2025 könnte für die Europäische Union kein gutes Jahr werden. Das vermutet Michael von der Schulenburg, ehemaliger hochrangiger UN-Diplomat und OSZE-Mitarbeiter, heute BSW-Abgeordneter im EU-Parlament. Den Grund sieht er darin, dass die westliche und damit auch die EU-Politik «nicht auf Realität gebaut» ist.
Von der Schulenburg erklärte das am Dienstag in Berlin bei einer Veranstaltung der «Eurasien Gesellschaft». Dabei sprach er unter anderem von einem «Vasallenstatus der EU», die die geopolitischen Ziele der USA erfülle, und warnte, «jede realitätsferne Politik ist verfehlte Politik».
Der ehemalige UN- und OSZE-Diplomat bedauerte, dass die EU den Weg der Konfrontation gewählt hat. In der Folge werde das Wort Frieden als «Unwort» behandelt und jeder der davon spricht, angegriffen und diffamiert. Das erlebt er nach seinen Worten selbst, wenn er sich im EU-Parlament für Verhandlungen mit Russland ausspricht.
Dann bekommt er zu hören, er solle sich schämen, beziehungsweise wird ihm erklärt, seine Familie müsse sich für ihn schämen, wie von der Schulenburg berichtete. So viel Hass und Feindseligkeit – weil er sich für Frieden ausspricht – habe er bei seinen vielen Vermittlungseinsätzen in Konflikten in verschiedensten Ländern nicht erlebt.
«Die Europäische Union war ja eigentlich gedacht als ein Friedensprojekt. Wenn man heute im Europäischen Parlament ist, ist das Wort Frieden fast ein Unwort. Diplomatie ist ein Unwort. Verhandlungen sind ein Unwort.»
Die EU-Politik stütze sich auf Ideologien, moralische Überheblichkeit und Kompromisslosigkeit. Im Fall des Krieges in der Ukraine werde kompromisslos erklärt, die Ukraine müsse gewinnen und Russland besiegt werden – «auch heute noch, nach drei Jahren». Das geschehe zudem in einer Sprache, «wie ich das vorher nicht erlebt habe».
Kompromisslos und unrealistisch
Er verwies dabei unter anderem auf die Resolution des EU-Parlaments zur «Verstärkung der unerschütterlichen Unterstützung der EU für die Ukraine angesichts des Angriffskriegs Russlands» vom 26. November 2024. Die dabei verwendete kompromisslose Sprache habe er «nicht einmal im Iran-Irak-Krieg» von 1980 bis 1988 erlebt, in dem er für die UNO vermittelte.
In den Resolutionen des Parlaments zum Ukraine-Krieg werde das Wort Diplomatie kein einziges Mal benutzt und an keiner Stelle von Verhandlungen gesprochen. Dagegen werde nur erklärt, dass Waffen entscheidend seien – «das ist auch ein Bruch mit der UNO-Charta». In dieser sei nach dem Zweiten Weltkrieg vereinbart worden, Konflikte durch Verhandlungen zu lösen und so Krieg zu verhindern und zu beenden.
Michael von der Schulenburg am 14. Januar 2025 in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Die EU wolle in der Ukraine einen «Siegfrieden» gegen Russland – «das ist total unrealistisch» –, wovon selbst in den USA nicht mehr gesprochen werde, erklärte von der Schulenburg. Selbst in der Ukraine nehme die Zahl der Deserteure zu und wollten die meisten Menschen keinen Krieg mehr, den sie als verloren ansehen.
Die Haltung und die Erklärungen der führenden Kräfte der EU, den Krieg fortsetzen zu wollen, seien «fast ein Kriegsverbrechen», so der ehemalige UN-Diplomat. Er erklärte dazu:
«Denn aus der Erfahrung mit Kriegen wissen wir, dass in den letzten Monaten des Krieges die Hälfte aller Soldaten umkommen.»
Darüber würden Leute reden und entscheiden, die von den Folgen nicht betroffen sind – «die haben keinen Sohn, der im Krieg ist, keine Tochter, die vergewaltigt wird, kein Haus, das zerstört wird, und müssen ihre Heimat nicht verlassen». Diese Politik sei unrealistisch und werde sich deshalb auch nicht aufrechterhalten lassen, sagte von der Schulenburg.
