In Deutschland herrscht wieder einmal Hitzepanik. Kaum haben die Temperaturen die 25-Grad-Marke überstiegen, schon ist allerorts von Gefahren die Rede, insbesondere in Medien und Politik. Der Musikkabarettist Franz Esser hat diese Hysterie bereits vor zwei Jahren in seinem Stück «Hitze-Pandemie» satirisch verarbeitet und damit auf Tim Burtons Science-Fiction-Komödie «Mars Attacks!» rekurriert, in der eine Gruppe von Marsmenschen die Erde überfällt und den Humor zu einer grausamen Waffe macht.
Esser spielt in seinen Stücken mit popkulturellem Wissen, er jongliert mit Zitaten, verweist auf Filme oder passt bekannte Songs an aktuelle Ereignisse an, indem er sie umtextet oder eine Bedeutungsverschiebung vornimmt. In diesem Stil hat er in den vergangenen Jahren zahlreiche Lieder mit dazugehörigen Videos produziert. Einige von ihnen schaffen es hin und wieder mal auf ein Album.
Sein zweites aus diesem Jahr trägt den Titel «Jetzt kommen sie und holen mich ab» – eine Adaption von Jerrold Laurence Samuels «They’re Coming to Take Me Away, Ha-Haaa!». Der unter dem Pseudonym Napoleon XIV. auftretende und mittlerweile verstorbene Psychoanalytiker widmete sich in seinen Liedern dem Wahnsinn, einem gesellschaftlichen Phänomen, das in der heutigen Zeit seinen Höhepunkt erreicht zu haben scheint, wie Esser mit seiner intertextuellen Bezugnahme insinuiert.
Auseinandersetzung mit Wokismus
In dem titelgebenden Kabarett-Chanson mimt der Münchner Künstler jemanden, der angesichts des woken Irrsinns selbst den Verstand verliert: «Ihr klebt an Museen und Straßen euch fest / Und fliegt gleich danach nach Bali und knallt euch lachend an den Strand», persifliert Esser die Doppelmoral der sogenannten Klimakleber und nimmt sich in den Zeilen danach genauso spitzzüngig die Identitätspolitik rund um die Transsexualität vor: «Ihr lötet den Kindern die Löcher zu / Oder bohrt ihnen ein neues / Ganz wie es euch beliebt / Und nennt das Wissenschaft / Ha-Haaa!!»
Neben «Jetzt kommen sie und holen mich» sind auf dem neuen Album 14 weitere Kabarett-Chansons zu hören, allesamt Stücke, die sich so eloquent wie humorvoll mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Einige hat Esser selbst geschrieben, andere umgetextet, variiert oder nur musikalisch verändert. Und dann finden sich auch noch Titel, die komplett übernommen wurden.
Die meisten von ihnen stammen von seinen Vorbildern wie Hanns Dieter Hüsch, Reinhard Mey oder Georg Kreisler. Deren Texte aus dem späten 20. Jahrhundert sind so aktuell, als wären sie für die heutige Zeit geschrieben. Allerdings kennt sie kaum noch jemand. Um sie aus der Vergessenheit herauszuholen und wieder in das gesellschaftliche Bedürfnis zu rücken, trägt Esser sie in seinem eigenen Duktus vor, manchmal im Dialekt, manchmal in Hochdeutsch.
Thematisch breitgefächert
In Kreislers «Nicht Genug» etwa thematisiert er das absurde Verhältnis zwischen Bürgern und Parteien, in Hüschs «Ihr ehrenwerten Herren» den heuchlerischen Umgang mit der Meinungsfreiheit. Kritik übt Esser auch an der allumfassenden Kriegseuphorie, indem er unter anderem traditionelle Volkslieder darbietet, so wie das Anti-Kriegslied «Schützengraben». Der Urheber trägt den schillernden Namen Josef Kraud’n Sepp. In ironischer Verdrehung schildert er in dem Stück die Vorteile des Lebens im Schützengraben, macht dadurch aber erst die Nachteile sichtbar:
Du kannst im Freien mahl’n, brauchst keine Steuern zahl’n,
Und auch die Kohlennot kommt hier nicht rein.
