Was als historisches Umweltabkommen begann, droht zu einem Musterbeispiel politischer Einflussnahme zu verkommen: Die internationalen Verhandlungen für ein UN-Abkommen gegen Plastikverschmutzung stehen unter massivem Druck durch petrochemische Konzerne, Öl-Staaten und gut vernetzte Lobbygruppen. Insider sprechen von einer «totalen Unterwanderung» der Gespräche, wie der Guardian diese Woche schrieb.
Im Zentrum der Kritik steht das Verhalten von Lobbyisten bei der letzten Verhandlungsrunde in Ottawa. Dort wurde die Umwelttoxikologin Prof. Bethanie Carney Almroth mehrfach verbal attackiert und sogar körperlich bedrängt – etwa von Vertretern eines US-Chemiekonzerns, die sich kreisförmig um sie stellten.
«Ich musste sogar Maßnahmen gegen Überwachung treffen», berichtet sie. «Sie versuchten, auf meinen Bildschirm zu filmen, mitzulesen, mit wem ich chatte.»
Doch es sind nicht nur Einzelvorfälle. Hinter den Kulissen orchestrieren mächtige Länder wie Saudi-Arabien gemeinsam mit Konzernen wie ExxonMobil, Dow und Sabic systematisch den Widerstand gegen verbindliche Vereinbarungen. Ihr Ziel: keine Obergrenzen für die Plastikproduktion, sondern Fokus auf Recycling – eine Lösung, die laut Wissenschaft wenig greift. Nur neun Prozent des weltweit produzierten Plastiks werden tatsächlich recycelt. David Azoulay vom Center for International Environmental Law spricht von struktureller Schieflage:
«Die Industrie ist nicht nur beteiligt, sie dominiert. Und das bei einem Problem, das sie selbst maßgeblich verursacht hat.»
Dabei stünde viel auf dem Spiel: Derzeit gelangen jährlich rund 450 Millionen Tonnen Plastik in Umlauf – Tendenz stark steigend. Plastik belastet Ökosysteme, vergiftet Böden, Tiere und letztlich den Menschen. Ohne ein wirksames Abkommen droht die Produktion bis 2060 auf das Dreifache zu steigen.
Auch innerhalb der UN gibt es Kritik: Inger Andersen, Chefin des Umweltprogramms Unep, wird vorgeworfen, zu industriefreundlich zu agieren. Ihre Aussage, die Diskussion über eine Produktionsobergrenze sei «nicht intelligent», sorgte für Empörung bei mehr als 100 Umweltorganisationen. Unep selbst gibt an, nur zu moderieren – doch die engen Verbindungen zu Saudi-Arabien, das allein 2024 über 20 Millionen Dollar spendete, werfen Fragen auf.
Zudem ist die Zahl der anwesenden Industrievertreter erdrückend: Beim letzten Treffen in Busan zählten Beobachter 220 Lobbyisten – mehr als jede einzelne nationale Delegation. Viele sind sogar Teil offizieller Ländergruppen und erhalten so Zugang zu vertraulichen Sitzungen.
Die Verhandlungen sollen im August in Genf fortgesetzt werden. Mehr als 90 Staaten fordern ein ambitioniertes Abkommen – darunter viele vom Plastik besonders betroffene Länder. Doch angesichts der finanziellen und strukturellen Übermacht der Lobby droht der Gipfel zu scheitern. Carney Almroth bleibt dennoch kämpferisch:
«Es geht hier um unsere Gesundheit, unsere Umwelt, unsere Zukunft. Und wir lassen uns nicht einschüchtern.»
Doch die Uhr tickt – und die Konzerne wissen das.