Er verwies auch darauf, dass im EU-Parlament eine «extrem transatlantische» Orientierung vorherrsche – «vor allen Dingen von den Deutschen», die «extreme Transatlantiker» seien. Das «Aufregende» sei, dass sich das Verhältnis derzeit völlig wandele: Der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump habe kürzlich erklärt, der Ukraine-Krieg müsse beendet werden und dass es diesen unter seiner Präsidentschaft nicht gegeben hätte.
Veränderungen in der US-Politik
Trump begründe das mit der hohen Zahl der Opfer, mit der «Sinnlosigkeit, dass da junge Menschen für einen Krieg geopfert werden, der im Grunde genommen für keinen was gebracht hat – auch nicht für die USA».
«Trump spricht nicht vom imperialistischen Krieg Putins, den er stoppen will. Er spricht auch nicht davon, was uns die ganze Zeit beschäftigt, dass Putin uns angreifen will.»
Es handele sich um «eine fundamentale Veränderung, die stattgefunden hat, die in unserer Presse und bei unseren Politikern und auch in der EU überhaupt nicht reflektiert wird».
«Hier sind jetzt die Vasallen ohne den Herren und wollen noch ganz besonders aggressiv sein.»
Einen weiteren Grund, «warum 2025 kein gutes Jahr für die EU sein könnte», sieht von der Schulenburg in der angestrebten EU-Erweiterung um Länder wie die Ukraine, Georgien, Moldawien, Serbien und Montenegro. Es sei «erschreckend», was er als Parlamentarier von den führenden EU-Politikern dazu höre.
Diesen gehe es darum, die betreffenden Länder so schnell wie möglich aufzunehmen, um Fakten zu schaffen, bevor der Widerstand der dortigen Bevölkerungen weiter zunehme. Dafür sollen auch die strengen Aufnahmebedingungen der EU aufgeweicht werden.
Doch dieses Ziel werde nicht erreicht werden, ist sich der BSW-Abgeordnete sicher. Er sagt unter anderem zur jüngsten Wahl in Moldawien, dass die UNO eine solche Wahl nie zugelassen hätte, und betonte, dass die Ukraine «nie Mitglied der Europäischen Union» werde. Über diese Veränderungen in den Ländern werde im EU-Parlament nicht diskutiert, beschrieb er als weiteres Zeichen für die kritisierte Realitätsferne.
Erschreckende Großmachtträume
Das sei «enorm antidemokratisch und unrealistisch», stellte der Parlamentarier klar, der auf die Türkei verwies. Diese sei seit Jahrzehnten Beitrittskandidat der EU und nun aber den BRICS beigetreten. Das sei ein Beleg dafür, dass die EU für andere Länder immer weniger attraktiv sei.
Mit dem unrealistischen Ziel der Erweiterung der EU sind aus seiner Sicht und für ihn erschreckend deren «Großmachtträume» verbunden, auf Augenhöhe mit China und den Vereinigten Staaten sein zu wollen. Das scheine mit der Wiederwahl von Trump in den USA noch stärker geworden zu sein.
Es werde behauptet, dass europäische Interessen nur aufrechterhalten werden könnten, wenn die EU auch eine «Supermacht und damit auch eine Militärmacht» werde. Zunehmend werde gefordert, besonders aus Deutschland, dass die EU auch Atomwaffen haben solle. Durch den Krieg in der Ukraine werde ein Schulterschluss innerhalb der Union erhofft, was hauptsächlich von Deutschen vorangetrieben werde.
«Man sieht den Krieg als Chance, etwas zu tun, was in Frieden nicht möglich ist.»
Es werde nicht offen darüber diskutiert, was die EU eigentlich am Ende sein soll, während eine Großmachtpolitik durchgesetzt werde, die nur mit Verteidigung begründet werde. Doch der angestrebte Schulterschluss sei aufgrund der Differenzen innerhalb der EU nicht zu erreichen, so von der Schulenburg.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verhalte sich ungeachtet dessen wie die «Präsidentin der Vereinigten Staaten von Europa». So habe sie auf den Auftritt des ungarischen Ministerpräsident Viktor Orbán als EU-Ratspräsident im Parlament mit einer «Hassrede» reagiert. Dabei sei sie doch «die Angestellte und er ist doch der Chef».
