Kürzlich veröffentlichte die israelische Zeitung Haaretz eine Umfrage, der zufolge 82 Prozent der befragten jüdischen Israelis die Vertreibung der Bewohner des Gazastreifens befürworten (wir berichteten). Selbst 69 Prozent der säkularen Israelis unterstützen dies demnach. 56 Prozent der jüdischen Israelis wiederum sollen die Vertreibung palästinensischer Bürger aus Israel billigen. Zudem ergab die Umfrage, dass fast die Hälfte der jüdischen Israelis die Massentötung von Zivilisten in feindlichen Städten gutheißt, die von der israelischen Armee eingenommen wurden.
Teilgenommen hatten 1005 jüdische Israelis, die laut Tamir Sorek, Professor für Geschichte an der Pennsylvania State University, der die Umfrage durchgeführt hatte, eine repräsentative Stichprobe darstellen. So wurden verschiedene Altersgruppen miteinbezogen wie auch unterschiedliche religiöse Orientierungen: säkular, traditionell, religiös und ultraorthodox.
Eine Woche später publizierte Haaretz eine Kritik der Umfrage. Sie wurde von Lior Sheffer, Alon Yakter und Yael Shomer verfasst, die an der Fakultät für Politikwissenschaft, Regierung und internationale Angelegenheiten der Universität Tel Aviv tätig sind. Den Autoren zufolge sind die in der Umfrage ermittelten Zahlen aufgrund methodischer Probleme irreführend.
So habe eine Stichprobenverzerrung stattgefunden, weil bestimmte demografische Gruppen wie junge Menschen und Likud-Wähler überrepräsentiert waren. Die Wissenschaftler kritisieren auch, dass die Befragten nicht mit «Ich weiß nicht» oder «Ich bin mir nicht sicher» antworten konnten, so dass sie gezwungen waren, sich für eine Seite zu entscheiden. Das könne die Unterstützungszahlen künstlich in die Höhe treiben, indem Unsicherheit oder Neutralität beseitigt würden.
Die Autoren stellen zudem unplausible oder ideologisch inkongruente Antworten fest. Zum Beispiel hätten 30 Prozent der linksgerichteten Labor-Wähler extreme Gewalt wie die Ermordung der Bewohner ganzer Städte unterstützt.
Sheffer, Yakter und Shomer weisen auch auf andere Umfragen hin, die deutlich niedrigere Zustimmungsraten ergaben. So habe die Universität Tel Aviv etwa zur gleichen Zeit, als besagte Umfrage durchgeführt wurde, Israelis mit ähnlichen Fragen konfrontiert. Dabei seien die Teilnehmer unter anderem gefragt worden, ob sie eine Lösung für den Gazastreifen unterstützen würden, die eine Umsiedlung der Bevölkerung in ein anderes Land oder andere Länder beinhaltet.
Unter den jüdischen Befragten habe die Zustimmung bei 53 Prozent gelegen, unter der gesamten israelischen Bevölkerung – einschließlich der arabischen Bürger – bei 45 Prozent. Demnach befürworten zudem 37 Prozent der Israelis eine Zwei-Staaten-Lösung, während 34 Prozent einem einzigen Staat ohne gleiche Rechte für die Palästinenser zustimmen. Die Autoren des Haaretz-Beitrags stellen somit fest:
«Bei näherer Betrachtung hegen viele Israelis tatsächlich tiefe Ressentiments gegenüber den Palästinensern – Ressentiments, die oft mit Skepsis und Entmenschlichung einhergehen. Diese Gefühle haben sich seit dem 7. Oktober 2023 erheblich verstärkt. Gleichzeitig gab es jedoch keine Konvergenz nach rechts in Bezug auf mögliche Lösungen des Konflikts. (...)
Wir glauben, dass es ein echtes Potenzial gibt, unter den Israelis eine breite Unterstützung für humane, nachhaltige Lösungen sowohl für den umfassenderen israelisch-palästinensischen Konflikt als auch für den derzeitigen Krieg aufzubauen. Aber um dies zu erreichen, brauchen wir politische Führer und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die für diese Ideen mit Mut, Entschlossenheit und einer klaren alternativen Vision für die Zeit nach dem Krieg kämpfen.»
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