Zahlreiche Wissenschaftler schliessen sich in der Kampagne #wissenschaftstehtauf zusammen. Sie wurde durch die Stiftung Corona Ausschuss rund um Rechtsanwalt Dr. Reiner Füllmich initiiert.
Quelle: Odysee, Stiftung Corona Ausschuss
Es beteiligen sich fortwährend neue Experten aus Wissenschaft und Praxis an der Kampagne. Diese verdeutliche, dass der oft behauptete wissenschaftliche Konsens zu Corona-Fragen nicht existiere. Man vermisse den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs. Die Kampagne fordert zum Austausch von Argumenten auf. In der Politik spiegle sich die grosse Bandbreite an Positionen «nicht einmal ansatzweise wider», so reitschuster.de.
So stellt zum Beispiel Gunnar Kaiser von KaiserTV mit einem Philosophen der Aufklärung, David Hume, die Frage, wie es möglich sei, dass die Wenigen mit solcher Leichtigkeit über die Vielen herrschen. Die Menschen hätten nicht nur zugesehen, wie sie ihrer Freiheit beraubt wurden, sondern dazu auch implizit zugestimmt. Der Propagandafeldzug der Angst habe innerhalb weniger Monate die Werte einer offener Gesellschaft zunichte gemacht. Ganz perfide wirke die Rhetorik «Der Wissenschaft vertrauen», um berechtigte Zweifel als anti-wissenschaftlich zu zerstreuen. Die Politik beruft sich auf Wissenschaftlichkeit und ignoriert gleichzeitig den Forschungsstand.
Quelle: YouTube, Gunnar Kaiser
Leopoldina: Polit-Agenda-Fabrik Merkels?
Die Wissenschaftsakademie Leopoldina stand in letzter Zeit in der Kritik. Eine ihrer besonderen Aufgaben ist die Beratung von Politik und Öffentlichkeit. Sie wurde 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Mehrere Mitglieder haben die Rolle der Akademie in der Politikberatung bei Corona als nicht dem Leitbild der Leopoldina entsprechend kritisiert.
Auszug aus dem Leitbild:
Die Leopoldina tritt für die Freiheit und Wertschätzung der Wissenschaft ein. Sie trägt zu einer wissenschaftlich aufgeklärten Gesellschaft und einer verantwortungsvollen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Wohle von Mensch und Natur bei. Im interdisziplinären Diskurs überschreitet sie thematische, fachliche, politische und kulturelle Grenzen. Die Leopoldina setzt sich für die Achtung der Menschenrechte ein.
Der Mathematiker Prof. Dr. Stephan Luckhaus trat Ende 2020 aus der Leopoldina aus. Die von Luckhaus geschilderten Episoden «vermittelten eine ungefähre Vorstellung davon, was sich hinter der Begrifflichkeit ‹Konsens in der Wissenschaft › verberge», so RT.
Luckhaus begründet seinen Austritt. Quelle: YouTube
Luckhaus stellte folgende Rechnung an: Die Wahrscheinlichkeit einer Person im Alter zwischen 50 und 64 Jahren, die sich im April 2020 infiziert hätte, an der entsprechenden Infektion zu sterben, habe «circa ein Promille (0,1 Prozent)» betragen. Das sei laut Luckhaus die Wahrscheinlichkeit für eine Person in diesem Alter, auch ohne Corona im Zeitraum von zwei Monaten zu versterben. Zudem kämen auf jeden «Corona-Toten» in dieser Altersklasse mindestens 700 Personen, die eine Immunantwort entwickeln würden.
Einseitige Stellungnahmen
Der Wissenschaftsphilosoph Prof. Dr. Michael Esfeld ist seit 2010 Mitglied der Leopoldina und sieht ihr Leitbild verletzt. Hintergrund: In einem offenen Brief vom 8. Dezember 2020 kritisierte er die am gleichen Tag veröffentlichte Stellungnahme der Leopoldina, die sich für einen harten Lockdown aussprach. Nur ein Tag später, am 9. Dezember, verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel einen harten Lockdown. Die Bundesregierung berief sich zur Rechtfertigung ihrer Corona-Politik auf das Credo «Der Wissenschaft vertrauen». Esfeld schrieb in seinem Brief:
«In einer solchen Situation wissenschaftlicher und ethischer Kontroverse sollte die Leopoldina ihre Autorität nicht dazu verwenden, einseitige Stellungnahmen zu verfassen, die vorgeben, eine bestimmte politische Position wissenschaftlich zu untermauern.»
