Die Geschichte Zyperns ist eine leidvolle Geschichte von Fremdherrschaft, Unterdrückung und zwangsweiser Assimilierung. Die Insel blühte im Mittelalter, war bevölkert von verschiedenen Nationen und religiösen Gruppen. Nach der Invasion durch das ottomanische Reich gegen Ende des 16. Jahrhunderts verarmte sie. Ausserdem wurde die griechisch-zypriotische Mehrheit großem Assimilierungsdruck ausgesetzt.
Im Zeitalter des Nationalismus und der Kolonisation warf Großbritannien ein Auge darauf. Das Land liegt wie ein riesiger Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer – wie geschaffen, den Weg zum neuen Suezkanal und damit den Seeweg nach Indien zu sichern. Nachdem das Land seit Ende der 1870er Jahre durch die Briten administriert wurde, annektierten diese 1914 die Insel der Aphrodite und machten sie zur Kronkolonie.
Bereits zur Zeit des Ersten Weltkrieges bestand auf griechisch-zypriotischer Seite der Wunsch nach Enosis, nach der Vereinigung mit Griechenland – ein Wunsch, den die britische Seite sowohl nach dem Ersten wie nach dem Zweiten Weltkrieg kategorisch ausschlug.
Natürlich klang dieser Wunsch nach Enosis auf türkisch-zypriotischer Seite provokativ, aber immerhin machten die während der Türkenherrschaft eingewanderten Türkischzyprioten auch im 20. Jahrhundert nicht mehr als 18 Prozent der Bevölkerung aus. Und vor dem Hintergrund der Erfahrung mit Assimilierungsdruck und Fremdherrschaft wirkt der Wunsch erst recht verständlich.
Gleichzeitig verschärften die englischen Kolonialherren die Situation, indem sie offen die türkischzypriotische Seite bevorzugten. Sei es, dass die Ernennung eines neuen Erzbischofs verhindert wurde, sei es, dass alle Lehrer von britischer Seite bestellt werden mussten.
Die Konflikte der griechischzypriotischen Mehrheit mit der englischen Kolonialverwaltung häuften sich. Auch unter der lokalen Beamtenschaft waren die Türkischzyprioten krass bevorteilt. Noch heute erinnern zwei nicht zu knapp bemessene britische Militärbasen und der Linksverkehr an die britische Kolonialzeit.
1960 wurde Zypern dann doch unabhängig. Sei es, weil England wirtschaftlich klamm war, sei es, weil die EOKA, die für Enosis kämpfende griechisch-zypriotische Untergrundarmee, den Kolonialherren zusetzte. Das Land wurde Republik. Es musste sich verpflichten, einen Anschluss an Griechenland oder die Türkei zu unterlassen.
Die Verfassung von 1960 hatte einen stark ethnischen Charakter. Die Präsidentschaft war einem Griechischzyprioten vorbehalten, die Vizepräsidentschaft einem Türkischzyprioten. Beide Seiten waren unzufrieden. Die Griechischzyprioten fanden sich in einem Staat wieder, den sie so nicht wollten – warum galt das Selbstbestimmungsrecht für alle neu unabhängigen Länder in Afrika und nicht für sie? Und die Türkischzyprioten empfanden nach Jahrhunderten der Bevorzugung schnell eine Situation als inakzeptabel.
Die Verfassung gab beiden Seiten weitgehende Vetorechte. Die türkischzypriotische Seite benutzte diese denn auch sehr stark und so wurde der Aufbau des Staates praktisch paralysiert.
1963 schlug der Präsident, Erzbischof Makarios, einen 13-Punkte-Plan vor, der das Funktionieren des Staates erleichtern sollte. Unter anderem sollte das Vetorecht beider Seiten abgeschafft werden. Die Türkischzyprioten zogen sich darauf aus den gemeinsamen staatlichen Institutionen zurück; der gemeinschaftliche Staatsaufbau war gescheitert.
Ich habe die 13 Punkte gelesen. Eine gewisse Gefahr der Marginalisierung türkischzypriotischer Anliegen hätte bestanden, aber eine krasse Diskriminierung vermag ich nicht zu erkennen.
