Der Krieg in der Ukraine werde «nur durch Diplomatie» beendet – «oder aber durch die überwältigende Niederlage der unterbesetzten, schlecht ausgebildeten und schlecht ausgerüsteten ukrainischen Armee». Das schreibt der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh in seinem jüngsten, am Donnerstag veröffentlichten Text.
Ein diplomatisches Kriegsende sei aber nur möglich, «wenn in Kiew und Washington die Vernunft siege, stellt Hersh fest. Er schreibt, die USA hätten in der Amtszeit von Joseph Biden 175 Milliarden US-Dollar ausgegeben, «um einen Krieg zu führen, der nicht gewonnen werden kann und wird».
Dabei hätte dieser Krieg vermieden werden können, meint der bekannte investigative Journalist und beruft sich dabei auf US-Geheimdienstkreise. In diesen gebe es einige, aus deren Sicht die USA «selbst die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine tragen». Der Schlüssel dafür liegt aus seiner Sicht in der NATO-Osterweiterung, worauf die russische Führung und Russlands Präsident Wladimir Putin seit langem aufmerksam machten.
«Putin und seine Vorgänger in Moskau haben drei Jahrzehnte lang – seit der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 – zugesehen, wie die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) neue Mitgliedsstaaten aufnahm, welche die NATO bis vor die Haustür Russlands brachten. Putins offensichtliche Befürchtung bei Amtsantritt der Regierung Biden [2021], dass die Ukraine als nächstes beitreten würde, hätte mit ein paar Worten aus Washington besänftigt werden können.»
Doch Biden und seine wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Berater hätten nichts dergleichen verlauten lassen. Der gegenwärtige US-Präsident werde in seiner harten Haltung gegenüber Russland von seinen beiden hochrangigen außenpolitischen Beratern unterstützt: von Antony Blinken und dem nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan.
Hersh schreibt, dass es in den US-Geheimdiensten «schon immer» Bedenken gegenüber Bidens irrationalen Ansichten über Russland und dessen Präsidenten gab. Diese würden bis in Bidens Zeit als Mitglied des US-Senats zurückreichen. Ein US-Geheimdienstmitarbeiter habe Hersh berichtet, Biden sehe den russischen Präsidenten als «Todesengel».
Der US-Journalist macht auch auf Bidens «seit langem bestehende Unfähigkeit, die Welt so zu sehen, wie sie ist», aufmerksam. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 habe er keine Anstrengungen unternommen, um ein persönliches Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin zu arrangieren.
Hingegen habe er in einer «erstaunlich theatralischen» Rede zur Lage der Nation im März den Krieg in der Ukraine zur «existenziellen Krise» erklärt, «in der die Zukunft Amerikas auf dem Spiel stehe». Biden behauptete dabei, Putin stifte in Europa Chaos und werde nach der Ukraine nicht Halt machen.
Der US-Präsident forderte den US-Kongress dabei auf, noch mehr Mittel für die Ukraine im Krieg gegen Russland bereitzustellen. Und er behauptete, dass die «freie Welt» in Gefahr sei, wenn die USA sich jetzt zurückziehen würden. Biden wolle «nicht klein beigeben», denn «die Geschichte schaut zu».
Hersh bezeichnet das «nach mehr als zwei tödlichen Jahren des Krieges in der Ukraine und wenig Erfolg» als «erstaunlich theatralisch». Zu dem fehlenden Realitätssinn trügen nach seinen Angaben Blinken und Sullivan bei, die unlängst forderten, das bisherige Verbot zu lockern, wonach die Ukraine keine US-Waffen gegen Raketen- und Artillerie-Standorte in Russland einsetzen dürfe.
Er verweist auf einen Bericht der New York Times, dem zufolge Biden und seine Berater glauben, «dass es eine rote Linie gibt, deren Überschreitung eine heftige Reaktion Putins auslösen würde, obwohl sie nicht wissen, wo diese rote Linie liegt». Sie würden genauso wenig wissen, wie die mögliche russische Reaktion aussehen könnte.
Es sei « für einen Amerikaner leicht, Putin nicht zu mögen, der Reporter ins Gefängnis stecke und keine nennenswerte politische Opposition dulde, einschließlich der Ermordung seiner Feinde», schreibt Hersh. Beweise für seine Behauptungen führt der investigative Journalist nicht an, fügt aber hinzu, dass er deshalb bisher keine Einladungen zu politischen Gesprächen in Moskau angenommen habe.
Er verweist auf Informationen, laut denen inzwischen mehrere ukrainische Kampfbrigaden sich weigerten, sich «an einer selbstmörderischen Offensive gegen eine besser ausgebildete und besser ausgerüstete russische Truppe» zu beteiligen. Die russische Führung unter Putin setze auf Zeit und werde die eigene Offensive in der Ukraine zu einem selbst gewählten Zeitpunkt ausweiten und Charkow einnehmen.
Russland befinde sich in einer Position der Stärke, während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiter um weitreichende US-amerikanische Waffen bitte. Er verlange auch Truppenunterstützung durch die NATO, «die wahrscheinlich nicht kommen wird». Hersh vermisst Worte von Selenskyj für die im April verabschiedete US-Hilfe in Höhe von 61 Milliarden US-Dollar.
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