Die politische Landschaft Europas steht vor einer Neuordnung: Der britische Premierminister Keir Starmer empfing kürzlich in London hochrangige Vertreter der EU zu einem Gipfeltreffen. Ursula von der Leyen und António Costa waren Teil einer Initiative, die das Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auf eine neue Grundlage stellen soll – weg von der Konfrontation des Brexit, hin zu pragmatischer Zusammenarbeit. Besonders in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung, Energie und Migration sollen Brücken gebaut werden.
Doch diese neue Nähe zur EU erfolgt nicht im luftleeren Raum. Vielmehr ist sie Ausdruck einer breiteren geopolitischen Verschiebung – und einer ideologischen Leere, die sich in ganz Europa bemerkbar macht. Während Brüssel und London sich auf gemeinsame Bedrohungen wie den Ukraine-Krieg oder eine abnehmende US-Unterstützung einstellen, fehlt es vielen politischen Strömungen an klarer Orientierung. Die traditionelle Unterscheidung zwischen links und rechts verschwimmt, neoliberale Dogmen dominieren, während soziale Ungleichheiten wachsen und das Vertrauen der Bürger in die politische Elite sinkt. Dies analysierte der zypriotische Europaabgeordnete Kostas Mavridis kurz nach diesem Gipfeltreffen in einem luziden Essay auf der griechischen Plattform Geopolitico – und warnte vor zusätzlichen Gefahren.
Großbritannien nimmt unter Starmer einen pragmatischen Kurs: Es beteiligt sich an EU-Verteidigungsprojekten, am 150-Milliarden-Euro schweren Europäischen Verteidigungsfonds und an energiepolitischen Kooperationen. Auch neue Vereinfachungen im Warenverkehr und bei Reiseformalitäten – etwa für Touristen oder Haustierbesitzer – zeigen konkrete Verbesserungen. Dennoch bleibt Großbritannien außerhalb des Binnenmarkts und der Zollunion – ein Balanceakt zwischen nationalem Interesse und europäischer Integration.
Parallel dazu offenbart sich in Europa ein ideologisches Vakuum. Die «neue Weltordnung» nach dem Kalten Krieg, in der neoliberale Wirtschaftspolitik und politische Korrektheit dominieren, hat klassische Ideologien verwässert. Linke Parteien konzentrieren sich oft mehr auf Umverteilung als auf Wertschöpfung, während rechte Kräfte nationale Interessen instrumentalisieren. In Ländern wie Griechenland und Zypern wird diese Entwicklung besonders deutlich: Dort haben sich linke und rechte Eliten vielfach auf ein postmodernes Dogma geeinigt, das außenpolitische Realitäten – wie die Bedrohung durch die Türkei – ausklammert oder verharmlost.
Dies kritisiert Mavridis, er warnt: Die EU habe sich einseitig auf die russische Bedrohung fokussiert und dabei die neo-osmanischen Ambitionen der Türkei verkannt – besonders in der östlichen Mittelmeerregion. Athen und Nikosia, so Mavridis, versäumen es, die Mitgliedschaft in der EU strategisch für ihre nationalen Interessen zu nutzen.
Griechenland hat zum Beispiel einer neuen NATO-Basis in Alexandroupolis zugestimmt – ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Eine solche Gegenleistung wäre zum Beispiel die Streichung der Fußnote zum Artikel 5 des NATO-Vertrages. Sie besagt, dass wenn zwei NATO-Länder Krieg führen, dies kein Bündnisfall ist. Die Türkei kann also in der Ägäis und in Zypern zündeln und dies bis zum Krieg eskalieren lassen, ohne dass es eine automatische Bündnisverpflichtung der NATO zugunsten Griechenlands gibt.
Die Annäherung zwischen Großbritannien und der EU mag pragmatisch und notwendig erscheinen – doch sie findet in einem Umfeld statt, in dem grundlegende politische Prinzipien und Werte ins Wanken geraten. Wenn Eliten über die Köpfe der Bürger hinweg handeln, droht der demokratische Diskurs von Populisten vereinnahmt zu werden. Und wenn Europa sich seiner selbst nicht sicher ist, nützen neue Partnerschaften nur begrenzt.
Ob also aus der britisch-europäischen Wiederannäherung ein dauerhaftes Modell der Kooperation wird – oder nur eine Episode in einem von Krisen geprägten Kontinent –, wird sich daran entscheiden, ob Europa sein ideologisches Vakuum zu füllen vermag.
Und ganz grundsätzlich ist festzuhalten, dass Großbritannien von allen westeuropäischen Nicht-EU-Ländern nach dem Brexit den schlechtesten Deal erhalten hat von allen. Von dem, was die EU kürzlich der Schweiz zugestanden hat, ist Großbritannien weit entfernt – und London hat die Belastungen durch die Verteidigungsausgaben.