In einem Artikel der NZZ äussert Josef Widler, Chef der Zürcher Ärztegesellschaft, seine Kritik am bisherigen behördlichen und politischen Management der Corona-Krise. Der 66-jährige Arzt glaubt, dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Seit dem Anfang der Corona-Krise wirbt er für Vernunft – statt für strengere Massnahmen.
Die Kritikpunkte des sogenannten «Mr. Corona», der im Kanton Zürich rund 6’000 Ärzte vertritt:
– «Wir haben viel zu spät bemerkt, dass die Leute aus Angst mit ernsthaften Sachen nicht mehr zu uns gekommen sind.» Einer seiner Patienten meldete sich beinahe zu spät wegen eines geplatzten Blinddarms.
– «Wir schützen die Alten zu Tode. ... Wenn das Grosi seinen Enkel ein halbes Jahr nicht sehen kann, ist das auch nicht so gesund.»
– Angsterkrankungen träten häufiger auf. Die Isolation und die Angst setzten den Menschen zu. Eine Patientin sei so einsam gewesen, dass sie zweimal am offenen Fenster gestanden sei. Sie sei nur deswegen nicht gesprungen, weil sie Angst hatte, dass sie danach nicht tot, sondern nur gelähmt sein könnte.
– Der Arzt freut sich, dass Bewohner der Residenz Spirgarten in Altstetten, wo er ebenfalls als ärztlicher Leiter tätig ist, wegen der «Gefangenschaft» reklamierten. «Es gab Altersheime, die verboten es den Leuten, zum Arzt zu gehen.»
– «Testen, testen, testen» als Konzept hält er für falsch, denn als Arzt interessiere er sich nicht für die positiv Getesteten, sondern für die Kranken. «Es gibt ja kein Medikament gegen Corona, dann kann man einen leichten Verlauf ohnehin nur symptomatisch behandeln, wie eine Grippe. Wenn Atemnot besteht, dann muss man aber sofort reagieren»
– «Man muss die praktizierenden Mediziner einbeziehen bei der Entwicklung der Konzepte, nicht erst danach», bemängelt er, «denn sie kennen die Stolpersteine.»
- Er stört sich daran, dass die Verwaltung den Ärzten Entscheidungen aufgedrückt habe und dass «Juristen und Polizisten» über die Gesundheit der Bevölkerung entscheiden würden.
– Früh in der Krise schloss Dr. Widler sich der damaligen Haltung des Bundesamts für Gesundheit an, dass Masken eine falsche Sicherheit vorgaukelten, weil man damit nicht primär sich selbst, sondern vor allem das Gegenüber schütze.
– «Das Tamtam, das man um die Maskenpflicht macht, ist momentan nicht richtig.»
– Deshalb hält er auch die nun beschlossene Tragpflicht in den Läden für «eher nicht so gescheit». Ihm fehle schlicht eine stichhaltige Begründung dafür, es handle sich wohl eher um einen symbolischen Akt.
– Der grosse Nutzen der Masken sei nicht belegt. «Tatsache ist ja zumindest, dass die Zahlen nicht gesunken sind, seit alle Leute im öV Masken tragen». Die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln sei viel zentraler.
– «Covid-19 ist eine ernsthafte Krankheit, ich will dies überhaupt nicht bagatellisieren, aber Angst bringt nichts.»
– «Das ist doch keine zweite Welle!», sagt er und zeigt in seiner Powerpoint-Präsentation auf die Ansteckungskurve der vergangenen Monate. Es gebe nicht viel Neues seit März und noch viele Unbekannte, erklärt der Heimarzt. «Wir wissen noch nicht, wie viele Viren es braucht, damit wir krank werden.»
– «Vergessen Sie die Impfung, es gibt ja noch keine», sagt Widler weiter.
– Selbst wenn es bald eine Corona-Impfung gäbe, würde er davon abraten, sich sofort impfen zu lassen, da sie nicht sauber getestet worden sei.
– Als Arzt empfiehlt die Grippeimpfung, weil schwer Erkrankte sonst im Spital den Platz einnehmen würden, den man vielleicht für Corona-Patienten brauche.
– Josef Widler ist der Ansicht, dass die Gesellschaft mit dem Tod nicht mehr umgehen könne. Niemand bereite einen mehr darauf vor. Früher habe der Pfarrer diese Aufgabe übernommen.