Die Lyrikerin und Sängerin Alexa Rodrian ist eine der wenigen Künstler, die gegen den Strom schwimmen und couragiert auf Missstände hinweisen. Seit Jahren setzt sie sich gegen soziale Ungerechtigkeit und geopolitische Machtkämpfe ein, sowohl künstlerisch als auch aktivistisch. Große Sorgen bereitet ihr derzeit der Gaza-Krieg. Rodrian kritisiert Israel für sein militärisches Vorgehen und sympathisiert mit der palästinensischen Bevölkerung. Um dieses Thema geht es auch am 28. September, wenn die Künstlerin in die Rolle einer Veranstalterin schlüpft und zu einem Benefizkonzert einlädt. Im Interview verrät sie, was die Gäste erwartet, welche Botschaft das Event senden soll und wem die Einnahmen zukommen.
Transition News: Alexa Rodrian, Sie veranstalten am 28. September in der Berliner Musikbrauerei ein Benefizkonzert unter dem Titel «Voices for Gaza». Was hat Sie dazu bewogen?
Alexa Rodrian: Das ist eigentlich ganz einfach zu beantworten: Gaza und die dort lebenden unschuldigen Menschen brauchen dringend Hilfe. Sie sind von Vernichtung bedroht und müssen unendliches Leid ertragen, das durch den blindwütigen Rachefeldzug eines derzeit extrem rechten Regimes in Israel verursacht wird. Abgesehen davon ist Palästina nun seit 76 Jahren ein besetztes Gebiet, dessen indigene Bevölkerung seither konsekutiv Ermordung, Enteignung, Vertreibung und Inhaftierung erfährt.
Der schreckliche Anschlag am 7. Oktober ist leider eine unvermeidbare Folge dieser andauernden Menschenrechtsverletzungen. Jedes dieser ebenso unschuldigen Opfer hätte vermieden werden können, wenn auch nur eine der vielen israelischen Regierungen in den letzten 76 Jahren wirkliche Bemühungen vorangetrieben hätte, diese zutiefst kolonialistische und zionistische Politik zu beenden und dem palästinensischen Volk das zu geben, was ihnen zusteht: ihr Land und allem voran Freiheit.
Der Titel des Events «Voices for Gaza» deutet an, dass Sie sich in dem Konflikt auf die Seite der Palästinenser schlagen. Wie begründen Sie das?
Es geht hier nicht um Seitenbildung, wie beim Fußball. Hier geht es um Menschenrechtsverletzungen in der Größenordnung eines Völkermordes. Gaza braucht unsere Stimmen. Hilfsgüter und Ärzte bekommen keinen Zutritt nach Gaza. Er wird ihnen von den israelischen Behörden und der IDF (israelische Verteidigungsstreitkräfte) schlicht verweigert. Wir sprechen hier von einem Landstrich oder – besser ausgedrückt – einem riesigen Freiluftgefängnis, in dem gerade über 15.000 unschuldige Kinder, insgesamt wahrscheinlich weit über 50.000 Menschen getötet wurden, für die sowieso jede Hilfe zu spät ist. Nun heißt es, den 100.000 Verletzten und Verstümmelten die Unterstützung zu gewährleisten, die jeder Mensch verdient, die aber von Israel permanent verhindert wird.
Dem Arzt Qassem Masri, für den wir hier für medizinisches Gerät Geld sammeln, wird derzeit zum Beispiel die Einreise nach Gaza verweigert. Kaltblütig, grausam und fern jeglicher Empathie ist das und lässt mich seit Monaten täglich fast erstarren.
Sie haben gerade anklingen lassen, dass Israels Reaktion auf den Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 unverhältnismäßig ausgefallen ist. Welche Reaktion wäre Ihrer Meinung nach angemessen gewesen?
Gute und schwierige Frage, die sich ohne den historischen Kontext aber kaum beantworten lässt. Man ist geneigt zu sagen, dass Israel im Falle des 7. Oktober selbstverständlich das Recht auf Selbstverteidigung hat. Denkt und sagt man das, sollte man aber die Sache mit der Henne und dem Ei ganz genau im Auge haben. Denn es stellt sich eben die Frage: Wer verteidigt hier wen und was? Kann, wer sich von Gewaltherrschaft befreien muss, dies gewaltfrei tun?