Esfeld betonte im Corona Ausschuss um Reiner Füllmich (5. März 2021, Sitzung 42), dass er sich dem Leitbild der Leopoldina verpflichtet fühle. Aber dieses passe mit der Stellungnahme der Leopoldina vom 8. Dezember nicht zusammen. Diese habe nichts mit Wissenschaft zu tun, sondern sei politischer Aktivismus, so Esfeld. Der aktuelle Virusausbruch sei nicht der erste dieser Art. Die epidemiologischen Daten würden sich in derselben Grössenordnung bewegen wie bei der Hongkong-Grippe 1968/69; die medizinischen Fakten seien also gleich. Es könne jetzt nicht sein, so Esfeld, dass es bis 2019 einen Konsens gab, dass man solche Pandemien rein medizinisch und ohne Lockdown bekämpft, und diesbezüglich nun eine 180-Grad-Wende stattfinde, die durch wissenschaftliche Fakten begründet werde. Ausserdem sei es auch kein rein wissenschaftlicher Strategiewechsel, sondern gehe mit massiven Grundrechtseinschränkungen und politischer Repression einher.
Quelle: YouTube, Stiftung Corona Ausschuss
Was auch nicht gehe: Wissenschaftler, die den Schutz von Risikogruppen proklamieren, werden nicht argumentativ, sondern mittels Diffamierungen bekämpft. Wissenschaftliche Hypothesen können sich als falsch erweisen und müssen der Redlichkeit entsprechend korrigiert oder zurückgezogen werden. Es könne aber nicht sein, dass wissenschaftliche Fachkoryphäen in dem Moment, wo sie sich skeptisch gegenüber dem Strategiewechsel mit politischer Repression äussern, verleumdet werden, so Esfeld. Damit werde die wissenschaftliche Debatte unterdrückt.
Lockdown: negative Kosten-Nutzen-Bilanz
Seit Herbst 2020 lägen Studien zu Ländern mit und ohne Lockdown vor, so Esfeld. Dabei seien keine signifikanten Unterschiede zu erkennen. Esfeld bilanziert, dass Lockdowns gescheitert seien und eine negative Kosten-Nutzen-Analyse aufweisen würden, mal abgesehen von den Grundrechtsbeschneidungen. Zum Zeitpunkt der Stellungnahme der Leopoldina sei demzufolge der Forschungsstand ignoriert worden. Damit sei das Leitbild aufgegeben und die Wissenschaftlichkeit gegenüber dem politischen Aktivismus zugunsten der Bundesregierung geopfert worden, so Esfeld.
Im Gespräch mit Gunnar Kaiser bei KaiserTV (Corona-Transition berichtete) sagte Esfeld:
«Kein Wissenschaftler kann guten Gewissens behaupten, dass Lockdowns irgendeinen Nutzen hatten.»
Thema des Gesprächs war unter anderem das neue Buch von Esfeld (siehe unten). Die Faktenlage würde sich mit der Gefährlichkeit des Virus ändern. Die Zahl der Neuinfektionen sei völlig irrelevant, denn die hänge von der Häufigkeit des Testens ab, so Esfeld. Interessant sei jedoch, ob Leute krank seien im Sinne, ob medizinische Hilfe nötig sei. Bei daraus folgenden Handlungsempfehlungen müssten die Folgen berücksichtigt werden, das heisst, welcher Nutzen (z.B. der Gewinn von Lebensjahren) den Schäden (sozial, psychisch, wirtschaftlich etc.) gegenüberstünden. Diese Daten seien alle eindeutig, so Esfeld mit Hinweis auf die Arbeiten von Prof. Dr. John Ioannidis (Corona-Transition berichtete). Auch diese Daten waren zum Zeitpunkt der Leopoldina-Stellungnahme bekannt. Esfeld:
«Die Feinde der offenen Gesellschaft sitzen in der Leopoldina.»
Denn diejenigen, die an der Stellungnahme mitgewirkt haben, würden eine offene Debatte gemäss dem Leopoldina-Leitbild einer aufgeklärten Gesellschaft verhindern. Wenn man im Namen der Wissenschaft spreche, sei es Pflicht, alle Positionen vorzustellen, so Esfeld. Positionen müssten zur Diskussion gestellt werden. Wissenschaft könne nicht politische Handlungsempfehlungen in eine Richtung geben und könne auch nicht zur Legitimation herangezogen werden. Esfeld:
«Es widerspricht allem was Aufklärung bedeutet, was die Bundeskanzlerin gemacht hat.»