Immer stärker glitt das Land aber in der Folge in bürgerkriegsähnliche Zustände und interkommunale Kämpfe ab. Schon 1963 schickte die UNO eine Friedenstruppe. Die türkischzypriotische Bevölkerung konzentrierte sich in der Folge in selbst gewählten Enklaven und baute dort eine eigene Verwaltung auf.
Hüben und drüben gossen Scharfmacher Öl ins Feuer. Und wenn immer die griechischzypriotische Seite etwas tat, was der türkischzypriotischen Volksgruppe nicht passte, folgten Repressalien gegenüber der damals noch zahlenmässig bedeutenden griechischen Volksgruppe in Istanbul (Konstantinopler Griechen, Phanarioten)
Nach 1968 beruhigte sich die Situation etwas. Es wurde wieder verhandelt, und der Präsident, Erzbischof Makarios, nahm Abstand von der Idee der Enosis. Persönlich habe ich den Eindruck, dass das Land ohne die nachfolgenden verheerenden ausländischen Interventionen die Kurve gekriegt hätte.
Die Touristensaison war im Sommer 1974 in vollem Gang. Sonnenhungrige bevölkerten die Strände, Chartermaschinen flogen die Insel an, Mietwagen kurvten auf den Straßen Zyperns. Dann unterstützte die Athener Militärjunta einen Putschversuch von griechischzypriotischen Extremisten gegen die Regierung Makarios.
Unter eindeutiger Verletzung der internationalen Verpflichtung Zyperns und einer an altgriechische Tragödien gemahnenden Hybris und Selbstüberschätzung wollten die Putschisten die Enosis, den Anschluss an Griechenland, erzwingen.
Was folgte, war eine völlig überzogene Reaktion und eine krasse Verletzung des Völkerrechts durch die Türkei: Die Invasion und die Besetzung von 37 Prozent der Insel durch türkische Truppen. Im Gefolge dieser Intervention wurden über 150.000 Griechischzyprioten aus dem besetzten Norden vertrieben. Diejenigen, die bis heute geblieben sind, waren Repressalien ausgesetzt.
Auf der anderen Seite mussten fast 50.000 Türkischzyprioten den unbesetzten Süden verlassen. Allerdings hat die Regierung ihre Besitztümer registriert, damit sie nach einer allfälligen Wiedervereinigung einfacher zurückgegeben beziehungsweise entschädigt werden können.
Die Teilung Zyperns war vollendet und die beiden Bevölkerungsgruppen lebten nun komplett segregiert. Anders als Griechenland schätzte die Türkei die Lage realistisch ein: Bis heute hatte der Krieg in Zypern für das Land keinerlei Folgen. Die Teilung wurde verfestigt, indem im Norden die Türkische Republik Nordzypern (TRNC) ausgerufen wurde. Die TRNC wird zwar boykottiert und diplomatisch nicht anerkannt, aber das war es.
Die Griechischzyprioten bauten den unbesetzten Teil des Landes in Rekordzeit wieder auf, obwohl 60 Prozent der touristischen Infrastruktur im Norden lag. Die Griechischzyprioten wurden wohlhabend, während der Norden verarmte.
In der Vergangenheit gab es viele Anläufe, die vertrackte Situation zu bereinigen. Wenn in Griechenland Leute über längere Zeit eine Sache besprechen, dann fragt man sie: «Löst ihr das Zypernproblem?» Es ist also das sprichwörtlich schwierig zu lösende Problem. Was macht es denn so kompliziert, dass sich die beiden Volksgruppen vertragen und friedlich auf der Insel leben, ohne dass die eine Seite die andere unterdrückt?
Das Hauptproblem waren wohl in der Vergangenheit die ständigen ausländischen Interventionen. Und heute ist es Tatsache, dass die Türkei keinerlei Anreiz hat, sich aus Zypern zurückzuziehen. Auf sich allein gestellt, würden sich die beiden Volksgruppen wohl ziemlich problemlos vertragen. Dazu kommen seit 1974 die Probleme, die die türkische Intervention geschaffen hat.
