Der investigative US-Journalist Seymour Hersh (88) behauptet in einem am Freitag veröffentlichten Text, dass gemäß ihm vorliegenden Informationen die iranischen Atomanlagen durch den US-Angriff am 22. Juni weitgehend zerstört worden seien. Er widerspricht damit ein weiteres Mal anderslautenden Medienberichten, sieht allerdings das iranische Atomprogramm nur um Jahre zurückgeworfen, nicht vollständig ausgeschaltet.
Es gehe ihm nur um die Darstellung der Vorgänge, nicht um die Frage, ob Iran tatsächlich davorstand, eine Atombombe zu bauen, wie die Regierungen Israels und der USA behaupten. Hersh stützt sich dabei auf Aussagen anonymer US-Regierungsmitarbeiter, die an Planung und Durchführung des Angriffs beteiligt gewesen seien.
Die Berichte von US-Medien wie den TV-Kabelsendern CNN und MSNBC, wonach laut einer angeblichen Analyse des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA) die Angriffe der US-Luftwaffe im Iran am 22. Juni ihr primäres Ziel nicht erreicht hätten, seien nicht korrekt. So sei es nicht das Ziel gewesen, die vollständige Zerstörung der iranischen Atomwaffenfähigkeit zu erreichen, schreibt der US-Journalist. Die Berichte der Medien seien von der «Abneigung – ja sogar Verachtung – gegenüber Präsident Donald Trump» vorangetrieben worden.
Hersh erinnert in dem Zusammenhang daran, dass er zu Beginn seiner journalistischen Laufbahn ein wichtiges Prinzip für Reporter gelernt habe:
«Wenn deine Mutter sagt, dass sie dich liebt, überprüfe es.»
Das hätten die US-Medien nicht beherzigt, stellt er fest, und erklärt, es habe die vermeintliche DIA-Analyse zum Angriff vom 22. Juni nicht gegeben. Mutmaßlich sei ein Bericht dazu vom zuständigen US-Zentralkommando (CENTCOM) auf der MacDill Air Force Base in Tampa, Florida, an das DIA-Hauptquartier am Potomac River in Washington «von einer nicht dazu befugten Person kopiert oder zusammengefasst und an verschiedene Medien weitergeleitet» worden.
Viele der an der Planung und Durchführung des Angriffs Beteiligten seien der Ansicht, dass der Bericht «aus politischen Gründen» zusammengefasst und weitergegeben wurde – «um sofort Zweifel am Erfolg der Mission zu säen». Die ersten Berichte hätten sogar suggeriert, das iranische Atomprogramm habe den Angriff unbeschadet überstanden.
Sieben US-Bomber vom Typ B-2 «Spirit» sind den Informationen nach mit jeweils zwei 30.000 Pfund (rund 14 Tonnen) schweren «Bunkerbrechern» mit hoher Durchschlagskraft an Bord ungehindert von ihrem Stützpunkt in Missouri (USA) zum Hauptziel geflogen: der iranischen Atomanlage in Fordo, die tief in einem Berg mehr als 30 Kilometer nördlich der Stadt Qom versteckt liegt.
Die Planer seien von der Erkenntnis ausgegangen, dass das Hauptziel – der zentrale Arbeitsbereich des Atomprogramms – mindestens 80 Meter unter der felsigen Oberfläche von Fordo verborgen war. Dort sei mit Gaszentrifugen auf nicht waffenfähiges Niveau – Uran-235-Isotope, angereichert auf 90 Prozent –, von 60 Prozent angereichert worden. Die weitere Verarbeitung zu waffenfähigem Uran hätte gegebenenfalls innerhalb weniger Wochen oder sogar noch schneller erfolgen können, so Hersh.
Die Planungsgruppe der US-Luftwaffe sei vor dem Bombenangriff höchstwahrscheinlich von den Israelis, die über ein umfangreiches Spionagenetzwerk im Iran verfügen, darüber informiert worden, dass mehr als 200 Kilogramm des in Fordo gelagerten angereicherten Urans zur Forschungsanlage in Isfahan, 215 Meilen südlich von Teheran, in Sicherheit gebracht worden waren. Isfahan sei die einzige bekannte Anlage im Iran, in der Uran hoch angereichert werden könnte – ein entscheidender erster Schritt zur Herstellung einer Bombe. Sie sei von den USA separat angegriffen und durch Tomahawk-Marschflugkörper zerstört worden.
Ihm sei als Journalist, der seit Jahrzehnten über die aufkeimende Atomkrise im Nahen Osten berichtet, ebenso wie seinen «informierten Freunden in Washington und Israel» klar gewesen, dass ohne die Anlage in Isfahan kein Atombombenbau möglich sei, schreibt Hersh. Er habe erfahren, dass für die US-Planer klar gewesen sei, dass sie mit den mehr als einem Dutzend eingesetzten bunkerbrechenden Bomben die Atomanlagen in Fordo zerstören könnten.
