Sy würde d’Freiheit gwinne,
wenn sy däwäg z’gwinne wär!
(Sie würden die Freiheit gewinnen,
wenn sie auf diese Weise zu Gewinnen wäre!)
Mani Matter (Berner Mundart-Chansonnier), letzte Zeile des Liedes «Si hei der Wilhälm Täll ufgfüert», 1966

Liebe Leserinnen und Leser

Das Referendum gegen das neue E-ID-Gesetz in der Schweiz steht unter einem schlechten Stern. Erst gab es Streit innerhalb der Piratenpartei, einer der Organisationen, die Unterschriften sammelt, dann gab es Vorwürfe betreffend auf der Post verschwundene Unterschriften, die die Bewegung Mass-Voll gesammelt hatte.

Und nun ist es zu einem handfesten Streit gekommen: Nicolas Rimoldi, Präsident der Bewegung Mass-Voll, hat den Berner EDU-Großrat Samuel Kullmann nach einem Wortgefecht auf offener Straße geohrfeigt. Die Partei EDU hatte sich ebenfalls für das E-ID-Referendum eingesetzt. Anlass für den Streit war die vorzeitige Einreichung von 20.000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei ohne Absprache mit Mass-Voll. Die EDU verurteilte die Gewalt. Das Zustandekommen des Referendums ist immer noch fraglich. In diesen Tagen müssen bei der Bundeskanzlei 50.000 beglaubigte Unterschriften eingereicht werden.

Das Parlament hatte das Gesetz verabschiedet. Reicht es mit der Unterschriftensammlung, dann muss an der Urne abgestimmt werden. Der Urnenentscheid ist bindend.

Streitereien innerhalb der Bürgerrechtsbewegung sind nichts Neues (hier ist nur ein Beispiel). Hat es deshalb vor allem ehrenvolle Niederlagen abgesetzt?

Mit seinem «Chlapf a Grind» hat Mass-Voll-Chef Rimoldi eine Grenze überschritten. Die anderen am Referendum beteiligten Parteien und Bewegungen täten gut daran, dies in Rechnung zu stellen, ihre Differenzen untereinander zu begraben und – falls das Referendum wie erwartet zustande kommt – vereint gegen das Gesetz vorzugehen. Nur so ist es möglich, dieses auf der Ziellinie abzufangen. Eine Zusammenarbeit mit Selbstdarstellern ist nicht zielführend.

Der Berner Chansonnier Mani Matter – er markierte den Beginn einer Serie von Autoren und Komponisten von reichhaltigen Berner Mundartliedern, Songs und Mundartpop – schrieb 1966 sein Lied «Si hei der Wilhälm Täll ufgfüert» (hochdeutsch: «sie führten Wilhelm Tell auf»), das als Warnung dienen kann (hier ist der ganze Liedtext – berndeutsch – und hier eine Aufnahme).

Die Geschichte geht etwa so: Im Gasthaus «Zum Löwen» in Nottiswil (fiktiver Ort) wurde ein Theaterstück über Wilhelm Tell aufgeführt. Das halbe Dorf war daran beteiligt – entweder als Mitwirkende auf der Bühne oder als Publikum im Saal, begleitet von reichlich Bier.

Anfangs lief alles gut: Die Pfarrersfrau spielte die Stauffacherin in einem eindrucksvollen Dialog. Doch kurz vor dem legendären Apfelschuss wurde es turbulent. Der Tellensohn stellte Fragen an seinen Vater, worauf ein Mann aus dem Publikum ungeduldig dazwischenrief. Als ein Freund Tells daraufhin einen Witz machte, eskalierte die Situation: Ein als Wache verkleideter Darsteller schlug ihn mit einer Hellebarde in den Bauch – und das Publikum mischte sich ein.

Ein wilder Streit brach aus, die Zuschauer teilten sich in zwei Lager: die einen für Österreich, die anderen für Tell. Mit Requisiten wie Kartonschwertern und Theaterkulissen wurde eine regelrechte Schlägerei entfacht, die bald in ein handfestes Chaos ausartete – sogar Gläser flogen; Bier und Blut vermischten sich. Erst nach zwei Stunden war der Spuk vorbei: Die «Österreicher» waren geschlagen.

Diese Aufführung war wohl die «realistischste» Darbietung des Wilhelm Tell aller Zeiten. Aber auf diese Art, schließt das Lied, durch Gewaltanwendung, lässt sich die Freiheit nicht gewinnen. Oder Berndeutsch wie im Eingangszitat: «Sy würde d’Freiheit gwinne, wenn sy däwäg z’gwinne wär!».

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Daniel Funk

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