«Kreuzfahrt-Kollaps in Griechenland: Santorini ruft wegen Gästen kurzzeitig Lockdown aus – Videos zeigen Ausmaß», titelte die Frankfurter Rundschau am Donnerstag. Der Artikel vermittelt das Bild eines von Touristen völlig überlaufenen Landes. Erwähnt wird das Beispiel der Vulkaninsel Santorin, die regelmäßig von riesigen Kreuzfahrtschiffen angefahren wird. Es wird erklärt, dass «Bürgermeister Panos Kavallaris» die Inselbevölkerung um Reduktion der Bewegung gebeten habe. Und das nennt die Zeitung «Lockdown».
Es werden dann noch andere Beispiele für Auswüchse des Massentourismus erwähnt, wie zum Beispiel die spanische Insel Mallorca. Was ist davon zu halten? Das Phänomen des Übertourismus gibt es, aber insbesondere in Bezug auf Griechenland vermitteln Artikel wie derjenige in der Frankfurter Rundschau, der von unübersehbar flüchtiger Hand geschrieben wurde, ein komplett falsches Bild.
Der Tourismus in Griechenland erlebt einen Boom, wobei das Land im Jahr 2024 voraussichtlich einen neuen Rekord mit über 40 Millionen Besuchern erreichen wird. Dieser Anstieg des Fremdenverkehrs bringt jedoch auch erhebliche Herausforderungen mit sich, insbesondere auf den beliebten Inseln wie Mykonos und Santorin. Die Einheimischen sind zunehmend besorgt über die negativen Auswirkungen des Massentourismus, insbesondere durch Kreuzfahrtschiffe, die täglich Tausende von Touristen anlanden lassen. Diese Besucher tragen oft wenig zur lokalen Wirtschaft bei, da die Touristen an Bord übernachten und dort auch essen.
Zusätzlich sind Inseln wie Santorin und Mykonos sehr klein und vertragen sowohl aufgrund ihrer Größe als auch der Infrastruktur nur eine begrenzte Anzahl von Touristen.
Inselbewohner und lokale Behörden, wie der Bürgermeister von Santorin, Nikos Zorzos (so heißt er richtig, und nicht Panos Kavallaris wie die Frankfurter Rundschau schreibt), weisen auf die erheblichen Belastungen hin, die durch den Tourismus verursacht werden. Der steigende Wasser- und Stromverbrauch sowie die zunehmende Bebauung gefährden die natürliche Umwelt und die Lebensqualität der Einheimischen.
Die Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis plant daher, Maßnahmen zu ergreifen, um den Touristenstrom zu regulieren. Dazu gehört die Begrenzung der Anzahl der Kreuzfahrtschiffe und die Einführung eines Bieterverfahrens für Anlegeplätze. Solche Regelungen sind bereits an der Akropolis in Athen erfolgreich im Einsatz, wo nur eine begrenzte Anzahl von Besuchern pro Stunde zugelassen wird. Das System soll im nächsten Jahr greifen und die Ankünfte von Kreuzfahrschiffen auf eine handhabbare Zahl reduzieren.
Eine Studie des griechischen Ombudsmanns warnt davor, dass Griechenland sein touristisches Potenzial überstrapaziert und damit langfristig an Attraktivität verlieren könnte. Es wird gefordert, eine klare Strategie und ein besseres Management des Tourismus zu entwickeln, um die Belastung der beliebten Reiseziele zu verringern. Die übermäßige Belastung hat bereits zu einem Rückgang der Besucherzahlen auf Mykonos und Santorin geführt, was zeigt, dass sowohl Einheimische als auch Touristen die Überfüllung und die steigenden Preise zunehmend als problematisch empfinden.
Die Diagnose stimmt also, wenn man nicht generalisiert und sie auf gewisse Hotspots wie Santorin und Mykonos beschränkt. Gut gebucht sind auch die Inseln, die von Charterflügen bedient werden, wie Rhodos, Kreta, Korfu, etc. Das Land hat aber, wenn man die Inseln einrechnet, eine Küste, die etwa die Länge von Afrika aufweist. Es gibt Orte, wo der Tourismus normal läuft und andere, die etwas beliebter sind. Und dann gibt es noch die Destinationen auf dem Festland oder auf Inseln, die vornehmlich dem Binnentourismus dienen oder nur mit dem Schiff erreicht werden können.
Dort ist es wie üblich: Bis tief in den Juli hinein ist normalerweise nicht viel los, in der ersten Augusthälfte, wenn die Griechen traditionell Ferien machen, wird volles Haus erwartet, ab 15. August, Mariä Himmelfahrt, gehen die Besucherzahlen langsam zurück und ab Ende August wird gähnende Leere herrschen.
