Dass immer weniger Bücher gelesen werden, sei «ernster als wir denken», schreibt das Onlinemagazin Unherd. So würden sich Konservative immer wieder über die Bücher beklagen, die in Schulen und Universitäten gelesen werden. Doch laut einem Artikel, der in The Atlantic veröffentlicht wurde, «ist das größere Problem nicht, welche Bücher von den Studenten gelesen werden, sondern ob sie sie überhaupt lesen». Weiter heißt es dort:
«Die Journalistin Rose Horowitch hat mit 33 Professoren führender US-Universitäten gesprochen – und das Bild, das sich ihr bietet, ist beunruhigend. Studierende sind heute zunehmend nicht mehr in der Lage, ganze Bücher zu lesen. Als Reaktion darauf werden in den Lehrveranstaltungen die Anforderungen an die Lektüre gesenkt und Auszüge aus dem Buch gelehrt.»
Das bringt Unherd dazu, folgende Frage zu stellen: «Ist dies ein Fall, in dem sich die moderne akademische Welt den schwachen – aber sehr lukrativen – Studenten anbiedert? Vielleicht, aber dies geschieht nicht nur in den Elfenbeintürmen.»
So sei gemäß des amerikanischen National Assessment of Educational Progress die Zahl der 13-Jährigen, die zum Spaß lesen, langfristig zurückgegangen. Im Jahr 2023 gaben 14 Prozent an, dies fast täglich zu tun, gegenüber 27 Prozent im Jahr 2012. Im Vereinigten Königreich habe eine Studie für die Reading Agency ergeben, dass die Hälfte der Erwachsenen nicht regelmäßig zum Vergnügen liest – und insgesamt 15 Prozent hätten noch nie gelesen, im Vergleich zu 35 Prozent, die dies früher getan hätten.
Um dieses Phänomen nachvollziehen zu können, brauche man sich einfach nur umzusehen, wenn man zum Beispiel das nächste Mal im Zug sitze, und sich die Frage zu stellen: «Wie viele der Mitreisenden lesen gerade ein Buch?» Und dies seien viel weniger als in den vergangenen Jahrzehnten.
Die offensichtliche Erklärung für dieses Phänomen sei ohne Frage das Smartphone und alles, womit es uns verbindet. Dabei sei es gar nicht so, dass wir nichts mehr lesen würden – denn tatsächlich leben wir in einer Welt der ständigen Verfügbarkeit von Texten. Allerdings handele es sich dabei um das geschriebene Wort in Fragmenten in Verbindung mit Bildern. «Die Informationslandschaft hat nichts mehr mit dem zu tun, was wir vor einer Generation erlebt haben», so Unherd.
Vor diesem Hintergrund sei es also kein Wunder, dass sich Schüler mit Büchern schwertun. Und warum sollten wir etwas anderes erwarten, wenn wir zu Hause oder in der Schule nicht bewusst einen Zufluchtsort geschaffen haben, der uns von der Ablenkungsökonomie abschirmt?
Auch spiele der Rückgang des Lesens von Büchern in der Wissenschaft eindeutig eine Rolle. Unherd meint dazu:
«Einen Roman anhand eines Auszugs zu studieren, ist wie der Versuch, ein Gemälde anhand eines Puzzles zu verstehen. Aber das gilt auch für den Rest von uns. Trotz all der neuen Möglichkeiten, uns zu bereichern, zu informieren und zu unterhalten, brauchen wir Bücher immer noch so sehr wie früher.
Das liegt daran, dass ein großartiger Roman dem Gefühl, aus dem eigenen Bewusstsein in das eines anderen zu treten, am nächsten kommt – und zwar ausführlich und über einen längeren Zeitraum hinweg. Beim Lesen kann man über sich selbst hinauswachsen. Die Vorteile für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden sollten offensichtlich sein.»
Auch sei es so: Wenn wir uns mit Online-Schäden befassen, konzentrierten wir uns in der Regel auf das, was das Internet seinen Nutzern zumutet, also zum Beispiel die dunkle Seite der sozialen Medien oder süchtig machende Pornografie. Doch der potenzielle Schaden für den Einzelnen liegt nicht nur in der Herausbildung neuer und krankhafter Gewohnheiten, sondern auch in der Verdrängung alter und gesunder Gewohnheiten. Unherd gibt dabei zu bedenken:
«Es gibt kaum eine Aktivität, mit der die sozialen Medien in größerer Konkurrenz stehen als mit dem Lesen. Fast jeder Moment, den wir mit dem Scrollen auf unseren Bildschirmen verbringen, ist ein Moment, den wir mit einem Buch hätten verbringen können. Als Erben einer Zivilisation, die auf Büchern aufgebaut ist, könnten die Kosten höher sein, als wir denken.»
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