Im Dickicht des «Medien-Dschungels» herrscht ein Chaos von Behauptungen und Gegenbehauptungen. Und leider gibt es immer wieder irreführende Informationen von sogenannten «Experten» auf beiden Seiten. Wie soll man sich da eine eigene Meinung bilden können?
Diese Frage stellte sich auch die Molekularbiologin Rosemary Frei, die jahrzehntelange Erfahrung im Schreiben, Lesen und Redigieren von wissenschaftlichen Arbeiten hat. Als Antwort dazu hat sie hilfreiche Tipps erarbeitet, die im Newsmagazin OffGuardian kürzlich veröffentlicht wurden. In einer dreiteiligen Serie stellen wir die drei Tipps vor, wie Sie gute wissenschaftliche Studien von schlechten unterscheiden können. (Einleitung d. Redaktion).
Tipp #1: Werden wichtige Informationen ausgelassen oder versteckt?
Als Beispiel nehmen wir einen Newsartikel vom Salk Institute for Biological Studies in Kalifornien vom 30. April 2021. Die Meldung wurde von Medien auf der ganzen Welt verbreitet – sie lautete: «Salk-Forscher zeigen, wie das Spike-Protein des Coronavirus Zellen schädigt und bestätigen damit, dass Covid-19 in erster Linie eine Gefässerkrankung ist.» Die Forscher möchten also einen weiteren Beweis für die Tödlichkeit von Covid-19 liefern und zeigen, dass es seine Wirkung über das Spike-Protein auf die Blutgefässe ausübt. Nun zur Frage, ob dieses wissenschaftliche Papier solide ist oder nicht. Sie finden diese Studie leicht im zweiten Abschnitt des Artikels.
Sie sehen, dass sich die Studie auf der Webseite der Zeitschrift Circulation Research befindet. Aber, oh Gott, das sieht alles sehr kompliziert aus, allein schon der Titel: «SARS-CoV-2 Spike Protein Impairs Endothelial Function via Downregulation of ACE 2», auf Deutsch: «SARS-CoV-2-Spike-Protein beeinträchtigt Endothelfunktion über Downregulation von ACE 2».
Aber bitte nicht verzweifeln. Es ist viel einfacher herauszufinden, ob das Papier brauchbar ist. Scrollen Sie sich durch die Studie.
Zuerst werden Sie sehen, dass die Forscher eine künstliche, mit Spike-Proteinen beschichtete, virale Hülle geschaffen haben (und keine RNA in die Hülle gegeben haben). Dann platzieren sie eine Anzahl dieser Virushüllen in die obere Luftröhre jedes Hamsters, die zur Lunge führt. Dies ist sehr weit entfernt von aussagekräftigen Studien mit Menschen.
Dann scrollen Sie weiter nach unten, und Sie werden das hier lesen:
Datenverfügbarkeit
«Die Daten, die die Ergebnisse dieser Studie stützen, einschliesslich der statistischen Analysen und der verwendeten Reagenzien, sind auf Anfrage beim korrespondierenden Autor erhältlich.» Der Begriff «Korrespondierender Autor» bezieht sich auf die Person, die der Ansprechpartner für Rückfragen zur Studie ist.
Wow! Sie müssen also einen der Autoren der Studie anschreiben, um wichtige Informationen über die Studie zu erhalten! Das ist ein grosses Warnsignal. Sie müssten also mit einer E-Mail um die fehlenden Daten und Materialien bitten, diese analysieren und feststellen, ob sie stichhaltig sind. Allein diese Tatsache ist höchst verdächtig. Ich würde diesen Salk-Artikel und die dazugehörige Studie jedenfalls nicht an Andere versenden.
Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, kritische Informationen zu unterbinden. Eine sehr häufige ist das Verstecken der wichtigsten Ergebnisse in zusätzlichen Tabellen oder Diagrammen. «Supplemental» ist ein Begriff für Informationen, die nicht in der Hauptstudie enthalten sind, sondern in einem separaten Dokument.
Um ein aktuelles Beispiel dafür zu finden, weil ich weiss, dass es häufig vorkommt, ging ich gestern auf die Website von medRχiv, scrollte ein wenig nach unten und klickte auf «View by Month». Dann habe ich auf den Titel des Papers geklickt, das ganz oben in der Liste erschien.
Diese Arbeit wurde am 20. Mai veröffentlicht. Sie handelt davon, wie Antikörper in den Atemwegen nach einer SARS-CoV-2-Impfung wieder auftauchen. Am Anfang der Studie steht: «This article is a preprint and has not been peer-reviewed». Will heissen, dass es eine wissenschaftliche Publikation ist, die zwar schon der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, aber noch nicht von Wissenschaftlern aus dem gleichen Fachgebiet begutachtet wurde. Die Qualität dieser Arbeit ist also noch nicht gesichert.
Ich habe nach unten gescrollt und gesehen, dass nur das «Abstract» angezeigt wird – also lediglich eine Zusammenfassung der Studie. Es gibt auch andere Informationen unter dem Abstract, einschliesslich eines «Funding Statement», das aufzeigt, dass die Bill & Melinda Gates Foundation zu den Geldgebern der Studie gehört – da müssen sofort die Alarmglocken klingeln.
Um mir die vollständige Studie anzusehen, scrollte ich zurück an den Anfang der Seite und klickte auf «Download PDF» auf der rechten Seite. Dann schaute ich mir den Abschnitt «Results» in der PDF-Datei des Papers an.
Nachdem ich den ersten Abschnitt der «Results» über «Patient enrollment, assessment of disease severity and timeline», auf Deutsch: «Patientenrekrutierung, Beurteilung der Krankheitsschwere und Zeitplan» übersprungen hatte, der in der Tat eher zu den Methoden als zu den Ergebnissen gehört, sah ich, dass die wichtigsten Ergebnisse grösstenteils in den Abbildungen und Tabellen im «Supplemental Material» enthalten sind. Man müsste also auf diesen Link zum ergänzenden Material klicken, das Material herunterladen und dann nach den Abbildungen und Tabellen mit den wichtigsten Ergebnissen suchen und diese auch noch untersuchen. Wie viele Menschen haben die Zeit und die Laune das zu tun? Ein weiteres Alarmzeichen.
*************
Im zweiten Teil beschäftigt sich Rosemary Frei mit Datenmaterial einer Studie, die eine lebensrettende Behandlung am Menschen untersucht, aber nur mit Tieren oder theoretischen Modellen erprobt wurde.
Zur Person:
Nachdem Rosemary Frei einen Master of Science in Molekularbiologie an der medizinischen Fakultät der Universität Calgary erworben hatte, wurde sie freiberufliche Schriftstellerin. Sie arbeitet seit 22 Jahren als Autorin und Journalistin mit Schwerpunkt Medizin. Website: www.rosemaryfrei.ca