Der Krieg in der Ukraine geht weiter, doch in der Kiewer Führungsetage scheint es ernsthafte Auseinandersetzungen über den weiteren Weg zu geben. Bei dem Machtkampf zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und Armee-Oberbefehlshaber Waleri Saluschnyj soll es um nichts weniger als das Ende des Krieges gehen, schreibt der US-Journalist Seymour Hersh in seinem jüngsten Beitrag.
Westliche Medien meldeten in den letzten Tagen, Selenskyj habe Saluschnyj entlassen. Doch dieser scheint weiter im Amt zu sein. Nach aussen geht alles weiter wie bisher, doch hinter den Kulissen wird laut Hersh an einem Ende des Krieges gearbeitet.
«Das anhaltende Drama zwischen den beiden hat bei vielen in Washington Bestürzung ausgelöst», so der investigative Journalist, der sich auf Aussagen eines US-Regierungsbeamten stützt. Er zeigt auch, dass die USA in die Vorgänge tief verwickelt sind.
Auslöser sei gewesen, dass Saluschnyj im vergangenen Herbst gegenüber der britischen Zeitschrift The Economist sagte, der Krieg gegen Russland befinde sich in einer Pattsituation. Diese Aussage sei nicht mit Selenskyj abgesprochen worden, aber laut Hersh bereits in Washington bekannt gewesen.
In Kreisen des US-Kriegsministeriums Pentagon sowie der US-Geheimdienste sei Saluschnyjs Einschätzung begrüsst worden – «als Beginn eines unvermeidlichen Friedensprozesses», so der Journalist. Er hatte am 1. Dezember bereits über angebliche geheime Gespräche zwischen Saluschnyj und dem russischen Generalstabschef Waleri Gerassimow geschrieben. Letzterer habe dies mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin abgesprochen, was in Kiew nicht der Fall gewesen sei.
Eines der Themen für ein Ende des Krieges sei die Wiederaufnahme des Gefangenenaustausches zwischen beiden Seiten gewesen. Dieser war im Laufe des Krieges weitgehend eingestellt worden. Durch den Abschuss einer russischen Il-76-Transportmaschine mit ukrainischen Kriegsgefangenen durch eine ukrainische Rakete sei das Thema öffentlich bekannt geworden.
In den USA wird laut Hersh vermutet, Selenskyj wolle Saluschnyj loswerden, weil dieser seit Herbst 2023 an geheimen Gesprächen mit westlichen Regierungsvertretern teilgenommen habe. Dabei sei besprochen worden, «wie man am besten einen Waffenstillstand erreichen und ein Ende des Krieges mit Russland aushandeln könnte». Diese Gespräche hätten den ukrainischen General veranlasst, gegenüber dem Economist von einer Pattsituation im Krieg zu sprechen.
Der US-Journalist schreibt, «einige» US-Militärs und -Geheimdienstmitarbeiter seien daran interessiert, das politische System in der Ukraine zu «reformieren». Zudem würden sie Saluschnyjs Bemühungen um weitereichende Gespräche mit Russland für ein Kriegsende unterstützen. Hersh gibt Aussagen eines US-Beamten wieder, wonach Washington von Selenskyj verlange, gegen die grassierende Korruption vorzugehen.
Dies geschehe nicht aus irgendwelchen edlen Motiven heraus, sondern aus Sorge darum, was mit den vielen Unterstützungsgeldern aus dem Westen geschieht. Laut dem Beamten solle Selenskyj die benötigten Milliarden «als unser Geld betrachten, als eine Investition mit allen Regeln» für ihre Auszahlung, «die dargelegt und befolgt werden müssen».
Hersh berichtet, CIA-Chef William Burns solle 2023 bei einem Geheimbesuch in Kiew Selenskyj persönlich gewarnt haben, dass Washington von seiner persönlichen Korruption und seiner mangelnden Bereitschaft, einen der korrupten Beamten zu entlassen, wisse. Burns habe den Kiewer Präsidenten auf die Unzufriedenheit einiger seiner Untergebenen hingewiesen, «weil er einen zu grossen Anteil an der Beute einstecken würde».
Der neue Plan aus den USA setze auf den Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur und der Wirtschaft. Darin werde ein Waffenstillstand nicht erwähnt, nach dem Prinzip: «Lassen wir die Russen weiter so viel Geld ausgeben, wie sie es im Krieg getan haben.» Vor allem gehe es um die Unterstützung von Saluschnyj und Reformen, «die zum Ende des Selenskyj-Regimes führen würden».
Dieser Plan sei von «Experten in der Geheimdienst- und Militärbürokratie ohne Beteiligung des Weissen Hauses, des Aussenministeriums oder des Nationalen Sicherheitsrates entwickelt» worden, so Hersh. Er stamme von den US-amerikanischen und ukrainischen Generalstäben und setze auf Investitionen aus der Privatwirtschaft, habe sein Informant erklärt.
Dieser habe die Spannungen zwischen Selenskyj und Saluschnyj als «altmodischen Machtkampf» bezeichnet. Selenskyj werde «ein toter Mann» sein, wenn er sich offen gegen den General stelle, der die Armee hinter sich habe. Es gehe darum, «diesen Wahnsinn zu stoppen», wird das Motiv für den US-Plan benannt, da «viele Menschenleben auf dem Spiel» stünden.
Auch Russlands Präsident Putin suche einen Ausweg aus dem Krieg, zitiert Hersh den US-Regierungsbeamten. Er habe die Botschaft aus den USA verstanden, bei der es darum gehe, «den Krieg zu beenden und den Finanzplan für die Ukraine festzulegen».
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