer Offiziere, die sie als Terroristen einstuften, kurzerhand hingerichtet.»
Dort eingesetzte IDF-Soldaten berichteten der Zeitung, dass bestenfalls einer von zwanzig dieser Menschen aus Gaza, die nach irgendeiner Art von Hilfe suchten, ein «Terrorist» gewesen sei. Trotzdem wurden alle «routinemäßig niedergeschossen». Ein Kommandeur habe den Korridor «die Leichenstraße» genannt: Weil es dort wegen der nicht eingesammelten Leichen «Rudel wilder Hunde gibt, die kommen, um sie zu fressen».
Das Gebiet sei zur «Tötungszone» erklärt worden, wo jeder, der es ohne Erlaubnis betritt, erschossen werden soll. Dem Zeitungsbericht nach gibt es einen Wettbewerb zwischen den verschiedenen IDF-Einheiten, die mit der Bewachung des Korridors beauftragt waren.
«Wir töten Zivilisten, die dann als Terroristen gezählt werden.»
Wenn eine Einheit 150 Tötungen vorzuweisen habe, «strebt die nächste Einheit 200 an», wird ein IDF-Offizier zitiert. Hersh erinnert daran, dass er selbst solche «Wettbewerbe» bei den US-Truppen im Vietnam-Krieg erlebt habe.
«Es gab Belohnungen für das Töten der meisten Vietnamesen: ein Wochenende weit weg vom Krieg mit einem All-you-can-eat-Barbecue für die siegreiche Einheit, inklusive Bier im Überfluss und zu besonderen Anlässen eine Busladung vietnamesischer Prostituierter, die aus einer nahe gelegenen Stadt mit dem Bus gebracht wurden.»
Einst große, aber zerfallende Armeen, ob in Gaza oder Vietnam, würden in die gleichen Muster verfallen, so der 87-jährige US-Journalist. Er verweist auf gemäßigtere Stimmen in Israel wie Ex-General Yai Golan, Parlamentsabgeordneter und Ex-Vize-Wirtschaftsminister, heute Vorsitzender der neu gegründeten Partei der israelischen Demokraten, einer liberalen zionistischen Gruppe.
Golan habe in einem Interview mit dem israelischen Magazin Moment erklärt, dass ein Waffenstillstand mit der Hamas machbar sei. Aber Netanjahu «zieht es vor, den Krieg weiterzuführen, um die rechtsextremen Mitglieder seiner Koalition zu beschwichtigen, die die Siedlungen in Gaza wieder aufbauen wollen».
Siedlungen im Norden und Süden des Gaza-Streifens für die religiösen Eiferer, die Netanjahu unterstützen, seien Teil des Plans, so Hersh. Der israelische Ex-General habe davon gesprochen, dass es in Israel mindestens vier verschiedene «Stämme» gibt: ultraorthodoxe Juden, orthodoxe Juden, säkulare Juden und Araber. Golan wolle die Kluft zwischen diesen Gruppen überbrücken und «rechtliche Gleichstellung und Chancengleichheit für alle fördern».
Aus Sicht des Ex-Militärs will Netanjahu eine Einigung mit der Hamas zu den Geiseln vom Angriff am 7. Oktober 2023 verhindern:
«Der Krieg im Süden bietet die Möglichkeit, die israelische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass wir uns in einer Notlage befinden und nur er uns retten kann.»
Golan erklärte, die derzeitige Regierung Israels bevorzuge «das Schlechte» – «Das ist ihr Hauptverbrechen.»
«Diese Regierung ignoriert die Interessen Israels und dient nur den persönlichen und politischen Interessen ihrer Mitglieder.»
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