Transition News: Sie sind freie Familienbegleiterin, 2020 waren Ihre Aufträge von einem Tag auf den anderen weg. Kurz vorweg: Was macht eine Familienbegleiterin?
Daniela Schramm: Familienbegleiterin ist eine anderthalbjährige Weiterbildung, die ich privat bei einem großen bundesweiten Träger gemacht habe. Man kann damit verschiedene Tätigkeiten starten: Eins-zu-Eins-Beratungen in Familien – etwa bei Schlafproblemen, Erziehungsthemen oder Ernährungsproblemen – oder auch Kurse, Vorträge und Workshops.
Ich habe Eltern-Kind-Kurse und Beratungen bei Still- und Schlafproblemen angeboten. Das betraf Kinder bis zum dritten Lebensjahr. Zum größten Teil habe ich Kurse geleitet, «Fabelkurse» nennen die sich hier. Die müssen meistens privat bezahlt werden. Die Eltern starten, wenn ihr Kind drei Monate ist, und bleiben das ganze Jahr in einer Gruppe zusammen.
Anfangs geht es natürlich darum, in so einem Kreis Vertrauen zu fassen. Danach geht es um alle möglichen Themen, die mit Elternschaft und mit Dingen zu tun haben, die mit dem ersten, zweiten oder dritten Kind auf einen zukommen.
Dieses Angebot fängt unwahrscheinlich viel auf: Es gibt nichts Schöneres, als wenn man hört, dass es anderen ähnlich geht. Zum Beispiel die anfänglichen Schlafdefizite. Je größer das Schlafdefizit, desto schwieriger können die damit verbundenen Thematiken sein. Dabei können Fütterprobleme, schlechtes Gedeihen der Kinder oder Geburtstraumata eine Rolle spielen. Das ist ganz vielschichtig.
Und wenn es einem schlechtgeht und man mit diesen Themen nicht rauskommt, weil der Kopf dafür nicht frei ist oder weil man niemanden findet, mit dem man offen drüber reden kann, dann denkt man: «Verdammt, warum geht es mir so schlecht? Die anderen schieben ihren Kinderwagen draußen und sehen immer so glücklich und zufrieden aus.» Und dazu kommen die Instagram-Fotos von den Influencern, bei denen alles so perfekt scheint.
Also das ist schon eine ganz andere Situation in so einer Gruppe, wo man mit diesen Themen abgeholt wird. Und je länger man als Familienbegleiterin mit den Eltern zusammenarbeitet, desto eher kann man auch hochsensible Probleme anfassen. Das ist ein ganz spannender Prozess.
Mit der ersten Ausgangssperre im Frühjahr 2020 durften diese Kurse allerdings nicht mehr stattfinden ...
Am Anfang des ersten «Lockdowns» war alles total unübersichtlich: Dürfen wir noch oder nicht? Oder nur unter bestimmten Auflagen?
Aber Familienbegleiter waren, so wie viele andere, nicht so richtig bedacht worden. Wir durften dann – gefühlt von einem Tag auf den anderen – diese Kurse einfach nicht mehr durchführen. Einige haben versucht, die Gruppen online fortzuführen. Das mag in vielen anderen Bereichen vielleicht geklappt haben, aber so einen Babykurs kann man nicht mal schnell auf online umstellen. Und auch alle Beratungen sind in dem Moment weggebrochen.
Was haben all die Verbote und Schließungen in den Familien angerichtet?
Nach dem ersten «Lockdown» – Ende Mai 2020 – haben wir uns wieder getroffen, und dann ging erst mal das Geschichtenerzählen los. Riesenprobleme machte in den Familien die Betreuung der größeren Geschwisterkinder, weil die auf einmal ebenfalls zu Hause waren.