2004 gab es die Möglichkeit einer Lösung: Der Annan-Plan. In Griechenland fiel mir damals auf, dass weder in den Zeitungen noch im Fernsehen genaue Informationen darüber gegeben wurden, was der Annan-Plan eigentlich beinhaltete. Die Moderatorin blendete ständig in neuen Fenstern andere Gesprächspartner ein, die ihre Meinung zum Annan-Plan von sich gaben. Man konnte stundenlang fernsehen oder Zeitung lesen – was wirklich vorgesehen war, verstand man nicht. Man hörte nur Meinungen, aber keine Fakten.
Dieser Lösungsvorschlag wurde im Süden und im Norden in getrennten Abstimmungen dem Volk vorgelegt – obwohl die Stimmbürger wohl kaum wussten, um was es genau ging. Er sah eine Konföderation von zwei selbständigen, gleichberechtigten Teilstaaten vor.
Der Gesamtstaat sollte nur für die Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Währungspolitik zuständig sein sowie für die Regelung der Staatsbürgerschaft. Außerdem war eine weitgehende, aber nicht vollständige Demilitarisierung vorgesehen. Im Süden wurde der Plan abgelehnt, während der Norden zustimmte.
Die Gründe für die Ablehnung waren vielfältig: Da war einmal die Regierung, die den Plan zur Ablehnung empfahl und nicht einmal klar erklärte, was er genau beinhaltete. Dann herrschte im Süden die Ansicht vor, dass der Norden viel kriegen würde, während der Süden einiges abgeben müsste. Diese Einschätzung ist nicht ganz falsch.
So war vorgesehen, dass das Territorium des Nordens von 37 Prozent auf 28 Prozent verkleinert würde; insbesondere die Gegend um die Stadt Morphou hätten die Türkischzyprioten zurückgeben müssen. Allerdings wäre damit das türkischzypriotische Territorium immer noch verhältnismäßig groß. Denn zum Zeitpunkt der Invasion betrug der Bevölkerungsanteil der Türkischzyprioten lediglich 18 Prozent.
Es hätten etwa 90.000 Griechischzyprioten nach einem komplizierten Verfahren wieder in ihre Häuser im Norden zurückkehren können. Der Rest wäre entschädigt worden. Hier ist entgegengehalten worden, dass das nur gut die Hälfte der einstmals Vertriebenen betrifft, dass aber alle Türkischzyprioten ungehindert in den Süden hätten zurückkehren können.
Auch gewisse Einschränkungen bei der Personenfreizügigkeit hätten fortbestanden. Damit kam man Befürchtungen des Nordens entgegen, dass der wirtschaftlich starke Süden den ganzen Norden aufkaufen, wirtschaftlich dominieren und bevölkern würde.
Tatsächlich wäre unter dem Strich der Norden der klare Gewinner gewesen, während sich für den Süden durch den Annan-Plan gewisse Risiken ergeben hätten. Ein Türkischzypriote ist heute Bürger eines international nicht anerkannten Gänsefüßchestaates, der nur über Umwege ins Ausland reisen kann.
Mit dem Annan-Plan wäre er sofort EU-Bürger mit allen Rechten geworden. Viele Griechischzyprioten sahen deshalb nicht ein, warum sie dieses Risiko eingehen sollten – zumal die türkischen Truppen nur langsam und nicht komplett abgezogen würden.
Heute hat die Türkei etwa 40.000 Mann in Nordzypern stationiert – eines der am stärksten militarisierten Gebiete der Welt. Seit 1974 ist die Insel zwar geteilt, aber sie ist ruhig. Zusätzlich war 2004 eine Generation herangewachsen, die nichts anderes kannte als ein getrenntes Zypern.
Nach der Ablehnung des Annan-Planes wurde Zypern wie geplant in die EU aufgenommen, wobei das Gemeinschaftsrecht aber nur im unbesetzten Süden gilt. Institutionell ist also der Unterschied krass: Hier ein Staat, der mit Waffengewalt geschaffen wurde und nur von der Türkei anerkannt ist und da ein gleichberechtigtes EU-Land.
