Wie werden neue Positionen zur Familie wissenschaftlich unterstützt? Wie wird begründet, dass das Geschlecht sich ändert und alle Formen des Zusammenlebens gleichwertig sind? Wie kommt es, dass das, was bisher als wahr gegolten hat, sich plötzlich als falsch erweist?
Die kurze Antwort ist: Die wissenschaftliche Meinung derjenigen, die Vorbehalte gegenüber dieser neuen Sichtweise haben, wird zum Schweigen gebracht, damit man die Positionen der LGBTQ+-Lobby einseitig vertreten kann.
Ein aktuelles Beispiel ist die kürzliche Rücknahme einer wissenschaftlichen Studie, die den plötzlichen Geschlechtswechsel vor allem junger Mädchen auf den Einfluss von Freunden, auf bestehende psychische Probleme und auf die oberflächliche Behandlung des Kindes durch Psychotherapeuten zurückführt. Ausserdem verschlimmerten sich der Studie zufolge die psychischen Probleme der Kinder nach dem Geschlechtswechsel, anstatt gelöst zu werden.
Die Arbeit hat Trans-Aktivisten verärgert, welche die Meinung vertreten, dass ein Kind im «falschen Körper» geboren werden kann und seine Probleme gelöst würden, wenn es in den «richtigen» Körper zurückkehre. Die Aktivisten erhoben eine Reihe von Anschuldigungen, sodass die Arbeit schliesslich zurückgezogen wurde.
Am 29. März 2023 wurden die Ergebnisse der Studie mit dem Titel «Rapid Onset Gender Dysphoria: Parent Reports on 1655 Possible Cases» veröffentlicht. Die Studie basierte auf den Ergebnissen einer Online-Befragung von Eltern, deren Kinder sich plötzlich für das andere Geschlecht entschieden hatten. Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde die Arbeit kritisiert.
Diese Forschungsarbeit von Suzanna Diaz und Michael Bailey wurde schliesslich am 14. Juni 2023 vom Verlag unter einem Vorwand offiziell zurückgezogen. Aber sie lässt sich im Internet auffinden. Ihre Ergebnisse sind schockierend, da sie zeigen, wie sehr ein sensibles Kind verführt werden kann und wie sehr Eltern möglicherweise unter Druck stehen. Der wahre Grund für den Rückzug liegt also wohl eher darin, dass die Studie Beweise für eine wissenschaftliche Sichtweise liefert, die Aktivisten nicht gerne sehen.
Professor Michael Bailey ist Co-Autor der Studie und Professor für Psychologie an der Northwestern University in den USA. Er hat sich über Jahrzehnte mit Fragen der sexuellen Orientierung befasst.
Aber was ist Rapid Onset Gender Dysphoria (ROGD)? Der Begriff wurde 2018 von der Ärztin und Forscherin Lisa Littman geprägt. Es ist eine Erklärung für ein neues Phänomen unter Jugendlichen, meist Mädchen, die ohne Vorgeschichte von Geschlechtsdysphorie plötzlich erklären, dass sie zum anderen Geschlecht wechseln wollen.
Der Begriff ist umstritten. Forscher wie Bailey hielten dessen Prägung aber für eine wichtige Gelegenheit, die wissenschaftliche Forschung voranzubringen. Andere hielten den Begriff und das, was dahintersteckt, für falsch und von Eltern unterstützt, die nicht akzeptieren könnten, dass sie ein transsexuelles Kind haben.
Bailey ist der Meinung, dass ROGD eine gute Erklärung für die explosionsartige Zunahme von Geschlechtsdysphorie bei heranwachsenden Mädchen ist, da diese jungen Menschen nicht unter Geschlechtsdysphorie im üblichen Sinne leiden. Bis vor kurzem waren die Frauen, die wegen Geschlechtsdysphorie behandelt wurden, Mädchen mit knabenhaftem Aussehen, die von frühester Kindheit an Zweifel an ihrer Weiblichkeit hatten.
