Am Parliament Hill in London haben sich am Samstag friedliche Bürger versammelt, um gegen die Auslieferung von Julian Assange zu protestieren. Zu den Rednern der Demonstration zählte auch Matt Taibbi, der die Twitter-Files enthüllte. Er sprach darüber, wie wichtig der Fall Assange ist. Wir publizieren an dieser Stelle die Rede von Taibbi.
Ich muss ein Geständnis ablegen: Früher mochte ich Julian Assange nicht, wie viele Journalisten. Das lag nicht nur daran, dass Wikileaks eine grosse Geschichte nach der anderen veröffentlichte.
Assange hatte fantastische Haare. Er trug Skinny Jeans. Er hat sogar auf der Fashion Week gemodelt! Was soll ich sagen? Ich war neidisch. Wir sind in London, also kann ich Shakespeare zitieren, oder?
Oh, bewahrt euch, Herr, vor Eifersucht, dem grüngeäugten Scheusal, das besudelt, die Speise, die es nährt.
Eifersucht, dieses Monster, beeinträchtigt das Denken. (...) Ich hatte keinen Grund, Assange nicht zu mögen. Also habe ich einen erfunden.
Ich beschloss, dass ich das Konzept der «radikalen Transparenz» nicht mochte. Ich dachte: «Du kannst nicht einfach all diese Geheimnisse auf die Öffentlichkeit abladen. Das ist unverantwortlich!»
Ich war damals offenbar einer Gehirnwäsche unterzogen worden, ich (...) vergass, dass Geheimnisse nicht den Regierungen gehören.
Diese Informationen gehören uns. Regierungen regieren mit unserer Zustimmung. Sie benötigen unsere Erlaubnis, wenn sie Geheimnisse der Öffentlichkeit vorenthalten wollen. Regierungen haben niemals das Recht, Verbrechen geheim zu halten.
Ich bin Amerikaner. Viele von Ihnen kommen aus Grossbritannien. In unseren Ländern bauen wir Wolkenkratzer und riesige neue Komplexe, um unsere Geheimnisse zu lagern. Denn wir haben keinen Platz, um sie alle aufzubewahren!
Warum haben wir so viele Geheimnisse? Julian Assange hat uns gesagt warum. In einem Essay, den er geschrieben hat, heisst es:
«Autoritäre Regime lassen Kräfte entstehen, die sich ihnen entgegenstellen, indem sie gegen den individuellen und kollektiven Willen zu Freiheit, Wahrheit und Selbstverwirklichung vorgehen. Pläne, die die autoritäre Herrschaft unterstützen, rufen Widerstand hervor, sobald sie entdeckt werden. Daher werden diese Pläne von erfolgreichen autoritären Mächten verheimlicht.»
Wenn Regierungen autoritär werden, regen sie Widerstand an. Dann müssen Techniken entwickelt werden, um diesen Widerstand abzuwehren. Diese Techniken müssen verheimlicht werden.
Kurz gesagt: Je schlechter ein Land ist, desto mehr Geheimnisse hat es. Wir haben jetzt eine Menge Geheimnisse.
Julian Assange wurde berühmt, als die USA gerade dabei waren, innerhalb der Regierung eine riesige neue Regierung zu schaffen – mit Geheimgefängnissen (...), Massenüberwachung und Drohnenmorden.
Von vielen dieser Dinge wissen wir nur dank Wikileaks. Angeblich war diese Geheimhaltung notwendig, um den ausländischen Terrorismus zu bekämpfen.
Die brutale Ironie ist: Die Architekten dieses Systems halten es nicht einmal mehr für nötig, ihre schmutzigen Taktiken zu verbergen.
Meine Regierung will diesen Mann (Assange, Anm. der Red.) für 175 Jahre ins Gefängnis stecken, hauptsächlich wegen Verstössen gegen das Spionagegesetz.
Dazu gehören Verbrechen wie «Verschwörung zum Erhalt von Informationen zur nationalen Verteidigung» oder «Beschaffung von Informationen zur nationalen Verteidigung».
Was sind «Informationen zur Landesverteidigung»? Die Antwort macht dieses Gesetz so gefährlich: Das entscheiden die Mächtigen. Heisst: Jede Information, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen soll. Sie muss nicht einmal geheim sein.
Was ist gemeint mit «Verschwörung zur Beschaffung solcher Informationen»? Dafür haben wir ein Wort. Man nennt es Journalismus.
Meine Regierung will Julian Assange für 175 Jahre ins Gefängnis stecken, weil er Journalismus betrieben hat. Die Regierung dieses Landes, des Vereinigten Königreichs, wird es zulassen, dass dies geschieht.
Wenn das mit Andrej Sacharow oder Nelson Mandela geschehen würde, würde jede Menschenrechtsorganisation der Welt dies als unerträglichen Skandal anprangern. (...)
Aber weil es unsere eigenen Regierungen sind, die das tun, wird geschwiegen. Wenn Sie damit einverstanden sind, dass dies einem Julian Assange passiert, dann sind Sie auch damit einverstanden sein, dass das Gleiche vielen anderen passiert.
Deshalb ist dieser Moment so wichtig. Wenn Assange erfolgreich ausgeliefert und verurteilt wird, wird es etwa zehn Minuten dauern, bis so etwas wieder passiert.
Dann wird dies zu einem alltäglichen Ereignis werden. Es wird keine Demonstrationen in Parks mehr geben, keine Nachrichten mehr. Dies wird ein normaler Teil unseres Lebens werden. Lassen Sie das nicht geschehen. Befreien Sie Julian Assange.
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