Selten zuvor habe ich gehört, dass Menschen, die sich aus grausamen Gefangenschaften gewalttätig befreit haben, kaltblütiger Mord vorgeworfen wurde. Meist werden sie in Retrospektive sogar als Helden gefeiert, ohne die der Rest der Lagerinsassen auch noch umgekommen wäre. Der Zweck heiligte hier sozusagen die Mittel. Warum gilt das eigentlich für die seit 76 Jahren bedrohten, vertriebenen und eingesperrten Palästinenser nicht?
Israel hat wie jedes andere Land nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen ein Recht auf Selbstverteidigung. Zu den Anschlägen am 7. Oktober gibt es allerdings viele unbeantwortete Fragen. Und diese werden oft von Israelis selbst gestellt: Angefangen bei der jahrelangen finanziellen Unterstützung der Hamas durch Benjamin Netanjahu bis hin zu der Frage, wie die Hamas und andere bewaffnete sogenannte Angreifer überhaupt ungehindert über die sonst so stark bewachten Grenzposten kommen konnten.
Auch gilt der starke Verdacht, dass die IDF die Hannibal Direktive ausgerufen hat und somit viele israelische Geiseln und Soldaten als sogenannte Kollateralschäden ihr Leben geben mussten. All das bleibt bisher von der israelischen Regierung unbeantwortet. Zu all dem gibt es immer noch viele Unklarheiten und viele Dementi über die angeblichen Grausamkeiten bei dem Angriff von Seiten der Hamas.
Nun schlägt Israel trotz all dieser Ungereimtheiten seit bald zwölf Monaten unerbittlich zurück, und das kann meines Erachtens nicht mehr als Selbstverteidigung gewertet werden. Vielmehr ist die Art des Vorgehens genozidal, völkerrechtswidrig und hat schon lange jegliche Verhältnismäßigkeit verloren. Wenn es wirklich noch um die Freilassung der Geiseln ginge, warum dann nicht im Gegenzug ein paar Hundert von den Tausenden, oft unschuldig inhaftierten Palästinensern freilassen?
Der 7. Oktober war ein sehr tragischer Tag, an dem viele unschuldige, vor allem junge Menschen in Israel ihr Leben verloren haben. Einige von den Hinterbliebenen kämpfen trotz Trauer weiterhin für die Freiheit der Palästinenser und für ein autonomes Palästina.
Sie wissen nur zu gut, welch großes Unrecht die Geschichte hier schreibt, und dass, wenn dies nicht wieder gutgemacht wird und ein Ende findet, weiterhin unschuldige Menschen auf beiden Seiten sterben werden und es in der Region niemals Frieden geben wird.
Könnten Sie etwas zum Programm des Abends sagen? Was erwartet die Gäste? Welche Künstler treten auf? Wer sind also die «Voices for Gaza»?
Wir sind Künstler, die, wie ich denke, ihr Herz am richtigen Platz und zudem Mut haben. Wie wir wissen, braucht man heutzutage viel davon, wenn man sich entgegen den Mainstream-Meinungen äußert. Meine liebe Kollegin Nirit Sommerfeld kann davon schon seit Jahren ein Lied singen. Sie erzählte mir schon vor über 20 Jahren von den Beschimpfungen und Verleumdungen, die sie als israelische Jüdin ertragen musste, weil sie sich unermüdlich für die Freiheit Palästinas eingesetzt hatte und dies immer noch tut.
Die Besetzung des Abends ist hochkarätig musikalisch und menschlich. Die meisten Künstler waren schon zu Corona-Zeiten laut, und die, die es nicht waren, sind es jetzt. Und nur das zählt.
Spontan ist noch ein Redebeitrag von Ronnie Barkan hinzugekommen, einem israelischen Dissidenten und Aktivisten. Ansonsten haben wir von Jazz, Kinderliedern und Lyrik bis hin zu Hip-Hop alles dabei. Es wird bunt und laut für Gaza sein – und hoffentlich auch lukrativ.
Das müssen Sie kurz erklären: Künstler, die zur Corona-Zeit nicht laut waren, sind es jetzt. Haben Sie das Gefühl, dass in der Kulturbranche ein Umdenken stattgefunden hat und die Kritik an Politik und geopolitischen Entscheidungen wächst?
