Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter israelischen Juden zeigt, dass die Idee der gewaltsamen Vertreibung von Palästinensern – sowohl aus dem Gazastreifen als auch innerhalb der israelischen Grenzen – zunehmend Zustimmung findet. Sie ergab auch, dass fast die Hälfte die Massentötung von Zivilisten in feindlichen Städten unterstützt, die von der israelischen Armee eingenommen wurden.
Die Umfrage wurde von der Pennsylvania State University in Auftrag gegeben und vom Historiker Tamir Sorek für das israelische Meinungsforschungsinstitut Geocartography Knowledge Group durchgeführt. Sorek berichtet darüber zusammen mit seinem Berufskollegen Shay Hazkani in der israelischen Zeitung Haaretz. Sie erklären, es seien dabei eine Reihe «unhöflicher» Fragen zum israelisch-palästinensischen Konflikt gestellt worden – Themen, die in israelischen Meinungsumfragen üblicherweise vermieden würden. Die Historiker kommentieren die Ergebnisse so:
«Diese beunruhigenden Trends spiegeln die Radikalisierung des religiösen Zionismus seit Israels Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 und das Versagen der säkularen israelischen Juden wider, eine Vision zu artikulieren, die die jüdische Vorherrschaft in Frage stellt.»
82 Prozent der Befragten sprachen sich für die Vertreibung der Bewohner des Gazastreifens aus, während 56 Prozent die Vertreibung palästinensischer Bürger aus Israel befürworteten. Diese Zahlen markieren laut den Autoren einen starken Anstieg gegenüber einer Umfrage aus dem Jahr 2003, in der die Unterstützung für solche Vertreibungen bei 45 Prozent beziehungsweise 31 Prozent gelegen habe.
Religiöse Interpretationen hätten bei der Gestaltung dieser Ansichten eine wichtige Rolle gespielt, so Shrek und Hazkani. So stimmten fast die Hälfte (47 Prozent) der Befragten zu, dass «die israelischen Verteidigungskräfte bei der Eroberung einer feindlichen Stadt so vorgehen sollten, wie es die Israeliten unter Josuas Befehl in Jericho taten – indem sie alle Einwohner töteten».
65 Prozent der Befragten gaben an, an die Existenz einer modernen Inkarnation von Amalek zu glauben, dem biblischen Feind der Israeliten, den Gott zu vernichten befahl. Von diesen Gläubigen sagten 93 Prozent, dass das Gebot, die Erinnerung an Amalek auszulöschen, auch heute noch aktuell sei. Selbst 69 Prozent der befragten säkularen Israelis unterstützten die Vertreibung der Bewohner des Gazastreifens, während 31 Prozent von ihnen Josuas Ausrottung der Bewohner Jerichos als Präzedenzfall betrachteten, den die Israelische Armee (IDF) übernehmen sollte.
Etwa 66 Prozent der unter 40-Jährigen befürworten die Ausweisung der palästinensischen Bürger Israels, und 58 Prozent wollen, dass die Armee den vom biblischen Josua in Jericho vorgezeichneten Weg einschlägt. Eine Kluft zwischen den Generationen bei den politischen Positionen sei kein ungewöhnliches Phänomen, so Shrek und Hazkani, aber in Israel habe sie sich seit dem Jahr 2000 stark vergrößert.
Die Autoren stellen fest, dass die apokalyptische Rhetorik in religiös-zionistischen Kreisen auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Führende Persönlichkeiten würden seit langem für eine solch extreme Politik eintreten. Shrek und Hazkani skizzieren den ideologischen Einfluss des Rabbiners Yitzchak Ginsburgh, einer der prominentesten Führer der nationalistischen Haredi-Bewegung. Ginsburghs Lehren hätten eine Schlüsselrolle bei der Zunahme des Glaubens an die jüdische Vorherrschaft in Teilen der israelischen Gesellschaft gespielt.
Seine Weltanschauung lehne die Idee eines demokratischen israelischen Staates ab, der Nicht-Juden einschließt. Er vertrete eine mystisch-nationalistische Ansicht, in der die Palästinenser als Entweihung des Landes angesehen und die bestehenden israelischen Staatsinstitutionen – Medien, Justiz, Regierung – als Hindernisse («Schalen») dargestellt würden, die es zu überwinden gilt, um die göttliche Erlösung zu erreichen. Das Militär kann demnach gerettet werden, aber nur, wenn es von seinen moralischen Grundlagen gesäubert werde. Bezüglich der ersten drei «Schalen» stellen die Historiker fest:
«Die Sprengung dieser drei Schalen steht kurz vor der Vollendung, wobei das rasante Tempo des Systemwechsels auf die Justizreform von Premierminister Benjamin Netanjahu, die Zerschlagung des Bildungssystems und die weitgehende Abkehr vom Berufsethos in den israelischen Medien zurückzuführen ist.»
