Richard Wolff ist emeritierter Professor der Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts, Amherst, an der er von 1973 bis 2008 Wirtschaft lehrte. Derzeit ist er Gastprofessor im Graduate Program in International Affairs an der New School University in New York City. Zuvor lehrte er Wirtschaftswissenschaften an der Yale University (1967-1969) und am City College der City University of New York (1969-1973). In einem Youtube-Interview mit Lena Petrova diskutiert er die US-Wirtschaftspolitik, die neuesten Zölle und deren kontraproduktive Auswirkungen sowie den Aufstieg der BRICS+ und deren Überholmanöver gegenüber den G7.
Professor Wolff, die Staatsschulden der USA geraten außer Kontrolle, was auf Verteidigungsausgaben, Medicare und Ähnliches zurückzuführen ist. Gibt es einen Plan, diese Schulden in den Griff zu bekommen?
Es gibt keinen Plan. Die politische Dringlichkeit treibt endloses Schuldenmachen voran. Wir erleben eine bizarre Form des Kapitalismus, in der Konzerne vom Staat verlangen, teure Dinge zu tun, darunter Militärstützpunkte zu unterhalten und den Zugang zu Rohstoffen zu schützen. Gleichzeitig wehren sich diese Konzerne dagegen, Steuern zu zahlen, wodurch die Belastung auf die arbeitende Bevölkerung verlagert wird. Diese benötigt Schulen, Medicare usw., möchte aber auch keine hohen Steuern zahlen.
Was ist die Konsequenz daraus?
Die Konzerne haben immense finanzielle Mittel, um die Regierung zu beeinflussen, während die breite Masse dies kaum kann. Der größte Teil des Geldes liegt in den Händen von reichen Menschen und Unternehmen, die sehr erfolgreich darin waren, die Steuerlast von sich auf die einfachen Leute zu verschieben. Dies geht seit einem Jahrhundert so. Irgendwann wird die Bevölkerung revoltieren. Früher haben wir uns auf progressive Einkommenssteuern verlassen, aber die Konzerne haben das geändert. Nun stecken die Politiker in einer Klemme, da sie nicht mehr Steuern eintreiben können und greifen daher auf Schulden zurück.
Wie beeinflusst dies die nationale Verschuldung?
Die gesamte Staatsschuld ist die Ansammlung von Schulden über die Jahre. Die Regierung finanziert Ausgaben durch Kreditaufnahme, beispielsweise für den Krieg in der Ukraine oder Aktivitäten in Gaza. Politiker würden nicht überleben, wenn sie die Reichen und Unternehmen zur Kasse bitten würden. Das zeigt, dass der amerikanische Kapitalismus in ernsthaften Schwierigkeiten steckt. Am Ende muss die Regierung das Geld auftreiben, um die Zinsen zu zahlen, oft von denselben reichen Leuten und Unternehmen, die das Geld verleihen.
Und was bedeutet das für den Mittelstand in den USA, der zunehmend verschwindet, und die Kluft zwischen Arm und Reich, die sich weiter vergrößert?
Die neuen Handelszölle gegen China, die angeblich zum Schutz der amerikanischen Bevölkerung eingeführt wurden, sind eigentlich kontraproduktiv. Sie sollen die heimische Industrie schützen, indem sie die ausländische Konkurrenz behindern. Ein extremes Beispiel sind Elektroautos und -lastwagen. Die chinesischen Hersteller produzieren die besten Elektroautos zu den besten Preisen, und die Zölle verhindern, dass sie in den USA verkauft werden. Dadurch fehlen amerikanischen Herstellern die Anreize, ihre Produkte zu verbessern, was sie weiter zurückfallen lässt.
Wie wirkt sich das auf den globalen Wettbewerb aus?
Die Verlierer des Wettbewerbs werden geschützt und behaupten immer, dass die Gewinner betrogen haben. Die Chinesen haben jedoch nicht betrogen, sie haben gewonnen. Die Amerikaner können es niemals zugeben, wenn sie mal verlieren. Aber wir haben den Krieg in Vietnam verloren, in Afghanistan und wir verlieren gerade in der Ukraine. Nach 1989 befanden wir uns in einer unipolaren Welt, aber das ist jetzt vorbei. China und seine Verbündeten sind starke Konkurrenten, doch die USA haben Schwierigkeiten, dies zu verstehen. Wir waren einst die technologisch fortschrittlichste Nation, aber das sind wir nicht mehr.
Die USA haben kürzlich allen Ländern gedroht, die Handelsabkommen mit Iran schließen, sie zu sanktionieren. Greifen wir jetzt die BRICS-Länder als Block an?
Die Weltwirtschaft ist jetzt gespalten wie seit 75 Jahren nicht mehr. Das dominierende Bündnis waren die USA und ihre Verbündeten – die G7. Das ist nicht mehr wahr. Es gibt jetzt einen zweiten Block, angeführt von China: die BRICS. Als Block sind die BRICS bereits wirtschaftlich größer als die G7. Die USA befinden sich in einer abnehmenden Position in der Weltwirtschaft, und das wird immer offensichtlicher.
Die US-Außenpolitik scheint nicht gewillt zu sein sich anzupassen. Warum?
Die USA stecken in ihrer eigenen Geschichte fest. Es wurde eine Gesellschaft entwickelt, in der gelehrt wird, dass das Streben nach Profit gut ist. Wenn sich die USA anpassen wollen, müssten sie diese Politik überdenken. Das wird an allen US-Universitäten gelehrt. Trump mag anders klingen, aber er handelt nicht anders. Biden befindet sich in einer schwierigen Position, weil er das vertritt, woran wir seit Generationen glauben. Früher kam das Kapital hierher, weil die Profite hier waren. Jetzt geht das Kapital dorthin, wo die Profite sind.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Junge Menschen stellen grundlegende Fragen und werden nicht davon überzeugt sein, dass die Wahl eines Demokraten oder Republikaners die Lösung ist. Diese jungen Leute verstehen, dass das Problem nicht die Regierung ist, sondern die schreckliche Ungleichheit. Die Ursprünge der Ungleichheit liegen im Unternehmertum und in der Art und Weise, wie dieses organisiert ist. Eine kleine Gruppe von Menschen hat die ganze Macht und trifft alle Entscheidungen. In fünf bis zehn Jahren wird diese Generation radikale demokratische Organisationen in diesen Unternehmen etablieren.
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