Moralische Anmaßung
Der BSW-Abgeordnete sprach von einem «festen Block im EU-Parlament» aus Sozialdemokraten, Konservativen, Grünen und Liberalen, «die weitaus extremer sind als auf der nationalen Ebene».
«Die denken, sie werden die Welt retten, wenn wir zusammenrücken. Europa wird groß werden und eine Mitsprache in der Welt haben.»
«Das wird nur nicht kommen», sagte von der Schulenburg, der einschätzte, dass nach der Amtseinführung von Trump die Differenzen innerhalb der EU zunehmen werden. In Europa gebe es auch keine Politiker von Format mehr, stellte er fest.
Er nannte als Beispiel für die moralische Anmaßung in der EU und ihrem Parlament auch die antirussischen Sanktionen gegen Drittstatten und die Lieferketten-Verordnung. Damit werde dem Rest der Welt mit Strafe gedroht, weil andere Länder nicht tun, «was wir Europäer denken, was sie tun sollten».
Das zeige sich auch in den Resolutionen der EU, die sich meist mit dem angeblichen Fehlverhalten anderer Staaten, aber nicht mit den Problemen der EU beschäftigen. Von der Schulenburg sagte dazu aus eigener Erfahrung als UN-Diplomat:
«Das hat genau den gegenteiligen Effekt. Wenn wir der Opposition im Iran schaden wollen, dann muss die EU sie verbal unterstützen. Dann sind sie im Grunde genommen schon gestorben. Das ist eine fürchterliche Fehlleistung.»
Gleichzeitig sage die EU nichts zum dem Krieg Israels in Gaza oder die israelischen Angriffe auf Nachbarländer wie Syrien. Dabei werde sich auf «Selbstverteidigung» berufen – «das machen die Russen ja auch». In anderen Ländern und Weltregionen werde das völlig anders gesehen, erinnerte der ehemalige UNO-Diplomat.
BRICS als Vorbild
Die moralische Begründung der EU sei unrealistisch und eine «arrogante Aufblähung» der eigenen Sicht, die die anderen Länder nicht teilen. Das Selbstbewusstsein des Globalen Südens habe sich in den letzten Jahren verändert, was sich auch an den BRICS zeige. Von der Schulenburg kündigte an, darauf in einer Denkschrift über die «EU als Friedensmacht» einzugehen, an der er derzeit mit anderen Autoren arbeitet.
Im EU-Parlament gebe es zu den BRICS keinerlei Diskussionen, da werde nur von der «Achse des Bösen» aus Russland, Iran und Nordkorea sowie China geredet. Dabei würden beispielsweise die 33 Länder, die 2024 am jüngsten BRICS-Gipfel im russischen Kasan teilnahmen, 60 Prozent der Weltbevölkerung und 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren.
Diese daraus folgenden Veränderungen würden die Europäer in Zukunft «sehr stark» zu spüren bekommen. Die BRICS seien dabei ein «interessantes Beispiel» und mögliches Vorbild für die EU: Weil sie auf jegliches Militärbündnis verzichten würden. Dagegen sei die NATO als einziges Militärbündnis in der Welt das Machtinstrument der alten Kolonialmächte.
Für ihn sei erstaunlich, dass sich die BRICS-Staaten auf die UNO-Charta berufen und dazu aufriefen, sich wieder danach zu richten. Sie würden die Anerkennung der Souveränität sowie die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einfordern.
Beim Nachdenken über die Zukunft der EU sieht der BSW-Abgeordnete die Frage, «ob wir den BRICS-Staaten nicht näher sind». Es sei verpasst worden, zu definieren, was die Rolle der EU in der sich fundamental verändernden Welt ist. Und:
«Was wir völlig verpasst haben in der Europäischen Union ist, zu versuchen zu formulieren: Was sind denn eigentlich unsere europäischen Interessen in der Welt?»
Bisher habe sich die EU immer an die Interessen der USA angepasst und sei diesen gefolgt. Von der Schulenburg wies auf zwei wichtige Faktoren hin, die geographische Lage und die demographische Entwicklung. Beide ließen sich nicht verändern, auf beide könne nur reagiert werden.