Wenn man nach den Gründen des Booms fragt, dann wird immer wieder ein Nachholbedürfnis angesichts der Reisebeschränkungen der Corona-Zeit angefügt. Damals wurden tatsächlich mit Erfolg Sommerferien im Tessin und in den Schweizer Bergen propagiert, praktisch holte man die entsprechenden Kampagnen aus den 1930er Jahren wieder hervor. Offenbar hatte das aber keinen langfristigen Effekt. Der zum Beispiel in der Schweiz verregnete Sommer dürfte das Seinige dazu beitragen.
Offensichtlich verfängt auch die Propaganda nicht, die angesichts des Klimawandels Ferien im Süden als etwas Unmoralisches darstellt. Entsprechende Bilder aus dem letzten Jahr, zum Beispiel von Waldbränden auf Rhodos, die dem Klimawandel zugeschrieben wurden, aber damit nichts zu tun haben, sind noch in guter Erinnerung, haben aber offensichtlich nicht den gewünschten Effekt (wir berichteten).
Damit sei nicht gesagt, dass der Tourismus im Süden keine problematischen Seiten hat. Gerade auf griechischen Inseln ist in den letzten Jahrzehnten eine touristische Monokultur entstanden. Diese hat die Kultur der Selbstversorgung und des klugen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen gefährdet oder zerstört.
An die Stelle der landwirtschaftlichen Betriebe traten kleine und große Hotels, Zimmer zum Vermieten oder sonstige touristische Infrastruktur. Der Schutz der Inseln vor Erosion wurde aufgeweicht, die fruchtbaren Böden und der Grundwasserspiegel litten. Auch das traditionelle System der Tierhaltung wurde zerstört. Das traditionelle, gute Quellwasser, das man selber abfüllt, wurde durch vom Festland importierte Plastikflaschen abgelöst. Aber es gibt sie noch, die Inseln, die auf eine traditionelle, nachhaltige Form von Tourismus setzen.
Auch das Verhalten der Touristen lässt oft zu wünschen übrig. Seit der Saison 2012 können zum Beispiel Türken für zwei Wochen visumsfrei auf die ostägäischen Inseln reisen und dort ihre Ferien verbringen. Die EU versucht, dieser nachbarschaftlichen Annäherung einen Strich durch die Rechnung zu machen. Für die EU ist der Schengenraum ein einheitliches Gebilde, das keine Sonderregeln verträgt. Die griechische Regierung konnte sich aber bisher in Brüssel durchsetzen.
In Mantamados, im Norden der Insel Lesbos befindet sich ein Kloster aus byzantinischer Zeit, das dem Erzengel Michael geweiht ist. Es gehört zu den bedeutendsten Klöstern der Insel. Eine Besonderheit ist die gemäß Überlieferung wundertätige Ikone des Erzengels Michael, die der Legende nach aus Blut und Lehm geformt wurde.
Schockierend ist dort das Benehmen der türkischen Touristen. Frauen, die im Badeanzug die Kirche betreten und sich vor einer Ikone ablichten, Männer in kurzen Hosen, Gespräche in der Lautstärke eines Kaffeehauses, Konsumierung von Getränken in der Kirche – und das, obwohl die Verhaltensregeln vor der Klosterpforte gut sichtbar in türkischer Sprache angeschlagen sind.
Respektlosigkeit von Touristen – sei es aus Unwissen, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus fehlender Sensibilität. Solche Vorfälle zeigen, dass man auch bei Touristen ein Minimum an Anstand und die Befolgung von lokalen Verhaltensregeln einfordern sollte und dass das Eingehen auf ihre Wünsche Grenzen hat. Hier sind lokale Behörden gefordert.
Was hier am Beispiel Griechenland gezeigt wird, lässt sich auch anderswo in Südeuropa beobachten. In Spanien zum Beispiel auf der Touristeninsel Mallorca oder im für Städtereisen beliebten Barcelona. In Italien steht Venedig im Fokus, das ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrtschiffe ist. Das kroatische Dubrovnik wird wohl auch bald auf der Karte des Übertourismus auftauchen.
Auch außerhalb von Südeuropa wird mittlerweile Kritik am Massentourismus laut. Im Vergleich mit Santorin und Mallorca ist es nur ein leichtes Grummeln, aber auch im bernischen Gletscherdorf Grindelwald kommt Kritik hoch an der Tourismusstrategie.
Wenn man das Ganze zusammenfasst, geht es immer um das Gleiche: Verdrängen von traditionellen Lebensweisen und Bewirtschaftungsformen durch Massentourismus, zu kleiner Beitrag des Tourismus zur lokalen Wertschöpfung durch Tagestourismus, Kreuzfahrtschiffe oder Pauschaltourismus und Konzentration des Tourismus auf wenige Monate oder Wochen im Jahr.
Ja, es gibt das Phänomen des Übertourismus, aber es beschränkt sich auf wenige Hotspots. Ebenfalls ja: Es gibt die negativen Auswüchse des Massentourismus, die sehr verbreitet sind. Aber das ist kein Argument gegen Sommerferien im Süden. Es gibt sie noch, die unberührten Orte im Süden. Welche das sind? Wer sucht, der findet!
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