Der Süden des Gaza-Streifens wurde von der israelischen Armee zu Beginn des Krieges gegen die palästinensisch-islamistische Organisation Hamas, der auf deren Angriff vom 7. Oktober folgte, als «sichere Zone» bezeichnet. Die Menschen in Gaza-Stadt und anderen Siedlungen im Norden wurden aufgefordert, in den Süden zu fliehen, wenn sie nicht von den massiven israelischen Bombardierungen getroffen werden wollten.
Doch diese Behauptung der Armee und der religiös-fundamentalistischen Regierung Israels erweist sich als Lüge. Für die mehr als 1,8 Millionen Palästinenser, die auf der Flucht vor dem Rache- und Vernichtungsfeldzug der Israelis sind, ist sie eine tödliche Falle.
Das zeigt sich unter anderem in der Siedlung Khan Younis im Süden des Gaza-Streifens, die längst ebenfalls bombardiert und angegriffen wird. Die in Gaza ansässige Journalistin Ruwaida Amer berichtet darüber für das Portal Electronic Intifada.
Ihrem Bericht zufolge hat sich die Angst der Menschen dort noch verschlimmert, nachdem Israel mit der Bodeninvasion begonnen und die Bombardierung der Stadt intensiviert hat. Es habe Hoffnung gegeben, dass der kurze Waffenstillstand von Ende November verlängert werden würde. Das sei nicht geschehen, dafür sei aber danach die Bombardierung von Khan Younis noch intensiviert worden.
Überall habe es Tote und Verwundete gegeben, schreibt Amer. «Es war, als hätte die Stadt plötzlich Feuer gefangen.» Das israelische Militär habe den Menschen im Osten der Stadt befohlen, ihre Häuser zu verlassen. Sie mussten in Schulen und Krankenhäuser flüchten, die bereits voll waren. Einige Menschen seien nirgendwo untergekommen und lebten nun auf der Strasse. Aus der angeblich «sicheren Zone» sei ein Albtraum geworden, dem niemand entkommen könne.
«Zu Beginn des Waffenstillstands hatten wir das Gefühl, dass wir ein wenig durchatmen und schlafen konnten, ohne die Geräusche von Kampfflugzeugen und Drohnen zu hören», zitiert die Journalistin Maryam al-Sayed aus al-Qarara, östlich von Khan Younis. Doch am ersten Tag nach dem Waffenstillstand habe die israelische Armee die Angriffe fortgesetzt.
Auf die Anweisung, die Gebiete östlich von Khan Younis zu evakuieren, seien weitere Befehle der israelischen Armee gefolgt. Einige Tage nach dem Ende des Waffenstillstands habe Israel die Menschen in der Innenstadt von Khan Younis angewiesen, ihre Häuser zu verlassen, wie Amer berichtet. Schulen und Krankenhäuser mussten in der Folge weitere Vertriebene aufnehmen, schreibt sie. Da sauberes Wasser äusserst knapp sei, steige das Risiko der Ausbreitung von Krankheiten.
Auch die Bewohner von Hamad City, einer der neuesten Wohnsiedlungen in Gaza, wurden zur Evakuierung aufgefordert. Danach sei auch dieses Gebiet bombardiert worden. «Ich werde nie vergessen können, wie sechs Türme zerstört wurden und zu Boden fielen», sagte Yasser Fares, der in Hamad City lebte, gegenüber der Journalsitin. «In den Stunden nach der Bombardierung waren nicht mehr viele Menschen in der Stadt. Wir sind alle losgezogen, um einen Unterschlupf zu suchen.» Fares habe gesagt:
«Wenn wir nicht durch die Bombardierung sterben, werden wir an Kälte, Hunger und Durst sterben. Es gibt keine andere Möglichkeit der Unterkunft. Gaza kann einen so hässlichen und gewalttätigen Krieg nicht verkraften.»
Der Mann sei mit seiner Familie in einer Schule untergekommen, die von der UN-Agentur für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) betrieben wird. Dort lebten bereits tausende Flüchtlinge.
«Wir können nicht schlafen und kommen nicht zur Ruhe. Aber wir sind gezwungen, diese sehr tragische Situation zu akzeptieren. Wir werden alles für die Sicherheit unserer Kinder tun, auch wenn es nirgendwo sicher ist. Der ‹sichere Süden› ist zu unserem Friedhof geworden.»
Brutales Vorgehen für endgültiges Ziel
Der Bericht der Journalistin auf Electronic Intifada bestätigt, was das Schweizer Portal Infosperber unterdessen in einem Beitrag vom letzten Montag schreibt:
«Vieles deutet daraufhin: Das Kriegsziel der Regierung Netanyahu ist ein Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer.»
Die israelische Regierung wolle die Palästinenser aus Gaza vertreiben, so Autor Urs P. Gasche:
«Der ‹totale Sieg› in Gaza, den Netanyahu nach eigenen Worten anstrebt, bedeutet für die Ultrakonservativen in Israel nicht bloss die Entmachtung der Hamas, sondern die Vertreibung der Palästinenser und die Annexion des Gazastreifens.»
Netanyahus ultranationalistischer Minister für Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, hat erklärt, Israel wolle den Gaza-Streifen übernehmen. Die Palästinenser könnten «nach Saudi-Arabien oder an andere Orte wie den Irak oder den Iran auswandern». Anfang November berichtete der Jerusalem-Korrespondent der New York Times, Israel habe bei den USA, Grossbritannien und anderen Verbündeten vertraulich um Unterstützung dafür ersucht, eine grosse Zahl von Gaza-Bewohnern nach Ägypten umzusiedeln.
Premierminister Benjamin Netanyahu werde öffentlich nicht bestätigen, dass es das Ziel seiner Regierung sei, die Palästinenser umzusiedeln und das Land für Israelis freizumachen, heisst es bei Infosperber. Stattdessen werde versucht, Tatsachen zu schaffen, um dieses Ziel zu erreichen:
«Hunderttausende Frauen, Kinder und Jugendliche, die verdursten, verhungern und von Seuchen heimgesucht werden; viele Schwerverletzte und Kranke, die keine Hilfe mehr erhalten: Eine seit langem nicht mehr dagewesene humanitäre Katastrophe vor den Augen der Weltöffentlichkeit.»
Dadurch werde der Druck auf Ägypten und andere arabische Staaten wachsen, die Palästinenser aufzunehmen:
«Eine Milliarden-Entschädigung für Ägypten könnte dazu beitragen, dass Israel dem Ziel der Ultrakonservativen näherkommt: Ein Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan.»
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