Gleichzeitig zieht die Idee der Enosis nicht mehr. Hier die ständigen Dysfunktionalitäten des griechischen Staates und da das gut funktionierende und kaum korrupte Zypern. 2016 machten sich zwei ausgleichende Politiker in beiden Landesteilen daran, die Teilung zu überwinden. Präsident Nikos Anastasiadis und der türkischzypriotische Volksgruppenführer Mustafa Akıncı, Präsident der international nicht anerkannten TRNC. Er war viele Jahre Bürgermeister des nördlichen, türkischen Teils der Hauptstadt Nikosia.
Die beiden kennen sich, wurden in der gleichen Stadt geboren und vertrauen sich. Nun verhandelten sie selber um eine Lösung. Akıncı hat ausdrücklich das Leid bedauert, das den Griechischzyprioten durch den Einmarsch der Türken widerfahren ist. So weit ist nie ein türkischzypriotischer Politiker gegangen.
Gleichzeitig haben gewisse vertrauensbildende Maßnahmen das Klima auf der Insel verbessert. Die grüne Grenze ist nicht mehr derart hermetisch abgeriegelt, wie sie einmal war. Es gibt einige neue Grenzübergänge, und diese können auch ohne große Formalitäten passiert werden. So haben viele Türkischzyprioten im Süden Arbeit gefunden und pendeln hin und her.
Für die Republik Zypern ist das kein Problem, da die Türkischzyprioten aufgrund des Anspruchs auf die ganze Insel deren Bürger sind – mit allen Rechten. Gleichzeitig werden auch die wenigen Griechischzyprioten, die im Norden geblieben sind, kaum mehr Repressalien ausgesetzt. Vor einigen Jahren zum Beispiel konnte in Rizokarpaso die griechische Sekundarschule wiedereröffnet werden.
Die Chancen auf die Überwindung der Teilung und eine Lösung des Zypernproblems haben sich um diese Zeit rapide verbessert. Was waren die Stolpersteine?
Einerseits die internationale Entwicklung. Insbesondere die Türkei muss mitspielen und die Truppen abziehen. In dem Maße wie die internationale Entwicklung der Türkei Trümpfe in die Hände spielt, ist das schwierig oder sehr schwierig zu erreichen.
In den letzten Jahren hat sich die geopolitische Situation der Türkei derart verbessert, dass dieses Land eine Lösung in Zypern ungestraft blockieren oder sabotieren kann – auch dann, wenn sich die beiden Volksgruppen einig sind. Umgekehrt weiß die Türkei genau, dass es wenig zu gewinnen gibt, wenn das Land eine Lösung des Zypernproblems akzeptiert und die Truppen von der Insel abzieht. 2004 hätten die Türken mitgespielt. Ob sie das in Zukunft wieder tun wird?
Die anderen Stolpersteine sind nicht weniger groß – und sie liegen in Zypern:
- Was passiert mit den griechischzypriotischen Besitztümern im Norden genau? Wie funktioniert die Rückgabe, respektive Entschädigung? Während die türkischzypriotischen Besitzungen im Süden registriert sind und damit eine Rückgabe/Entschädigung leicht zu bewerkstelligen ist, dürften sich außerhalb der Gegenden, die an den griechischzypriotischen Teilstaat übergeben werden, knifflige rechtlichte Probleme und Beweisfragen ergeben.
- Einschränkungen in der Personenfreizügigkeit sind nicht mehr möglich – Zypern ist heute EU-Mitglied. Was passiert, wenn Griechischzyprioten außerhalb des griechischzypriotischen Teilstaates in großer Zahl im Norden siedeln? Gilt wie in der Schweiz das Territorialitätsprinzip oder müssen wieder Schulen und allgemein griechische Infrastruktur aufgebaut werden?