Und Grundschulkinder sollten zu Hause vor dem Bildschirm sitzen, was sie ja größtenteils gar nicht alleine leisten konnten. Die Eltern waren oft beide im Homeoffice und wussten nicht, wie sie sich die Betreuung einteilen sollen, weil einer immer für die Kinder verfügbar sein musste. Da gab es ganz wilde Konstrukte, bei denen Mama vormittags, Papa nachmittags oder bis spät in die Nacht, aber jeder immer alleine die Kinder betreuen musste. Da haben sich viele sehr alleingelassen oder alleinerziehend gefühlt.
Das war Stress pur, den auch die Kinder hatten. Homeschooling war für die wenigsten eine schöne dauerhafte Alternative. Das hat richtig was gemacht. Das habe ich nicht nur über die Familienbegleitungen erfahren, sondern auch wenn ich die Leute einfach auf der Straße getroffen habe – Spielplätze durften ja nicht betreten werden, die waren alle abgeriegelt. Jeder hat mir immer gleich sein Leid geklagt, so hoch belastet sind alle gewesen.
Wie ist es den Frauen ergangen, die während der sogenannten «Pandemie» ein Kind zur Welt gebracht haben?
Sie haben erzählt, dass sie mit FFP2-Maske im Kreißsaal auf dem Geburtsbett liegen mussten, hyperventilierten und dabei massiv vom Krankenhauspersonal genötigt wurden, die Maske doch wirklich nicht abzusetzen. Den Frauen ging es echt schlecht – je nachdem, wie lange sie mit dieser Maske gebären mussten.
Und jede, die mal eine Geburt hinter sich gebracht hat, weiß, dass das Folter ist – das geht eigentlich gar nicht. Außerdem kamen manche Väter nicht mehr rechtzeitig zur Geburt, weil sie nicht mit ins Krankenhaus durften. Sie mussten sich am Krankenhauseingang von den Frauen, die auf dem Weg in den Kreißsaal waren, trennen. Das Krankenhauspersonal wollte die Männer eine Stunde vor der Geburt anrufen. Aber das geschah oft nicht mehr rechtzeitig und teilweise wurde es einfach vergessen – das Personal war natürlich auch gestresst.
Und die Frauen waren durch die sehr eingeschränkten Besuchszeiten viel allein. Die Mütter hatten ein Familienzimmer für sich, aber trotzdem durften die Männer sie nur für eine Stunde besuchen und mussten dann wieder nach Hause gehen. Wir haben viele solche Absurditäten erlebt, bei denen man sich heute wundert, warum das damals keiner hinterfragt hat.
Diese eingeschränkten Kontakte, gerade während der Geburt und im Wochenbett, haben ganz tiefe Spuren nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den Neugeborenen hinterlassen.
Dieser Stress, den die Erwachsenen da erfahren haben, der geht natürlich auch an den Kindern nicht vorbei. Und wenn ich mich richtig erinnere, hat man das sogar statistisch festgemacht, dass es nach diesen Geburten sehr viele hochtraumatisierte Frauen und in weiterer Folge hochtraumatisierte Kinder gegeben hat.
Sie haben selbst drei Kinder. Welche Auswirkungen haben Schul- und Betriebsschließungen und die Abschaffung des sozialen Lebens auf Ihre Familie gehabt?
Ich würde das erst mal trennen: Dieser erste Lockdown, der ist für uns noch, wenn man das so sagen kann, okay gewesen. Ich habe zwar am Anfang ziemlich damit gehadert, dass ich plötzlich zu Hause war, weil ja keiner so richtig wusste, wie es weitergeht. Aber ich habe damals noch geglaubt, das ginge nur zwei, drei Monate und dass der ganze Spuk nach Ostern 2020 vorbei sein würde. Außerdem haben wir schnell finanzielle Unterstützung bekommen.