Die Bomben sollten demnach von den US-amerikanischen B-2-Bombern unter Verwendung modernster Leitsysteme «sorgfältig verteilt und abgeworfen» werden. Auf eine Frage in den Beratungen vor dem Angriff, was passieren würde, wenn die Leitsysteme der B-2 durch ein externes Signal gestört würden, sei geantwortet worden: «Wir würden das Ziel verfehlen.»
Einige der Bomben seien außerdem mit einem sogenannten «Hard Target Void Sensing Fuze» ausgestattet, was ihnen ermögliche, mehrere Schichten einer Anlage wie Fordo zu durchdringen, bevor sie detonierten. Dadurch würde die zerstörerische Wirkung maximiert werden. Hersh zitiert einen seiner Informanten, der stolz sei auf diese Bomben:
«Die Bomben haben ihr eigenes Loch gegraben. Wir haben eine 30.000 Pfund schwere Stahlkugel gebaut.»
Am wichtigsten sei jedoch, dass nach dem Angriff keine Hinweise auf Radioaktivität festgestellt worden seien. Das ist aus Sicht von Hersh «ein weiterer Beweis dafür, dass die mehr als 200 Kilogramm angereichertes Uran vor dem US-Angriff in die Wiederaufbereitungsanlage in Isfahan gebracht worden seien. Zur US-Operation «Mitternachtshammer» habe noch ein dritter Angriff auf eine weitere Atomanlage in Natanz gehört.
Die US-Bomben hätten alle geplanten Ziele getroffen, sei ihm gesagt worden. Selbst wenn der Iran einige Zentrifugen wieder aufbaue, werde er Isfahan weiterhin brauchen, ohne das kein Uran weiter angereichert werden könne. Auf die Frage, warum die Öffentlichkeit «nicht über den Erfolg des Angriffs und die Tatsache, dass der Iran nun keine potenzielle Atomwaffe mehr besitzt», informiert worden sei, sei ihm geantwortet worden:
«Es wird einen streng geheimen Bericht über all das geben, aber wir erzählen den Menschen nicht, wie hart wir arbeiten. Wir sagen der Öffentlichkeit, was sie unserer Meinung nach hören will.»
Zur Zukunft des iranischen Atomprogramms sagte Hershs Informant, die Absicht der Angriffsplaner sei es gewesen, «die Iraner daran zu hindern, in naher Zukunft – etwa innerhalb eines Jahres – eine Atomwaffe zu bauen, in der Hoffnung, dass sie es nicht erneut versuchen würden.» Es sei klar gewesen, dass nicht das Atomprogramm vollständig «ausgelöscht» werden sollte. «Wir wissen nicht einmal, was das bedeuten würde», habe der US-Regierungsmitarbeiter erklärt.
Für Trump-Kritiker sei das Ergebnis, «dass das Glas halb leer ist – die Zentrifugen könnten überlebt haben und 180 Kilo zu 60 Prozent angereichertes Uran fehlen»: ein Beleg für den «Misserfolg». Es habe nicht sichergestellt werden können, dass die bunkerbrechenden Bomben die zu tief liegende Zentrifugenkammer durchschlagen würden. Aber sie können «unbekannte Schäden» verursacht haben, so der Hersh-Informant.
«Ob das 60-prozentige [angereicherte Uran] dort war oder nicht, ist irrelevant, da es ohne Zentrifugen nicht zu waffenfähigem Material verarbeitet werden kann. Hinzu kommt, dass die für eine Bombe erforderlichen Forschungs-, Veredelungs- und Umwandlungsarbeiten von Gas zu Metall in Isfahan ebenfalls wegfallen.»
Hersh selbst zieht folgendes Fazit:
«Der unmittelbare Nutznießer des Einsatzes von US-Streitkräften im Iran wird nicht ein friedlicherer Naher Osten sein, sondern Israel und Premierminister Benjamin Netanjahu. Die israelische Luftwaffe und die Armee töten weiterhin massenhaft Palästinenser in Gaza.
Es gibt nach wie vor keine Beweise dafür, dass der Iran kurz davor stand, eine Atommacht zu werden. Aber wie die Welt seit Jahrzehnten weiß, verfügt Israel über ein bedeutendes Atomwaffenarsenal, dessen Existenz es offiziell leugnet.»
Es gehe in seinem Beitrag «nicht um das große Ganze, das unübersichtlich ist, sondern um eine erfolgreiche US-Mission, über die aufgrund eines verhassten Präsidenten viel schlampig berichtet wurde». Aus Sicht des US-Journalisten wäre es «ein Durchbruch gewesen, wenn jemand in den Mainstream-Medien über die Doppelmoral gesprochen oder geschrieben hätte, von der Israel und sein Atomschutzschild profitieren». Aber das sei in den USA «nach wie vor ein Tabu».