- Was passiert mit den Siedlern? Nach 1974 schickte die Türkei massenweise Siedler aus Anatolien nach Nordzypern. Diese unterscheiden sich mentalitätsmäßig stark von den säkularisierten Türkischzyprioten. Auch diese sind auf die Siedler nicht immer gut zu sprechen. Sie lassen sich aber wohl nicht einfach zu 100 Prozent zurückschicken – auch wenn selbst viele Türkischzyprioten dafür durchaus zu haben wären.
- Wie geht die Rückgabe von Kirchen und Klöstern im Norden sowie von Moscheen im Süden vonstatten? Bei den Moscheen ist es wiederum einfacher. Aber im Norden sind praktisch alle Kirchen geschlossen und teilweise ausgeraubt worden. Viele Ikonen wurden illegal verkauft. Dass zumindest bestehende Kirchen innerhalb des türkischzypriotischen Teilstaates wiedereröffnet werden können, ist wohl selbstverständlich.
- Wie wird sichergestellt, dass sich die Griechischzyprioten, die nach 1974 im Norden in der Gegend von Rizokarpaso geblieben sind, weiterentwickeln können, falls die Gegend nicht an den griechischzypriotischen Teilstaat zurückgegeben wird?
- Realistisch ist, dass vom Tag eins der Wiedervereinigung im Norden EU-Recht gilt und der Euro eingeführt wird. Das ist logisch, da Zypern EU- und Euro-Mitglied ist. Wie wird aber verhindert, dass die Banken im Norden, von denen nach 40 Jahren Wirtschaftsboykott niemand weiß, in welchem Zustand sie sind, ausbluten? Innerhalb der Währungsunion kann ein plötzlicher Abfluss von Geld nicht so einfach kontrolliert werden.
- Wie wird sichergestellt, dass beide Bevölkerungsgruppen angemessen vertreten sind, aber kein Teil den Staat blockieren kann?
- Und schließlich: Wie werden die 40.000 Mann der türkischen Armee hinauskomplimentiert?
Das sind die Herausforderungen. Im Oktober 2016 waren die Verhandlungen zwischen den beiden Volksgruppen aber auf der Zielgeraden – von der Öffentlichkeit praktisch unbeachtet. Die schwierigen Fragen waren praktisch gelöst. Die Verhandlungen über die vier Kapitel Regierungsführung, Wirtschaft, Europäische Union und Eigentums standen kurz vor dem Abschluss.
Die Regierungsführung gemäß der Verfassung von 1960 hat vor der türkischen Invasion 1974 nicht funktioniert – es musste eine neue Lösung gefunden werden, die sich stärker an dem schweizerischen Modell orientiert.
Bei der Wirtschaft war vorgesehen, dass der Norden ab dem ersten Tag voll in die Eurozone eingebunden wird. Hier drehten sich die Diskussionen noch um die Frage, ob und wer bei den Banken im Norden Stresstests durchführen kann, wenn sie von einem Tag auf den anderen nach 40 Jahren wirtschaftlicher Isolation der Konkurrenz ausgesetzt werden.
Beim Kapitel EU war vorgesehen, dass ab dem ersten Tag alle Freiheiten voll gelten. Es würde auf der ganzen Insel Personenfreizügigkeit geben, etwas, das im Annan-Plan von 2004 noch nicht vorgesehen war. Auch in Bezug auf die Staatsbürgerschaft war man sich offenbar praktisch einig. Es war ein Modell vorgesehen wie auf den Åland-Inseln.
Es gäbe eine zweistufige Staatsbürgerschaft: Diejenige des griechischzypriotischen oder türkischzypriotischen Landesteils und diejenige des Gesamtstaates. Das aktive und passive Wahlrecht würde im jeweiligen Landesteil ausgeübt, auch wenn der Wohnort im anderen Landesteil ist. Die Äußerungen der Verhandlungsführer implizierten, dass man sich auch in Bezug auf die Siedler praktisch einig war. Diese Frage galt lange Jahre als fast unüberwindlicher Stolperstein.