Man geht in’ Wald hinaus, sucht sich ’ne Buche aus
Wenn sie recht groß ist, dann macht man sie klein.
Und wer sich Jahre hält (auch das kommt vor im Feld)
kann fünfzig Aspirin-Tabletten hab‘n.
Von allen Sanitätern gibt’s dir g‘wiß a jeder,
du hast ja keinen Dunst vom Schützengrab’n.
Wird das Lied im bayrischen Dialekt vorgetragen, ist «Rumpenheim», Essers Eigenproduktion, in hessischer Mundart zu hören, wobei der Musik-Kabarettist die Zeilen wie ein Gedicht deklamiert, ebenso Hüschs «Reihenfolge», dieses Mal in Hochdeutsch.
Manche Lieder sind nicht nur ironisch, sondern hochmetaphorisch, wie Meys «Bevor ich mit den Wölfen heule», ein Stück, das geradezu prophetisch wirkt. Geschrieben 1972 thematisiert es den Drang großer Bevölkerungsteile, mit dem Strom zu schwimmen und sich anzupassen.
Daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Spätestens seit der Corona-Krise geht der Trend dazu über, sich der veröffentlichten Meinung anzuschließen und alle Abweichler zu dämonisieren. Esser, der zu den Letzteren zählt, betont mit diesem Cover, wie wichtig es ist, selbstbestimmt zu denken und sich von niemandem vereinnahmen zu lassen:
Bevor ich mit den Wölfen heule
Werd ich lieber harzig, warzig grau
Verwandele ich mich in eine Eule
Oder vielleicht in eine graue Sau
Ich laufe nicht mit dem Rudel
Ich schwimme nicht mit im Strudel
Ich hab noch nie auf Befehl gebellt
Ich lasse mir nichts verhunzen
Ich will nach Belieben grunzen
Im Alleingang, wie es mir gefällt
Ich will in keinem Haufen raufen
Lass mich mit keinem Verein ein
Gespritzt und zugenäht
Zum Thema Corona und der dazugehörigen Impfagenda hat der Musik-Kabarettist Harry Nilssons skurrilen Song «Coconut» umgetextet und daraus «Gespritzt und zugenäht» gemacht. In Essers Version wird wie im Original ein Doktor mitten in der Nacht angerufen, weil im Fernsehen von einem Virus zu hören ist, das «alle umbringt». Der Experte rät schließlich zur Impfung, dann zur zweiten, dann zur dritten und schließlich zur vierten.
Umgetextet und variiert sind zudem Gilbert Bécauds «Tu me r’connais pas?» und der titelgebende Song «Jetzt kommen sie und holen mich ab». Unter Essers eigenen Komplettproduktionen befindet sich «Die offene Gesellschaft», ein Stück, das die «jungen globalen Führer» durch den Kakao zieht. Im Mittelpunkt steht das Missverhältnis zwischen deren Worten und Taten:
Ihr seid’s, die Hass und Hetze säen, ihr treibt uns auseinander.
Ihr lügt, dass sich die Balken bieg’n mit billiger Propaganda.
Ihr warnt vor Feinden der Freiheit, und seid selbst deren größte Feinde
Seid ehrlich, nennt es doch Diktatur, nicht offene Gesellschaft
Essers Album knüpft stilistisch an seine vorherigen Produktionen an und zeugt von großer Kreativität, die der Künstler beweist, indem er teils in Vergessenheit geratene Perlen aus der Tiefe der Archive hervorbringt und sie in den Kontext der Gegenwart stellt. Wer sich auf diese musikalische Reise begibt, wird viel zum Lachen haben und sich an herrlichen Pointierungen erfreuen, die den heutigen gesellschaftspolitischen Irrsinn auf den Punkt bringen.