«Haben die USA den Crocus-Terroranschlag zuerst durch Spionage in Kiew entdeckt?» Das fragt der in Russland lebende US-Politikanalytiker Andrew Korybko in einem am Freitag online veröffentlichten Beitrag. Seiner Meinung nach verdichten sich die Hinweise, dass Kiew in den Terroranschlag bei Moskau am 22. März involviert war.
Korybko verwiest auf einen Beitrag in der New York Times (NYT) vom Donnerstag, in dem es unter Berufung auf ungenannte Quellen hiess, dass «die feindlichen Beziehungen zwischen Washington und Moskau US-Beamte daran hinderten, Informationen über den (Crocus-Terroranschlag) über das Notwendige hinaus weiterzugeben, aus Angst, die russischen Behörden könnten ihre geheimdienstlichen Quellen oder Methoden erfahren.»
Vor dem Anschlag hatten US-Behörden wie die US-Botschaft in Moskau auf mögliche Terroranschläge in Russland hingewiesen. Deshalb wird dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, darauf nicht entsprechend reagiert zu haben.
Doch ohne verwertbare Erkenntnisse und nur durch vage Warnungen der USA seien die russischen Sicherheitsdienste nicht in der Lage gewesen, das Attentat zu verhindern, so der Journalist. Das bedeute aus seiner Sicht, «dass Washington durch das Zurückhalten spezifischer Informationen mitverantwortlich ist für die Ereignisse».
Er bezeichnet es als möglich, dass die USA durch das Ausspionieren des Telegram-Kanals, über den die Terroristen angeworben wurden, davon erfahren haben. Es lasse sich aber auch «überzeugend darlegen, dass die USA durch das Ausspionieren Kiews darauf aufmerksam geworden sind».
Die vor einem Jahr durchgesickerten Pentagon-Dokumente hätten bestätigt, dass die USA den Kiewer Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausspioniert haben. Diese Dokumente bestätigten auch, dass die USA ebenso den ukrainischen Militärgeheimdienst GUR ausspioniert haben.
Die Washington Post habe im Herbst 2023 berichtet, dass die CIA den GUR nach 2014 von Grund auf neu aufgebaut habe. Deshalb liege es auf der Hand, dass sie von Anfang an Maulwürfe in diesem Kiewer Geheimdienst eingesetzt habe.
Die USA würden nicht immer rechtzeitig von terroristischen Anschlägen erfahren, da ihre Infiltration der GUR und anderer ukrainischer Regierungsstellen nicht vollständig sei. Aber sie seien «in der Regel dennoch in der Lage, irgendwann im Nachhinein zu schliessen, dass Kiew verantwortlich war, wenn ein ernsthafter Anschlag in Russland verübt wird».
Das sei beispielsweise im Mai 2023 der Fall gewesen, als die NYT berichtet habe, Kiew sei für den Drohnenangriff auf den Kreml verantwortlich. Dabei sei erklärt worden, dass Kiew bis dahin auch hinter anderen Anschlägen steckte.
«Dazu gehören die Ermordung von Darya Dugina und Vladlen Tatarsky, grenzüberschreitende Terroranschläge in der russischen Region Belgorod und der Bombenanschlag auf Nord Stream II.»
Beim Anschlag auf die Ostsee-Pipelines «könnte die Behauptung einer ukrainischen Komplizenschaft durchaus ein geplantes Ablenkungsmanöver sein», um von der US-amerikanischen Beteiligung abzulenken, so Korybko. Er schreibt:
«Vor diesem Hintergrund ergibt der Verdacht, dass die USA möglicherweise verwertbare Informationen über den bevorstehenden Crocus-Terroranschlag zurückhielten, um ihre ukrainischen Quellen und Methoden nicht preiszugeben, viel mehr Sinn.»
Die Chefs des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB und des Sicherheitsrats vermuteten bereits eine ukrainische Beteiligung. Präsident Putin informierte die Nation darüber, dass die Kontakte der Terroristen in diesem Land ein «Fenster» für den Grenzübertritt vorbereitet hatten. Und die Ermittler entdeckten gerade Beweise dafür, dass Kiew die Terroristen mit Kryptowährungen bezahlte.
Korybko verweist auf Ömer Çelik, Sprecher für die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), der kürzlich erklärte:
«Es ist offensichtlich, dass es unmöglich ist, eine solche professionelle Aktion ohne die Unterstützung des Geheimdienstes eines Staates durchzuführen. Solche Ereignisse haben immer Sponsoren, Lobbys, die wollen, dass der – ukrainische – Krieg weitergeht.»
Angesichts dieser Anschuldigung hätten die USA ihre Behauptung wiederholt, die Ukraine sei nicht verantwortlich.
Alles deute darauf hin, «dass die USA wissen, dass die Ukraine beteiligt war, aber fürchten, was Russland tun könnte, sobald die Beweise unbestreitbar sind». Zu den Folgen könne gehören, dass die russischen Sonderoperation in der Ukraine «in einen totalen Krieg» umgewandelt werde, der mit der Niederlage Kiews ende.
Korybko vermutet, dass die CIA von dem Crocus-Komplott erfahren habe, indem sie ihre GUR-Schützlinge ausspionierte, ihnen dann aber sagte, sie sollten es abblasen. Das Attentat sei dann aber dennoch ausgeführt worden, da sich Kiew nicht immer an die US-Vorgaben halte.
Das könne aus seiner Sicht erklären, warum die USA nur vage Informationen an Russland weitergaben, da sie davon ausgingen, dass das GUR den Krokus-Anschlag nicht durchführen würde. Washington wollte aber dennoch die Regierung und die Sicherheitsdienste Moskaus diskreditieren, weshalb die Botschaft damals eine provokative Warnung aussprach.
Nachdem der Terroranschlag stattgefunden hatte und sich die Beweise für eine Beteiligung der Ukraine häuften, hätten die USA ihren Stellvertretern «schnell das Handwerk gelegt, weil sie die Folgen einer möglichen militärischen Reaktion Russlands fürchten». Der Politikanalytiker schreibt, die Motive der US-Geheimdienstler, die mit der NYT über das Hintergrundwissen zum Crocus-Anschlag sprachen, seien unklar.
Klar sei aber, dass damit ein weiterer Verdacht auf die Ukraine falle. «Es scheint immer offensichtlicher, dass Kiew involviert war, und es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis ein rauchender Colt* gefunden wird.»
* Eine rauchender Colt – eine «smoking gun» – steht für einen eindeutigen/unwiderlegbaren Beweis.
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