Für meine Kinder ist es wohl noch glimpflich verlaufen. Auch weil wir mit dem Thema relativ entspannt umgegangen sind und uns von dieser Angst nicht überrennen ließen. Wir haben hier einen Garten. Unsere Kleine, die war damals knapp vier Jahre alt, hat weiterhin mit Nachbarskindern gespielt. Unsere Nachbarn hätten wohl auch niemanden angeschwärzt.
Wir haben einfach Dinge gemacht, die nicht erlaubt waren. Und die Großen waren zum Glück von der Schule her so gut aufgestellt, dass sie das auch zu Hause einigermaßen hinbekommen haben. Aber trotzdem war es natürlich für die Kinder irgendwann nicht mehr lustig. Das war wie in allen anderen Familien, dass die Kinder ganz schön damit gekämpft haben.
Im ersten «Lockdown» war das für uns noch machbar. Aber bei den darauffolgenden Ausgangssperren war das schon eine ganz andere Nummer: Man war wieder einigermaßen in der Arbeit drin, die Kinder wieder in der Schule und dann kam der zweite «Lockdown». Wieder alle zu Hause, wieder alles alleine machen und den ganzen Tag vor dem PC. Und das hat als Eltern ganz schön viel Kraft gekostet, zumal dann der Impfdruck so langsam losging. Die Belastung war um einiges höher.
Immerhin hat es bei uns in der Familie keine Spaltung gegeben. In ganz vielen Familien wurde ein Keil reingetrieben. Viele haben mit den Schwiegereltern oder den eigenen Eltern gebrochen – Familien und Freundschaften wurde entzweit.
Waren Sie schon immer kritisch? Und hat das etwas mit Ihrer Sozialisation in der DDR zu tun?
Darüber habe ich schon ganz viel nachgedacht. Ich glaube schon, dass das mit der Sozialisation in der DDR zu tun hat, aber auch mit unserem Familiengefüge. Ich habe einen Bruder und noch eine ältere Schwester. Und wir sind witzigerweise alle drei sehr kritische und politisch interessierte Menschen. Bei meinen Eltern kann ich das gar nicht so direkt sehen, aber vielleicht ist es etwas Unterschwelliges. Ich weiß, dass meine Eltern viel gelesen und immer kommentiert haben, aber auf einer anderen Ebene, als ich das heute mache. Wahrscheinlich hat das schon so ein Stück weit mit Erziehung zu tun.
Und mein Bruder ist zu DDR-Zeiten ein Revoluzzer gewesen. Kein richtiger Systemgegner – er hat nicht in Bautzen gesessen – wie so viele andere. Aber er hat auf seine Art mit dem System ganz schöne Probleme gehabt, weil er sich nichts hat vorschreiben lassen. Er wollte gerne sein Leben leben und ist dadurch aufgefallen und schikaniert worden. Und das hat sich natürlich durch mein früheres Leben gezogen. Dadurch habe ich sehr viel mitbekommen, wie das so ist als Außenseiter.
Ich bin kritischer, aber auch interessierter als viele andere. Und ich habe die Wendezeit damals aus zwei Perspektiven wahrgenommen: Einerseits gab es diese Bürgerbewegung, die ja von unten kam, und ganz viele Bürgerrechtler wollten wirklich etwas Neues gestalten. Zweitens haben wir uns gefreut, dass wir jetzt die Chance haben, eine wirklich menschliche Gesellschaft aufzubauen. Das gesellschaftliche Miteinander ist diese eine gute Seite am Sozialismus gewesen. Das haben wir alle geschätzt, und wir wussten, dass das im Westen nicht so ist.
Dieses Menschliche kombiniert mit der Chance, in etwas Neues reinzugehen, das haben wir uns damals gewünscht. Aber die Ernüchterung kam ja relativ schnell. Den Grund dafür beschreibt Daniela Dahn in ihrem Buch «Tamtam und Tabu», in dem sie die Medienberichterstattung der Wendezeit aufarbeitet. Und heute sehen wir dasselbe wie damals:
Ein starker Journalismus, der mit der Politik unter einer Decke steckt, ist sehr mächtig. Auch 1990 sollten wir letztendlich von etwas überzeugt werden, das wir eigentlich gar nicht wollten.
