Die Prinzipien des modernen Völkerrechts wurden einst im Westfälischen Frieden von 1648 festgelegt, der das Ende des Dreißigjährigen Krieges markierte. Dieser Vertrag setzte fest, dass Staaten ihre Souveränität wahren und keine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder vornehmen sollten. Doch im 21. Jahrhundert scheint dieses fundamentale Prinzip zunehmend in Frage gestellt zu werden, insbesondere durch die Politik der Vereinigten Staaten, die in den letzten Jahrzehnten eine unipolare Weltordnung zu etablieren suchen.
In einer jüngst auf YouTube veröffentlichten Diskussion zwischen den Ökonomen Michael Hudson und Richard D. Wolff wird diese Entwicklung scharf kritisiert. Das Gespräch fand knapp vor der Wahl von Donald Trump statt, ist aber angesichts seiner Amtsübernahme von brennender Aktualität: Die USA hätten sich nicht nur als unangefochtene Weltmacht etabliert, sondern sie hätten auch das internationale Recht zu ihren eigenen Gunsten umgeschrieben, so der Tenor.
Hudson, ein ehemaliger Analyst der Wall Street, beschreibt, wie die USA die Aggressionen in Konflikten wie dem in der Ukraine oder in Israel maßgeblich unterstützen. Diese Unterstützung stelle einen klaren Bruch mit dem internationalen Recht dar. Das Fehlen wirksamer Mechanismen zur Durchsetzung des Völkerrechts habe dazu geführt, dass grundlegende Prinzipien wie der Schutz von Zivilisten oder das Verbot von Genozid entwertet wurden. Die USA, so Hudson, hätten das Völkerrecht nicht nur missachtet, sondern eine neue, von ihnen definierte «regelbasierte Ordnung» etabliert, die einzig ihren eigenen Interessen dient.
Wolff ergänzt, dass der derzeitige Zustand eine dramatische Parallele zum Dreißigjährigen Krieg darstelle, der Europa in einen blutigen Konflikt stürzte. Die Lösung dieses Konflikts – der Westfälische Frieden – schuf eine multipolare Weltordnung, die auf der Anerkennung der staatlichen Souveränität basierte. Diese Ordnung, so Wolff, sei jedoch heute bedroht. Die USA versuchten, eine unipolare Welt zu etablieren, in der sie als alleinige Ordnungsmacht agieren. Der Versuch, ein System zu schaffen, in dem die USA die alleinige Führungsrolle einnehmen, bringe das internationale Gleichgewicht ins Wanken.
Michael Hudson geht weiter und beschreibt, wie sich die geopolitische Machtverschiebung auf das Verhalten der USA auswirkt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die USA ihre weltweite Hegemonie nicht nur auf militärischer, sondern auch auf wirtschaftlicher Ebene ausgebaut. Die Kontrolle über das internationale Währungssystem und die globalen Finanzmärkte gab den USA die Macht, die weltwirtschaftliche Ordnung nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Doch diese hegemoniale Position sei zunehmend unter Druck geraten.
Der Aufstieg von Alternativen zu westlich dominierten Institutionen, wie der BRICS-Staaten-Allianz (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), sei ein deutlicher Hinweis darauf, dass der globale Süden sich zunehmend von der westlichen Vorherrschaft befreien möchte. Hudson argumentiert, dass Länder wie China und Russland ihre eigenen multilateralen Mechanismen schaffen, die eine Abkehr von der US-geführten Weltordnung ermöglichen. Der Krieg in der Ukraine, der von den USA unterstützt wird, sei ein Beispiel für den verzweifelten Versuch der USA, ihre Macht zu sichern und eine Weltordnung aufrechtzuerhalten, in der sie als zentrale Akteure agieren.
