Ein dramatisches Wochenende liegt hinter zahlreichen Menschen in Spanien. Am vergangenen Freitag ordnete der Nationale Gerichtshof unter Federführung von Richter Santiago Pedraz die «vorsorgliche und vorübergehende» Blockierung des Zugangs zum Messengerdienst Telegram an. Heute ist der Richter zurückgerudert, nachdem ernsthafter Widerstand aufgekommen war.
Die Sperrung des Zugangs zu Telegram in ganz Spanien war beschlossene Sache. Nach dem Urteil von Richter Santiago Pedraz verstösst die Plattform wegen dort geteilter Inhalte gegen das Urheberrecht und es mangele an Kooperation. Er gab damit einer Klage von spanischen Medienunternehmen statt. Nach einer Einspruchsfrist von drei Tagen – also theoretisch am heutigen Monatg – sollte die Plattform durch technische Massnahmen der Telekommunikationsanbieter blockiert werden.
Manchmal kommt es jedoch anders. Während sich ein grosser Teil der etwa 8,5 Millionen Telegram-Nutzer in Spanien über mögliche Schutzmassnahmen und Alternativen austauschte und Vorbereitungen traf, waren auch mehrere Bürgerrechtsvereinigungen aktiv.
Die von Anwälten geführte Bürgerbewegung Iustitia Europa, die inzwischen auch Partei ist, reichte am Sonntag bei der Strafkammer des Obersten Gerichtshofs Klage wegen mutmasslicher Rechtsbeugung gegen den Untersuchungsrichter ein. Pedraz wird eine schwere Verletzung der Grundrechte der Informations- und der Ausdrucksfreiheit, der Gleichheit, des politischen Pluralismus sowie des Vereinigungsrechts vorgeworfen. Ausserdem bat sie um Eilmassnahmen zur Aufhebung der vorübergehenden Sperrung.
Die Vereinigung erklärte, der Richter habe «in Anbetracht der Tatsache, dass es viel weniger belastende Massnahmen gibt, auf die restriktivste Massnahme zurückgegriffen». Und weiter:
«Wir sind der Ansicht, dass die Anordnung von Richter Pedraz eine Zensur von Telegram-Nutzern darstellt, die offenkundig unverhältnismässig und zweifellos kriminell ist, da es sich um eine ernsthafte, schwerwiegende und beispiellose Einschränkung der Grundrechte handelt, die sowohl in unserer spanischen Verfassung als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind.»
Auch der Menschenrechtsverein Liberum hat am Sonntag Einspruch gegen die Massnahme erhoben. Im Namen der Öffentlichkeit wurden am zuständigen Gericht Rechtsmittel gegen den Telegram-Beschluss eingelegt. Dieser sei unverhältnismässig und unnötig, die 8,5 Millionen Nutzer des Dienstes träfe keine Schuld an den Vorwürfen.
Am heutigen Montag hat Richter Pedraz überraschend der Aussetzung der Massnahme zugestimmt. Jetzt hat er einen Bericht vom Generalkommissariat für Information angefordert. Bis zum Erhalt dieses Polizeiberichts über die Eigenschaften der Messaging-Plattform sowie über die Auswirkungen dieser Massnahme auf deren Nutzer ist die Anordnung zur Sperrung von Telegram ausgesetzt.
Diese Kehrtwende wird laut Luis María Pardo, Präsident von Iustitia Europa, dazu führen, dass deren Klage in den nächsten Stunden erweitert wird. Das berichtet das Nachrichtenportal The Objective. Es handele sich nämlich hierbei um eine Entscheidung, die in der Rechtsprechung nicht üblich sei, da die Beschlüsse unveränderlich sind.
Die Menschen in Spanien lassen sich nicht alles gefallen und sie wehren sich derzeit mit Erfolg. Das ist ein gutes Zeichen, denn es steht zu befürchten, dass dieses «Zensur-Modell» auf andere Länder und Systeme ausgreifen könnte.
Kommentare