Weg nach Asien
Anhand einer Weltkarte der Konflikte zeigte der Parlamentarier, dass Europa durch zahlreiche Konflikte und einem «Halbmond der Unsicherheit» von Asien abgeschnitten sei. Zugleich gibt es auf dem afrikanischen Kontinent die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen, meist mit europäischen und westlichen Waffen.
Wenn über die Emanzipation der EU gesprochen werde, müsse darüber geredet werden, den Weg nach Asien wieder frei zu machen – «denn dieser Weg ist wahrscheinlich in der Zukunft für uns wesentlich wichtiger als der transatlantische». Ebenso wichtig sei der Umgang mit dem Süden, auch wegen der Bevölkerungsentwicklung in Afrika.
Statt eigene geopolitische Ziele gegen sie durchsetzen zu wollen, sollten die Länder die Möglichkeit bekommen, ihre eigene Entwicklung zu bestimmen, indem sich die EU und der Westen zurückhalten.
«Wir haben eine Politik der US-Amerikaner hier übernommen, die im Grunde genommen letztlich auch uns selbst zerstören wird.»
Das werde sich auch an den anhaltenden Flüchtlingsströmen in Folge von Konflikten und Interventionen zeigen, warnte von der Schulenburg. Aus seiner Sicht muss eine andere Politik mit dem Ziel einer Autonomie Europas den Weg nach Asien wieder eröffnen und für den Frieden mit dem Süden wirken. Dass seien die großen Interessen der EU, die sich von denen der USA unterscheiden.
Am Ende seines Vortrages erklärte er:
«Wir Deutschen brauchen auch eine andere Europäische Union. Leider Gottes sind es die Deutschen in der Europäischen Union, die diese harte und verfehlte Politik, die nicht die Realitäten in der Welt wahrnimmt, durchgesetzt und durchgeführt haben.»
In der Diskussion mit dem Publikum und Moderator Alexander Neu von der "Eurasien Gesellschaft" sagte von der Schulenburg mit Blick auf die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, dass der Westen gegen die UN-Charta verstoßen habe, weil er die Verhandlungen mit Russland verweigerte. Die Charta mache ein Junktim zwischen der Verpflichtung zu verhandeln und dem Verbot, militärische Mittel einzusetzen für politische Ziele.
In der westlichen Debatte gehe es immer nur um die eine Hälfte des Gewaltverbotes. Durch die (jahrelange) Verweigerung zu verhandeln habe es einen Konflikt gegeben, der für Russland ein existenzieller Konflikt gewesen sei.
In der Folge habe Russland durch den Einmarsch im Februar 2022 die UNO-Charta verletzt, was aber schon vorher durch den Westen geschehen sei. Er habe das auch getan, weil er die ukrainische Bombardierung des Donbass mit Tausenden Toten zugelassen habe und die Minsker Abkommen nicht mit durchgesetzt habe. Auch der unterstützte gewaltsame Umsturz in Kiew im Februar 2014 gehöre dazu.
«Hätte man die UNO-Charta eingehalten, wäre es zu diesem Krieg nicht gekommen.»
Die UNO-Charta lasse sich wie alle internationale Rechtsregeln nur durchsetzen, wenn alle Staaten sie anerkennen. Sie müsse nach dem Krieg in der Ukraine wiederbelebt werden, forderte der BSW-Abgeordnete mit jahrzehntelanger internationaler Erfahrung.
Zukunft im Osten
Er war auch für die OSZE tätig und erinnerte in Berlin ebenso an die Charta von Paris aus dem Jahr 1990 – «eine tolle Sache». Diese habe einen Weg zu gemeinsamer europäischer Sicherheit gewiesen, der gleichfalls ignoriert worden sei. Für ihn ist die Schlussfolgerung:
«Geschichtlich wird dieser Krieg als unser Krieg gesehen, nicht als Putins Krieg, da bin ich mir ziemlich sicher.»
Die westliche Politik sei inzwischen von «blanker Angst» geprägt, was «diese unglaublich starre Haltung gegenüber jedem, der nur etwas anders sagt», erkläre. Die Eliten Europas hätten nicht nur vor Putin Angst, sondern auch vor Trump.
Er ist sich sicher: «Europas Schicksal wird sich in Asien entscheiden und nicht transatlantisch.» Das werde die Zukunft sein, sagte er und fügte hinzu: «Ich glaube, unsere Zukunft liegt im Osten, mit den BRICS-Staaten.»
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