In einer detaillierten Analyse der geopolitischen Spannungen in der Ukraine und im Nahen Osten weist Hudson darauf hin, dass die USA in ihrem Streben nach globaler Dominanz bereit sind, grundlegende Prinzipien des internationalen Rechts zu brechen. Der Fall der eingefrorenen russischen Währungsreserven, die zu Beginn des Ukrainekriegs von westlichen Staaten beschlagnahmt wurden, sei ein exemplarisches Beispiel für den Willen der USA, das internationale Recht nach ihren eigenen Regeln umzuschreiben. Diese Handlungen, so Hudson, würden die ohnehin schon schwache Durchsetzungskraft des internationalen Rechts weiter untergraben.
Für Wolff ist dies ein eindeutiger Hinweis auf den «verzweifelten Kampf eines sterbenden Imperiums». Der Verfall der USA, sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene, zeige sich nicht nur im Verlust ihrer hegemonialen Position, sondern auch in der wachsenden Unzufriedenheit innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Die zunehmende industrielle Schrumpfung und Deindustrialisierung des Landes sowie die verlagerten Arbeitsplätze nach Übersee hätten eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise ausgelöst, die auch die politische Landschaft erschüttert.
Die geopolitischen Fronten im 21. Jahrhundert sind weit komplexer als noch zu Zeiten des Kalten Krieges. Richard D. Wolff zieht Parallelen zwischen der aktuellen geopolitischen Lage und der Kolonialisierung der Neuen Welt durch europäische Mächte. Insbesondere die Rolle der USA und Israels als «Siedlerkolonien» im globalen Kontext wird als eine der Ursachen für die anhaltende Gewalt und den Widerstand gegen die westliche Weltordnung beschrieben.
Die «neokoloniale» Ausrichtung der US-Außenpolitik – unterstützt von westlichen Allianzen wie der NATO – wird von Hudson und Wolff als ein Versuch gedeutet, eine neue Form der globalen Herrschaft zu etablieren, die durch ökonomische, finanzielle und militärische Mittel durchgesetzt wird. Der Aufstieg der BRICS-Staaten und die zunehmende Zahl von Ländern, die sich der US-Hegemonie widersetzen, stellen für die westliche Welt eine existentielle Bedrohung dar. Besonders auffällig ist dabei die wachsende Bereitschaft vieler Länder, sich nicht länger den diktatorischen Regeln des Westens zu unterwerfen.
Die Frage, ob eine neue multipolare Weltordnung möglich ist, bleibt offen. Die USA, erklären Hudson und Wolff, hätten den politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb zu lange als Bedrohung angesehen. Dies manifestiere sich in ihrer fortwährenden Unterstützung von Konflikten wie dem in der Ukraine und im Nahen Osten, in denen die USA als dominante Akteurin auftreten. Der Widerstand der BRICS-Staaten, von Russland bis China, ist ein klarer Ausdruck des Versuchs, sich von der imperialen Kontrolle der USA zu befreien.
Die geopolitische Agenda der USA, die darauf abzielt, sich die globalen Ressourcen und Märkte unterzuordnen, wird von den beiden Ökonomen als destruktive Kraft wahrgenommen. Wolff betont, dass die derzeitige Ordnung nicht nur zu einem internationalen Machtkampf führt, sondern auch die fundamentalen Werte des Völkerrechts gefährdet. Der Widerstand gegen die Vorherrschaft der USA, der von Ländern im globalen Süden getragen wird, könnte in den kommenden Jahrzehnten zu einem fundamentalen Wandel führen.
In der kritischen Auseinandersetzung mit der aktuellen geopolitischen Lage zeichnen Michael Hudson und Richard D. Wolff ein düsteres Bild einer Welt, die sich an der Schwelle zu einer neuen Ära der Unordnung befindet. Die Prinzipien des Völkerrechts, die über Jahrhunderte hinweg als Grundlage für internationale Beziehungen dienten, stehen zunehmend in Konkurrenz zu den imperialen Ambitionen der USA. Offen bleibt die Frage, wie eine gerechte und friedliche Weltordnung aussehen könnte. Doch eines scheint sicher: Der Widerstand gegen die unipolare Dominanz der USA ist weltweit spürbar und könnte – immer gemäß den beiden Ökonomen – in naher Zukunft die Grundlage für eine neue geopolitische Ära bilden.
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