Nein, ich glaube leider nicht in großem Maße, denn von den deutschen Mainstream-Künstlern hört man im Gegensatz zu vielen internationalen Künstlern nach wie vor kaum etwas. Viel mehr denke ich, dass hier bei einem eher kleinen Teil wieder zusammenwächst, was ja gar nicht hätte gespalten werden dürfen. Denn einige der sogenannten «linken» Künstler waren ohnehin oft für ein freies, autonomes Palästina.
Bei den Corona-Maßnahmen hat sich dann die Spreu vom Weizen getrennt. Es wäre schön, wenn bei denen, die sich jetzt wieder zu uns trauen, auch ein Bewusstseinsprozess stattfinden würde und sie sich vielleicht jetzt damit auseinandersetzten, wie sehr sich der Meinungskorridor in unserem Land verengt und wie sehr dadurch Meinungsfreiheit und Demokratie in große Gefahr geraten.
Viele von ihnen erleben jetzt zum ersten Mal, was es heißt, zu Unrecht als Antisemit und als rechts diffamiert zu werden. Es bleibt zu hoffen, dass durch diese Erfahrungen endlich Verständnis für das entsteht, was andere in diesem Land nun schon seit Jahren erleiden müssen.
Sie haben es bereits angesprochen: Auf dem Benefizkonzert werden Spendengelder gesammelt. An wen gehen sie konkret?
Konkret gehen sie an Dr. Qassem Masri, den oben erwähnten Kinderarzt, der davon medizinisches Gerät finanziert, und Abed Hassan von der Barakah Charity, einer Organisation, die Geld für den Bau eines Feldkrankenhauses sammelt.
Wieso wird gerade für diese beiden Herren gesammelt? Schließlich sind sie nicht die einzigen, die sich in Gaza engagieren.
Stimmt, aber die beiden sind Menschen unseres Vertrauens, und ich weiß daher, dass unser Geld sicher da ankommt, wo wir es haben wollen – nämlich direkt bei den Opfern.
Wie sind Sie auf diese beiden Herren gestoßen? Wie kam der Kontakt zustande?
Meine Freundin und Kollegin Nina Maleika hat den Kontakt zu Abed Hassan hergestellt, und ein palästinensischer Freund von mir hat uns mit seinem Freund Dr. Qassem Masri verbunden.
Sie veranstalten das Benefizkonzert zusammen mit der Musikerin Nirit Sommerfeld. Wie ist es zu dieser Kooperation gekommen? Was verbindet sie?
Veranstaltet wird das Konzert von mir, mit der Unterstützung meiner wunderbaren Kolleginnen und Partnerinnen in Crime Nina Maleika, Songül Schlürscheidt und Susanne Koehler. Wir bewerben die Veranstaltung gerade unermüdlich und hoffen auf große Resonanz. Nirit und ich kennen uns nun schon seit über 20 Jahren. Ich habe sie immer für ihr großes Engagement bewundert. Wir haben bereits in Berlin gemeinsam konzertiert, und ich bin sehr froh und dankbar, dass sie unseren Abend mit ihrer Anwesenheit, ihrer tollen Stimme und Kunst unterstützt.
Das Benefizkonzert hat sicherlich nicht nur den Zweck, Spendengelder zu sammeln, sondern auch eine Botschaft zu senden? Wie würden Sie diese auf den Punkt bringen?
Ich ende, wie ich angefangen habe: Das ist eigentlich ganz einfach! Die Besetzung Palästinas muss beendet werden, sonst wird nie Frieden in der Region herrschen. Es muss Wiedergutmachungen geben, und zwar für die letzten 76 Jahre. Ich persönlich glaube nur noch an eine Ein-Staaten-Lösung – vielleicht mit dem Namen Palestine/Israel. Hierfür sind Übergangslösungen notwendig; das ist mir sehr wohl klar. Wie diese aussehen könnten und eventuell werden, übersteigt derzeit noch meine Kapazitäten und würde den Rahmen hier auch sprengen.
Dennoch denke ich, wäre das die einzig reale Herangehensweise. Die Menschen, die in Israel leben, haben selbstredend mehr als nur eine Existenzberechtigung. Daher darf auch ihnen niemals Leid zugefügt werden. Sehr wohl erforderlich sind aber große Veränderungen in der Struktur ihrer durch puren Kolonialismus entstandenen Heimat. Diese Veränderungen werden stattfinden müssen – dem Frieden und der Freiheit zuliebe.
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Das Interview führte Eugen Zentner
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