Am 30. Juni 2021 verkündete der Bundesrat den Entscheid für die US-amerikanische F-35 als neuen Kampfjet der Schweizer Luftwaffe. Der Fixpreis: sechs Milliarden Franken. Das Versprechen: ein sorgfältig evaluiertes, klar überlegenes Produkt. Heute, vier Jahre später, ist von diesem Narrativ wenig übrig. Die Beschaffung entpuppt sich als politisches und finanzielles Desaster, das tiefer greift als nur militärische Fragen. Das berichteten letzte Woche die Medien. Am Sonntag analysierte Oberst a.D. Roger E. Schärer auf Inside Paradeplatz das Desaster.
Im Zentrum der Kritik steht die damalige Verteidigungsministerin Viola Amherd (Wallis/Mitte). Sie soll den F-35-Deal im Alleingang forciert und der US-Seite bereits zugesichert haben, während andere Bundesräte noch in europäische Verhandlungen involviert waren. Dieses Vorgehen unterlief nicht nur das Kollegialitätsprinzip in der Schweizer Regierung, es isolierte auch die Schweiz gegenüber ihrem wichtigsten europäischen Partner Frankreich.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im Gegenzug für den Kauf des Rafale-Jets finanzielle Rückflüsse und diplomatische Unterstützung in Brüssel in Aussicht gestellt. Ein Angebot, das in der Hitze geopolitischer Spannungen leichtfertig ausgeschlagen wurde.
Neueste Enthüllungen zeigen: Der einst mit sechs Milliarden veranschlagte Deal wird die Schweiz voraussichtlich bis zu 7,8 Milliarden Franken kosten. Die Behauptung, dass der Unterhalt des F-35 «kostenneutral» sei, ist längst widerlegt. Rechnet man die Betriebskosten hinzu, entstehen dem Bund in den kommenden Jahrzehnten zusätzliche Belastungen von bis zu 20 Milliarden Franken. Und dies in einem sicherheits-, finanz- und sozialpolitisch sensiblen Umfeld, in dem man bei Gesundheits-, Bildungs- und Umweltbudgets um jeden Rappen kämpfen muss.
Der Volksentscheid zur F-35-Beschaffung fiel mit denkbar knapper Mehrheit – 50,1 Prozent stimmten zu. Tausende Auslandschweizer erhielten ihre Abstimmungsunterlagen zu spät. Eine Volksinitiative gegen den Kauf, lanciert von bürgerlichen Offizieren und sicherheitspolitischen Kritikern, wurde noch vor der Abstimmung vom Parlament durch ein Vertragsmandat ausgehebelt. Damit wurde eine Initiative entwertet, die in Rekordzeit über 100.000 Unterschriften gesammelt hatte.
Bemerkenswert ist, wie viele Entscheidungsträger sich rechtzeitig in andere Positionen verabschiedeten. Der frühere Chef der Luftwaffe, Aldo Schellenberg, wechselte zu Skyguide. Sein Nachfolger Peter Merz tat es ihm gleich. Der Armasuisse-Projektleiter zog sich zum privaten Flugzeughersteller Pilatus zurück. Und auch Viola Amherd selbst zog sich zurück – in ihren Walliser Heimatkanton. Statt Rechenschaft zu verlangen, winkte man den Abgang dieser Figuren klaglos durch – oft mit attraktiven Abfindungen und neuen Mandaten.
Im Rückblick zeigt sich auch, wie geschickt Teile der Medienlandschaft instrumentalisiert wurden. Journalisten, die dem Schweizer Verteidigungsministerium (VBS) nahestehen, teils mit militärischem Hintergrund, unterstützten die F-35-Kommunikation unkritisch. Kritische Stimmen, auch aus dem Offizierskorps, wurden diffamiert. So etwa ein ehemaliger Armeechef, der in einem NZZ-Beitrag sachlich gegen den F-35 argumentierte – und massiv unter Druck geriet.
Der Fall F-35 ist kein gewöhnlicher Fehltritt in der Beschaffungspolitik. Er berührt die Grundpfeiler der direkten Demokratie, die Integrität des Bundesrates, die Rolle der Medien – und nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit sicherheitspolitischer Entscheide in der Schweiz.
Nur eine unabhängige Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) mit umfassenden Befugnissen kann klären,
- welche Informationen dem Parlament und der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten wurden.
- wie es zu dieser massiven Kostenverzerrung kommen konnte.
- ob persönliche oder parteipolitische Interessen Entscheidungen beeinflussten.
- wer letztlich die politische Verantwortung trägt.
Der neue Verteidigungsminister Martin Pfister (Mitte/Zug) steht vor einer wichtigen Aufgabe. Will er sich als glaubwürdiger Reformer profilieren, muss er auch vor einer kritischen Aufarbeitung der Arbeit seiner Vorgängerin nicht zurückschrecken – auch wenn sie seiner eigenen Partei angehört. Unterstützung könnte von Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Bundesrat Albert Rösti kommen, die sich bereits als entschlossene Magistrate gezeigt haben.
Der F-35-Skandal ist kein parteipolitisches Thema – er ist ein Prüfstein für den Zustand der schweizerischen Demokratie. Jetzt braucht es mutige Stimmen im Parlament, in den Medien und der Zivilgesellschaft, die sich nicht scheuen, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Eine PUK ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein notwendiger Schritt zu Transparenz, Integrität und politischer Reife.
Denn wer Milliarden ausgibt, muss sich fragen lassen – und zur Rechenschaft gezogen werden.
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