Die Cancel Culture schreitet stetig voran und treibt immer absurdere Blüten. Der Berliner Gitarrist und Sänger El Alemán hat sich in den letzten Jahren an diese Art der subtilen Bestrafung eigentlich gewöhnt, muss aber dennoch immer wieder überrascht feststellen, wie sensibel manche Veranstalter sind.
Vordergründig geht es dabei um den Schutz von Minderheiten. Dafür wurde in den letzten Jahren eine gewaltige Trutzburg aus Sprachregeln erbaut, an die sich auch Künstler zu halten haben, wenn sie die Bühne betreten wollen. Umerziehung durch Bestrafen – das ist die Methode all jener, die heutzutage auf der Folie woker Ideologie bestimmen, was moralisch ist und was nicht.
Eine solche Lehrstunde bekam El Alemán nun im Vorfeld eines Konzerts, das er zusammen mit der Sängerin Karola Nitsch im Verein Kiezbund «WAMA» Berlin-Altglienicke geben sollte. Organisiert hatte es eine Freundin von ihm, die sich dort seit mehreren Jahren engagiert. Das Konzert wurde zunächst genehmigt, das Geld beantragt.
Dann reichte El Alemán 30 Plakate ein, damit der Auftritt beworben werden konnte. «Gipsy Fiesta», stand da – «Gipsy Pop & Zigeunerlieder». Diese Ausdrücke wurden dem Künstler zum Verhängnis, insbesondere das Z-Wort, das nach Ansicht der woken Sprachpolizei eine «rassistische Fremdbezeichnung» darstellt.
Engagement im Romamusik-Ensemble
Nun muss man wissen, dass El Alemán seinen Künstlernamen nicht zufällig gewählt hat. Der Berliner Musiker wuchs in der DDR auf, absolvierte zunächst eine Ausbildung auf der klassischen Gitarre und spielte in den 1980er Jahren in mehreren Rock- und Popgruppen. Nach dem Mauerfall bekam er 1999 ein Angebot, bei einem Berliner Romamusik-Ensemble einzusteigen. Durch dieses Engagement lernte er die spanische Gitarre schätzen.
Perfektioniert hat er sie während seiner Reisen durch Spanien, wo er mit Flamenco in Berührung kam und mit anderen Musikern dieses Genres spielte. Die Begriffe «Gipsy Music» und «spanische Zigeunerlieder» sind in diesem Bereich so gebräuchlich, dass niemand auf die Idee käme, sie als diskriminierend oder rassistisch zu betrachten – nicht einmal die Angehörigen der Sinti und Roma, von denen nicht wenige unter dieser Bezeichnung auftreten. Die «Gipsy Kings» sind wohl die bekanntesten Vertreter dieses Genres.
Für die meist jungen Vereinsmitglieder des Kiezbund Altglienicke spielt das alles keine Rolle. Sie orientieren sich an den Vorgaben der woken Ideologie. Folglich wurde das Konzert abgesagt. El Alemán, der das von seiner Freundin erfahren hatte, versuchte daraufhin, sich mit den Vereinsmitgliedern über eine Lösung zu verständigen, und teilte unter anderem mit, dass er und Karola Nitsch mit dem Programm «Gipsy Fiesta» schon seit 25 Jahren aufträten. Diese Art von Ablehnung habe man noch nie erfahren müssen, schrieb er in einer seiner E-Mails:
«Es ist die Musik eines kleinen Volkes ohne eigenes Land. Sie sind verstreut in der ganzen Welt. Vertrieben, verfolgt und geächtet bis heute. In unseren Konzerten geht es nicht nur um die Freude und den Schmerz in der Musik, sondern auch um Aufklärung.»
Widersprüchliche Begründungen
Doch dieses Argument half genauso wenig wie der Vorschlag, das böse Z-Wort auf dem Plakat zu überkleben. In der Begründung lavierte man und jonglierte herum. Einerseits ist im E-Mail-Verkehr davon die Rede, dass die rassistischen Begriffe nicht reproduziert werden sollten, andererseits stehe die Absage der Räume «mit dem Plakat in keinem Zusammenhang».
Ausschlaggebend sollen El Alemáns Alben gewesen sein, die der Musiker während der Corona-Jahre veröffentlicht hatte. Darauf sind nicht spanische und osteuropäische Zigeunerlieder zu hören, sondern solche, die auf kritische Weise die Maßnahmen-Politik und die autoritäre Entwicklung in den Folgejahren verarbeiten, unter anderem mit Bezügen zur DDR-Zeit.
Das scheint ein noch viel größeres Vergehen darzustellen als die Verwendung des Z-Worts. Ihnen sei aufgefallen, schreiben die Vereinsmitglieder des Kiezbunds Altglienicke in einer E-Mail, «dass Ihre Texte politische Inhalte transportieren, die durch das Medium Musik automatisch verkürzt und vereinfacht dargestellt werden und an aktuelle gesellschaftliche Ängste und Stimmungen andocken.» In einer vorherigen E-Mail an die vermittelnde Freundin des Musikers war auch die Rede davon, dass «die Werte des Künstlers nicht mit den Werten der Stadtteilarbeit im Einklang» seien.
Verein offenbar gegen Meinungsfreiheit
Welche Werte sind es, die nicht mit denen der Vereinsmitglieder übereinstimmen? In seinen Alben mit den Titeln «Status 2020» und «In diesen Zeiten» spricht sich El Alemán vor dem Hintergrund der Corona-Politik für Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit aus. Letztere scheint dem Kiezbund Altglienicke in der Tat ein Dorn im Auge zu sein – ansonsten hätten die Vereinsmitglieder das Konzert nicht deswegen abgesagt, weil der Musiker zum Thema Corona-Politik eine andere Meinung hat als sie.
Ebenso widersprüchlich erweist sich das Bestreben nach Inklusion. Mit derlei Begründungen schließen sie Menschen nicht ein, sondern aus, nur nach eigenen Kriterien. Auch das ist Diskriminierung. Das moralische Getue erweist sich ein weiteres Mal als Farce, als durchschaubare Heuchelei.
«Wir sehen es als unsere Aufgabe, Gemeinschaft zu fördern und Ängste abzubauen», lautet die Selbstbeschreibung in einer E-Mail an den Musiker. Die Angst vor der Cancel Culture kann der Verein vorerst nicht abbauen. Im Gegenteil: Die wird durch solche Absagen immer größer, nicht nur für El Alemán, sondern für alle Künstler, die sich der woken Ideologie nicht fügen wollen.
Auf Facebook reagierte der Musiker auf den Vorfall mit klaren Worten, die die Doppelmoral der Vereinsmitglieder entlarven. Den Aktivisten sei wohl nicht klar, schreibt er, «dass sie mit dem Verbot der Worte auch die Sichtbarkeit einer kulturellen Minderheit verhindern». Die Lust, mit dieser Musik aufzutreten, ist ihm vergangen. Er will sich weder Rassismus noch kulturelle Aneignung vorwerfen lassen. Allerdings weiß er, was passiert, wenn er sich von dieser Art der Cancel Culture einschüchtern lässt:
«Selbst wenn ich nun den Programmtitel ‹Gipsy Fiesta› in ‹Spanische und osteuropäische Musik› ändere, um dadurch diese Musik dennoch zu präsentieren, würde ich genau dieser Agenda folgen und sie dabei auch noch unterstützen.»
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