Heißt das, die aktuellen Freiheits- und Grundrechtsinitiativen knüpfen an die Bürgerrechtsbewegung an, die 1990 im Keim erstickt worden ist?
Im Prinzip schon. Wenn mich jemand zweifelnd fragt, ob das, was wir hier machen, etwas bringt, dann fällt mir ein, dass wir es 1989 doch auch geschafft haben. Da war doch damals eine Kraft vorhanden – egal ob die vom Westen noch unterstützt wurde –, um dieses System zum Einbruch zu bringen. Wir haben erlebt, dass, wenn viele Menschen etwas wollen, auf die Straße gehen und dafür einstehen, es möglich ist, Veränderungen herbeizuführen. Ich bin halt eine Macherin – Nichtstun bringt uns nicht voran.
Organisieren Sie deshalb inzwischen Vorträge und Konferenzen?
Meine Talente liegen ganz eindeutig im Vernetzen, Mobilisieren und im Organisieren von Veranstaltungen. Das mache ich gerne. Meine erste große Veranstaltung 2022 mit Daniele Ganser in Falkensee lief gut, und so habe ich da einfach weitergemacht. Außerdem ist der Bedarf vorhanden, weil die Menschen nach Antworten suchen.
Ich bin durch den Ukraine-Krieg eigentlich erst auf Ganser gestoßen. Nachdem ich eines seiner Bücher gelesen hatte, habe ich ihn angeschrieben. Aus dieser recht spontanen Idee kamen tatsächlich zwei Termine im November 2022 mit jeweils 800 Besuchern zustande.
Zu Ihrem Veranstaltungsportfolio gehört auch das «Symposium Falkensee», es findet bereits zum vierten Mal statt. In dessen Beschreibung betonen Sie, dass dabei «gesellschaftliche Debatten ohne Cancel Culture und Zensur» geführt werden. Das klingt, als hätte es Gegenwind gegeben?
Hier im Ort auf jeden Fall. Das war beim ersten Mal ganz komisch. Das war noch eine ganz heiße Phase damals – das ist ja noch gar nicht so lange her.
Es war überhaupt nicht klar, ob wir den Vortrag von Ganser ohne Maßnahmen durchführen können – mit Maske oder unter Ausschluss von Menschen, die sich nicht mit mRNA injizieren lassen, wollte er das auch nicht – zum Glück gab es keine derartigen Auflagen.
Schon 2022 blieben vielen Leuten aus der kritischen Szene Veranstaltungsstätten verwehrt. Und ich wollte ihnen einfach eine Bühne bieten. Ich habe zum Glück jemanden in Falkensee gefunden, der auch zu DDR-Zeiten in der Bürgerrechtsbewegung Erfahrungen gesammelt hatte und damals noch die Stadthalle im Auftrag der Stadt bewirtschaftete. Für ihn war klar, dass jeder auftreten kann. Und für den Bürgermeister von Falkensee auch, der übrigens ebenfalls aus der ehemaligen DDR stammt und keinesfalls wollte, dass Menschen und Meinungen wieder aussortiert werden.
Leider hat sich das aber im Februar 2023 schlagartig geändert, weil in der Stadthalle eine Tanzveranstaltung stattgefunden hat, bei der ein Querdenker aufgetreten ist: Die Stadt ist auf einmal mit Anrufen bombardiert worden, die aus höchsten politischen Kreisen kamen. Der Bürgermeister wusste überhaupt nicht, was los ist und warum er diese brisanten Anrufe bekam. Damals standen jede Menge Vertreter vom Fernsehen, Radio und mehreren Zeitungen quasi vor der Tür.