Im Gegensatz dazu haben Mädchen mit ROGD oft andere soziale und emotionale Probleme. Die wissenschaftliche Hypothese hinter ROGD ist, dass die betroffenen Mädchen der Idee ausgesetzt werden, dass ihre im Grunde normalen pubertären Ängste auf eine zugrundeliegende Transidentität zurückzuführen sind, erklärt Bailey das Konzept.
Diese Mädchen bezeichnen sich dann plötzlich als «transsexuell» und unterziehen sich eventuell medikamentösen Behandlungen (Pubertätsblocker oder Hormone) sowie drastischen medizinischen Eingriffen wie Brustamputationen.
Bailey findet zahlreiche Belege dafür, dass in toleranten Ländern viele Mädchen aus derselben Gruppe von Kindern sich fast gleichzeitig als transsexuell bezeichnen und dieses Phänomen in den westlichen Industrieländern stark zugenommen hat. Der Forscher räumt aber ein, dass es keine fundierten wissenschaftlichen Daten oder Studien zu diesem Thema gibt.
Das läge zum Teil daran, dass Forscher, die sich mit diesem Thema befasst haben, für ihre Neugier bestraft würden. Wissenschaftliche Zeitschriften zum Beispiel räumten der Empörung von Aktivisten Vorrang gegenüber der akademischen Freiheit ein.
Die Aussagekraft der Studie «Rapid Onset Gender Dysphoria: Parent Reports on 1655 Possible Cases» unterliegt zwei Einschränkungen: Erstens wurden nur Aussagen von Eltern einbezogen, die glaubten, ihre Kinder hätten ROGD, und zweitens lagen nur die Ansichten der Eltern vor. Diese Einschränkungen sind aber in der Arbeit erwähnt. Es wurde zudem ergänzt, dass die Eltern, die an der Umfrage teilnahmen, mit wenigen Ausnahmen progressiv eingestellt waren.
Die Studie wurde vor allem von der konservativen Presse in den USA und von Familien, die über ROGD besorgt sind, sehr positiv aufgenommen. Aber von Anfang an zog sie die Aufmerksamkeit von Trans-Aktivisten und ihren politischen Verbündeten auf sich. Die Lobbyarbeit dieser Aktivisten führte schliesslich zum Rückzug der Arbeit durch den Verlag.
Zielscheibe der Aktivisten war nicht nur die Studie, sondern auch Professor Kenneth J. Zucker, ein US-amerikanischer Psychologe, der in der akademischen Geschlechterforschung tätig ist.
Eine ehrliche Kontroverse ist in der Wissenschaft notwendig, aber sie ist offensichtlich nicht das, was diese Aktivisten wollen. Die Kampagne gegen die Studie hat jedoch möglicherweise das Gegenteil erreicht, denn die Studie hat nach akademischen Massstäben enorme Publizität erzeugt, die weitgehend positiv war. Das zeigt auch, wie gross der Wissensdurst zu diesem wichtigen Thema ist.
Aus diesem Grund werden Bailey und Zucker in Zusammenarbeit mit Lisa Littman eine Langzeitstudie über Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen in Angriff nehmen. Sie werden sowohl Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie als auch ihre Eltern untersuchen und sie mindestens fünf Jahre lang begleiten.
Unter anderem versprechen sie sich davon bessere Informationen über die frühe Geschlechtsdysphorie, die psychische Gesundheit und die Sexualität der Jugendlichen, über die Einstellungen, Verhaltensweisen und Überzeugungen der Eltern sowie über die Übereinstimmung zwischen den Beschreibungen der Jugendlichen und ihrer Eltern.
Die geplante Studie hat das Potenzial, die Tragfähigkeit des ROGD-Konzeptes zu beweisen – oder dieses zu falsifizieren. Die drei Autoren gehen nicht davon aus, dass sie für dieses Projekt staatliche Mittel erhalten werden. Aber sie sind entschlossen, es trotzdem durchzuführen.
«In der Vergangenheit haben Zensoren versucht, den wissenschaftlichen Fortschritt aufzuhalten. Heute wie damals erfordert die Suche nach der Wahrheit Wissenschafter und Forscher, die sich weigern, sich den ideologisch Motivierten und den Aktivisten zu beugen», bilanziert Bailey.