Auch das Kapitel zum Eigentum galt als schwierig, denn hier geht es um Fragen der Restitution von beschlagnahmtem Eigentum – vor allem im türkisch besetzten Norden – oder der Entschädigung.
Auch über Fragen der Menschenrechte und der Religionsausübung schien weitgehend Einigkeit zu herrschen. Das ist gar nicht selbstverständlich, denn den wenigen Griechischzyprioten, die nach der türkischen Invasion im Norden verblieben sind, wurden selbst grundlegende Menschenrechte sehr oft vorenthalten.
In Bezug auf die Territorialverhandlungen bestanden bis zum Schluss Fragen. Es war aber beiden Seiten klar, dass die Türkischzyprioten etwas zurückgeben müssen. Unklar ist, wie viel Land zurückgegeben wird, wo dieses Land liegt und was mit den jetzt dort siedelnden Menschen passiert.
Die Frage der Sicherheitsarchitektur war der größte Brocken. Die griechischzypriotische Seite war und ist der Meinung, dass ein modernes europäisches Land keine Garantiemächte und keine ständige ausländische Truppenpräsenz auf eigenem Territorium braucht. Die Türkei hat bis heute eine sehr große Anzahl von Truppen in Nordzypern stationiert und hat bisher noch nie Bereitschaft signalisiert, auf den Status als Garantiemacht zu verzichten.
Es hat dann fast geklappt. Von den Medien praktisch unbeachtet, ist anfangs Juli 2017 im schweizerischen Crans-Montana eine weitere Zypernkonferenz ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Das bedeutete, dass das Zypernproblem bis heute ungelöst bleibt.
Die Vertrag war praktisch fertig. An der Konferenz unter der Schirmherrschaft der UNO nahmen neben dem zypriotischen Präsidenten Anastasiades und dem türkischzypriotischen Volksgruppenführer Mustafa Akıncı auch die Außenminister Griechenlands und der Türkei sowie Großbritannien als frühere Kolonialmacht teil. Diese drei Staaten waren seit der Unabhängigkeit 1960 Zyperns Garantiemächte.
Das Kapitel «Sicherheit und Garantien» stellte sich als das Problem, an dem die Einigung scheiterte. Die Türkei besteht darauf, auch in Zukunft Garantiemacht eines wiedervereinigten Zypern zu sein und dort Truppen zu stationieren.
Der türkischzypriotische Volksgruppenführer Mustafa Akıncı appellierte, die «historische Chance» für eine Wiedervereinigung nicht zu verpassen. Vergeblich. Denn nicht Akıncı, sondern der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu machte in Crans-Montana die Musik. Und dieser wiederum handelte im Auftrag des großen Sultans, von Staatschef Recep Tayyip Erdogan.
Dieser hatte keinen Anreiz, in der Zypernfrage Zugeständnisse zu machen. Griechenland, Großbritannien und die beiden zypriotischen Repräsentanten wären bereit gewesen, zu unterschreiben, die Türkei nicht.
Und es gab auch keinerlei Druck aus Washington, der dem NATO-Mitglied Türkei Nachteile angedroht hätte, falls es den Nordteil Zyperns weiterhin in Geiselhaft halten würde. Das ist das Agieren des «Wertewestens» in Zypern.
Ein zypriotischer Freund sagte mir: «Die Türkischzyprioten sind nicht das Problem. Mit ihnen einigt man sich relativ schnell. Es kommt darauf an, was der große Sultan sagt.» Er hat Recht behalten. Die Erwartung der EU und der Griechischzyprioten, die Türkei werde sich zu Kompromissen in der Zypernfrage bewegen lassen, hat sich nicht erfüllt, weil man zwar im Westen vom Völkerrecht redet, aber im entscheidenden Moment dieses zurechtbiegt oder verletzt.
So war am Samstag viel griechische Prominenz in Zypern, um den Einmarsch vor 50 Jahren zu bedauern und zu verurteilen. Und im Norden wurde gleichzeitig der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan von Akıncıs Nachfolgern hofiert.
Und im «Wertewesten» kümmert es niemanden – weder die Presse, noch die Politik.
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