So hat die Stadt begonnen, auf bereits gebuchte Veranstaltungen, die für das Frühjahr und den Herbst geplant waren, einen ganz anderen Blick zu werfen. Das hat mir tatsächlich richtig Schwierigkeiten gemacht – alles musste neu aufgestellt und beantragt werden. Aufgrund dieses ganzen Debakels musste ich mit dem Symposium auf eine andere Location ausweichen, was nicht einfach gewesen ist.
Selbst heute ist es noch sehr schwierig für kritische Veranstaltungen überhaupt einen Raum in der entsprechenden Größe zu finden.
Gegenwind gab es natürlich auch während der Events. Und die sogenannte «Antifa» kommt anscheinend regelmäßig zu Gansers Vorträgen, wie auch die «Omas gegen rechts» und «Falkensee gegen rechts». Die gehören irgendwie mit dazu. Im vergangenen Jahr war auch eine Lokalpolitikerin von der SPD hier – es ist immer ganz lustig anzusehen, was sich alles vor der Halle an diesem Tag bewegt. Wir haben jedenfalls Security und Polizeischutz, damit alles ruhig verläuft.
Was wird denn auf dem Symposium besprochen, dass es so viel Aufmerksamkeit erregt?
Wir planen keinen Umsturz und wir haben keinen neuen Bundeskanzler im Gepäck. Es sind sehr konstruktive Ansätze, die da vorgestellt und diskutiert werden. Es geht ja nicht darum, eine Revolte auszulösen.
Das sind unterschiedliche Themen. Dieses Jahr im Oktober haben wir drei Bereiche: Andreas Sönnichsen spricht zum Thema Gesundheit und darüber, wo man anpacken muss, damit wir wirklich wieder ein Gesundheitssystem erschaffen. Der Datenanalyst Tom Lausen ist ebenfalls mit dabei, und Matthias Burchardt wird sich dem Thema Bildung widmen.
Es sind spannende Themen und tolle Menschen, die ich mir aussuche – das ist der große Luxus, den ich habe. Die Besucher können Fragen stellen und kommen mit den Referenten persönlich in Kontakt. Wir haben auch Aussteller dabei – fast wie ein kleines Festival.
Haben die Angriffe auf die bürgerlichen Freiheiten allgemein dazu geführt, dass Menschen sich wieder einmischen wollen und gemeinsam an selbstbestimmten Lösungen arbeiten?
Wenn ich jetzt von mir persönlich spreche, würde ich sagen, ja. Um mich herum gibt es einige Leute, die gerade durch die Corona-Zeit wach und aktiv geworden sind. Sie waren vielleicht schon vorher kritisch, aber hatten das, was jetzt so zutage tritt, noch nicht in dieser Gesamtheit erfasst. Wenn Corona mir nicht so die Augen geöffnet hätte – und der Ukraine-Krieg dann noch dazu –, dann wäre ich wahrscheinlich heute nicht da, wo ich bin. Dann hätte ich ein anderes Leben.
Um ein anderes Leben soll es auch am 10. November bei der Utopie-Konferenz gehen. Was wird da passieren?
Wir wollten uns nicht mehr nur passiv Vorträge anhören, sondern uns Praktiker aus der Gesellschaft holen, die schon mit coolen, neuen Ideen unterwegs und erfolgreich sind, damit sie uns zeigen, wie wir es anders machen können.
Jetzt im November finden bei der Utopie-Konferenz Workshops zu neuen Tauschsystemen statt: Gibt es etwas, was ich vielleicht in meine Kommune oder in meine Gemeinde nehmen kann? Wie können wir etwas installieren, das anders ist und was sich besser anfühlt als Geld? Außerdem geht es um alternative Bildung und neue Schulen, ein sicheres World Wide Web mit privatem Datenschutz sowie um neue Wege in der Pflege und im Gesundheitssystem.