Wissenschaft als Legitimierungsgrund
Die Politik brauche nun jemanden (die Wissenschaft), der herhalte, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen, da sie dies offenbar auf demokratischem, rechtsstaatlichem Wege nicht schaffe. Das kenne man aus totalitären Staaten; auch der Kommunismus oder der Nationalsozialismus hätten sich auf angeblich wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt. Fakten müssten auch die Bezugsgrössen liefern.
In diesem Zusammenhang zitiert der Anwalt Füllmich ein Beispiel: «In den letzten 7 Tagen starben mehr Menschen MIT dem Coronavirus als 2019 im Strassenverkehr.» Wenn man dieses Beispiel in der Grössenordnung weiterdenke, kann man gemäss Esfeld wie folgt vorgehen: Bei 3000 Verkehrstoten gehen durchschnittlich 40 Lebensjahre verloren; bei 30’000 Corona-Toten (Mitte 80-Jährige mit Vorerkrankungen) rund 2 bis 3 Lebensjahre. So würde Corona weniger Opfer fordern als der Individualverkehr.
Wenn das der Handlungsmassstab sei, dann müsste man auch aus wissenschaftlicher Notwendigkeit sofort den Individualverkehr verbieten, so Esfeld. Man darf nur noch fahren, sobald es automatisch geht und der Mensch als Akteur ausgeschaltet ist – was der Impfung entspreche. Mit dieser Logik lasse sich alles Mögliche begründen, um Grundrechte auszuschalten. Das sei dann aber ein Willkür-Staat. Die Leopoldina-Stellungnahme hiesse dann abgewandelt laut Esfeld: «Trotz Aussicht darauf, dass bald selbstfahrende Autos zur Verfügung stehen werden, ist es aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendig, die weiterhin deutlich zu hohe Anzahl an Verkehrstoten durch ein hartes Verbot des Individualverkehrs schnell und drastisch zu verringern.» Diese Problematik zeige, weshalb einige Wissenschaftler alarmiert seien. Esfeld:
«Was uns aufschreckt, was uns schockiert ist, dass die Grundlagen des Rechtsstaats und die Grundlagen der Aufklärung auf so eine ganz billige Weise beseitigt werden und dass gerade diejenigen, die aufgrund ihres Wissens, nämlich die Wissenschaftler [...] ohne ein Augenzwinkern, ohne jedes Nachdenken sich einfach dafür hergeben. [...] Was wir jetzt erleben ist ein kollektives Milgram-Experiment. [1] Und dieses Milgram-Experiment mit der gesamten Gesellschaft funktioniert nur so lange, wie genügend Leute bereit sind mitzumachen.»
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Weitere Beiträge zum Thema (von und mit Prof. Dr. Esfeld):
Corona-Transition, 5. März 2021: Die Coronamassnahmen sind weder wissenschaftlich noch alternativlos
Club der klaren Worte, 16. Mai 2021: Die offene Gesellschaft und ihre neuen Feinde
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Buch-Hinweis:
Christoph Lütge, Michael Esfeld: Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen. Riva, München 2021. ISBN 978-3-7423-1909-8, 128 Seiten. 10,00 €.
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Zu den Autoren:
Prof. Dr. Christoph Lütge hat den Lehrstuhl für Wirtschaftsethik an der TU München inne und ist seit 2019 Direktor des TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence. Nachdem er sich wiederholt kritisch zur Corona-Politik äusserte und die Einseitigkeit der Politikberatung bemängelte, wurde er vom Kabinett des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder aus dem Bayerischen Ethikrat entlassen.
Prof. Dr. Michael Esfeld hat seit 2002 den Lehrstuhl für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne inne und ist seit 2010 Mitglied der Leopoldina. Er gehört dem akademischen Beirat des Liberalen Instituts in Zürich an. Dort veröffentlichte Esfeld im April 2021 das Paper «Die offene Gesellschaft und ihre neuen Feinde» in Anlehnung an Karl Poppers berühmtes Werk «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» (Corona-Transition berichtete). Im Dezember 2020 kritisierte Esfeld in einem offenen Brief die Forderung der Leopoldina nach einer Verschärfung des Lockdowns als politischen Missbrauch der Wissenschaft.