Ginsburg habe in seiner Predigt «Time to Crack the Nut» (Zeit, die Nuss zu knacken) aus dem Jahr 2005 kabbalistische Bilder verwendet, um für die Demontage dieser Institutionen einzutreten, insbesondere indem er zu Massengewalt gegen Palästinenser aufgerufen habe. Er propagiere eine Zukunft, in der Rache, die nicht durch jüdisches Recht oder säkulare Ethik eingeschränkt wird, das jüdische Volk reinige und den Weg für einen auf der Tora basierenden Staat ebne. Er preise auch Figuren wie Baruch Goldstein als Vorbilder für religiöses Handeln. Der Siedler hatte 1994 in der Patriarchenhöhle in Hebron 29 muslimische Gläubige massakriert. Nach der Ermordung von Premierminister Yitzhak Rabin im Jahr 1995 sei Ginsburgh in Verwaltungshaft genommen, so Hazkani und Sorek. Später habe er ein Buch unterstützt, in dem die Tötung von nichtjüdischen Frauen und Kindern befürwortet wird.
Im Gegensatz zu den frühen Führern der Siedlerbewegung Gush Emunim betrachte Ginsburgh jede palästinensische Präsenz im Land Israel als Schändung des Namens Gottes. Die radikalsten Anhänger von Ginsburghs Ideologie seien die so genannte Hilltop Youth (Hügeljugend) – gewalttätige junge Siedler aus illegalen Außenposten –, die jetzt eine bewaffnete Miliz bilden, die für häufige Angriffe und gelegentliche Morde in Dörfern im Westjordanland verantwortlich ist (wir berichteten).
Laut den Historikern erneuerte Ginsburgh seine Aufrufe nach dem Hamas-Anschlag vom 7. Oktober 2023, indem er die Palästinenser mit Amalekitern verglichen und ihre vollständige Vernichtung ohne Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern gefordert habe. Die Reaktion des israelischen Staates – insbesondere die öffentliche und politische Unterstützung für eine Massenvertreibung oder einen Völkermord im Gazastreifen – spiegle die allmähliche Verwirklichung von Ginsburghs langfristigen Zielen wider, selbst bei denjenigen, die nicht direkt mit ihm verbunden sind.
Auch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu berief sich mit Bezug auf den Kampf der Israelis gegen die Hamas auf Amalek, als er Anfang November 2023 erklärte (wir berichteten):
«Sie sind entschlossen, dieses Übel vollständig aus der Welt zu tilgen. Ihr müsst euch daran erinnern, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere Heilige Bibel. Und wir erinnern uns.»
Laut dem Befehl Gottes an König Saul im ersten Buch Samuel der Tora sollten nämlich alle Menschen in Amalek, einer rivalisierenden Nation des alten Israel, getötet werden:
«So spricht der Herr, der Allmächtige», sagt der Prophet Samuel zu Saul, «zieh jetzt in den Kampf und schlag Amalek! Ihr werdet an allem, was ihm gehört, den Bann vollziehen! Schone es nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel!»
Sorek und Hazkani resümieren:
«Wenn es eine Chance gibt, den Marsch in eine spartanische, ausgestoßene Gesellschaft aufzuhalten, dann liegt sie in der Ablehnung der Idee der jüdischen Vorherrschaft und der Judaisierung, selbst in der Version, die derzeit vom säkularen Zionismus akzeptiert wird. Die alternative Vision zum selbstmörderischen Messianismus ist eine echte, gleichberechtigte Partnerschaft zwischen dem Fluss und dem Meer.»
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Shay Hazkani ist Professor für Geschichte und Jüdische Studien an der Universität von Maryland. Er ist der Autor von «Dear Palestine: A Social History of the 1948 War» (2021).
Tamir Sorek ist Professor im Fachbereich Geschichte an der Pennsylvania State University. Er ist der Autor des Buches «The Optimist: A Social Biography of Tawfiq Zayyad» (2020).
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