Das soll etwas richtig Praktisches sein, wo die Teilnehmer abends rausgehen und sagen: «Okay, so geht das also. Ich mache das jetzt.» Darüber hinaus steht Vernetzung im Mittelpunkt – Gruppen treffen aufeinander, die sich dann gegenseitig befruchten und ihre Erfahrungen teilen.
Die Veränderung kommt also von unten?
Immer mehr Menschen wird klar, dass sie von oben recht wenig zu erwarten haben und dass sie, wenn es um wirkliche Veränderung geht, an der Basis ansetzen müssen.
Alles andere wäre ja wieder ein Umsturz mit neuen Machtsystemen von oben – erstens will das keiner, zweitens weiß man nicht, was dann kommt. So fühlt es sich natürlicher an.
Es gibt Dinge, die irgendwann nicht mehr zeitgemäß sind und nicht mehr zu unserem Leben passen. Vieles fühlt sich nicht mehr gut an. Und dann suchen die Menschen automatisch nach etwas Passenderem. Und diesen Weg wollen wir jetzt gehen. Natürlich auf eine Art und Weise, dass dabei der gesetzliche Rahmen beachtet wird. Man sucht sich seine Nischen, um sich mit diesen neuen Ideen durchschlängeln zu können.
Wie sieht denn eigentlich Ihre Utopie aus?
Also meine Utopie ist sehr hoch angesetzt. Ich bin sehr oft am Überlegen, ob wir das wirklich so gut umgesetzt bekommen: Zu meiner Utopie gehört natürlich so ein Zusammenhalt, wie ich ihn schon mal erlebt habe. Deswegen glaube ich auch daran, dass das irgendwie funktioniert.
Zu DDR-Zeiten – also ich will das jetzt nicht glorifizieren, es war, weiß Gott, nicht alles schön – ist das menschliche Miteinander ganz anders gewesen, als heute. Das Zwischenmenschliche und diese gegenseitige Unterstützung waren vorhanden. Wir hatten ein Grundvertrauen, dass irgendwie alles ganz gut ist und man im System gut aufgefangen ist, dass keiner hängengelassen wird.
Das trägt mich immer noch. Das würde ich mir wünschen, dass es irgendwann wieder so ist: Weg von diesem Konkurrenzdenken, diesem Druck, den wir in der Gesellschaft haben. Unser Familienleben zu DDR-Zeiten war zwar auch nicht leicht, aber meine Eltern hatten wesentlich mehr Gelassenheit, als wir heute. Sie waren überhaupt nicht getrieben. Da denke ich ganz oft darüber nach: Wie gut sie es hatten, dass sie nicht diesem Druck von allen Seiten ausgesetzt waren. Das macht die Gesellschaft extrem krank.
Auch für diese furchtbare Technik – die einerseits ein Segen, andererseits ein Fluch ist – muss es bessere Lösungen geben. Das kann nicht sein, dass wir uns von dieser Technik so beherrschen lassen. Das ist auch eine Utopie: Dass es etwas gibt, was uns da wieder ein Stückchen wegholt. Und dass Demokratie auf eine andere Art und Weise gelebt wird, sodass Menschen mehr Kontrolle haben und Machtmissbrauch konstruktiv verhindern können.
Was ich tatsächlich noch ganz wichtig finde und am liebsten rausbrüllen möchte:
Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich trauen, Dinge öfter auszusprechen. Wenn wir diese Hemmschwellen fallen ließen, würden wir sehen, wie viele kritische Geister es in unserer unmittelbaren Nähe tatsächlich gibt.
Ein Anfang könnte sein, den Status auf Whatsapp mit kritischen Informationen und Links zu füttern. Ich bin dadurch schon mit vielen ins Gespräch gekommen – allerdings auch aus einem Verein rausgeschmissen worden [lacht]. Und je mehr sich trauen, wirklich offen zu reden, desto mehr werden wir. Und so eine Menschenmenge beziehungsweise Menschheitsfamilie kann wiederum Größeres bewirken.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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