Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ist quasi die Referenzzeitung der Schweiz. Auch in Deutschland mehr und mehr geschätzt, ist sie DIE Pflichtlektüre für gebildete Kreise oder für Menschen, die das von sich denken. Es gab sogar eine Zeit, in der man im Café die Boulevardzeitung Blick in der NZZ versteckte, um nicht unangenehm aufzufallen.
Ihr Kompass ist ziemlich klar: bürgerlich, marktwirtschaftlich und für Atlantiker. Im Zweifelsfall hat sie bisher immer die USA unterstützt und diejenige, die mit ihnen verbündet beziehungsweise in Kampfgemeinschaft verbunden waren. Wie zum Beispiel im zweiten, völkerrechtswidrigen Irakkrieg die «Koalition der Willigen.» Legendär, vor allem bei der älteren Generation, sind immer noch die luziden Artikel von Chefredaktor Willy Bretscher während der Nazizeit.
Bisher tat sie das auch im Ukrainekrieg. Bisher.
Am 6. Mai gewährte die NZZ dem US-amerikanischen Politologen John Mearsheimer ein doppelseitiges Interviewmit dem auffälligen Titel «John Mearsheimer: ‹Ich hätte dasselbe getan wie Putin. Ich hätte die Ukraine sogar noch früher überfallen›». Das Blatt gab dem US-Amerikaner dabei Gelegenheit, richtig auf den Putz zu hauen – die Schuld am Krieg in der Ukraine liege beim Westen.
Dass das kein Ausreißer war, zeigte die Ausgabe vom vergangenen Samstag. Prominent auf der ersten Seite platziert war der Leitartikel aus der Feder von Chefredaktor Eric Gujer mit dem Titel: «Die NATO in der Defensive». Russland sei wieder eine Großmacht, Putin habe Fakten geschaffen, sei nicht zu bezwingen und wenn das so sei, wäre es Zeit für eine Verständigung mit Moskau.
Im Artikel der NZZ wurde ausgeführt, dass der Westen angesichts des Krieges in der Ukraine vor einer grundlegenden strategischen Entscheidung stehe: Entweder müsse er Russland mit allen Mitteln eindämmen oder eine Verständigung mit Moskau suchen. Es hieß, Putin habe mit dem Krieg bereits eines seiner Ziele erreicht, nämlich Russland wieder als Großmacht zu etablieren und die NATO-Osterweiterung zu stoppen.
Gujer betonte, dass die NATO an Einfluss verloren habe und angesichts eines erneuten Präsidenten Trump in einer unsicheren Lage sei. Auch Trumps Haltung zur Ukraine sei laut Artikel zwiespältig gewesen – zunächst habe er Zugeständnisse gemacht, später jedoch einen härteren Kurs gegenüber Moskau eingeschlagen. Gujer vertritt die Ansicht, dass eine dauerhafte Sicherheitsordnung in Europa nur dann möglich sei, wenn auch Russlands Interessen berücksichtigt würden, selbst wenn dies einen hohen politischen Preis habe und über die Köpfe der Ukrainer hinweg geschehe.
Gujer legt damit genau die Zusammenhänge dar, auf die Transition News seit Jahren nicht müde wird, hinzuweisen. Es fehlte lediglich der Hinweis auf die verpasste, aber durchaus gangbare Verständigungslösung unmittelbar nach Kriegsausbruch 2022. Mittlerweile ist es klar, dass es diese Lösung gab und dass sie vom Westen torpediert wurde.
In der gleichen Ausgabe kritisiert dann der Brüsseler NZZ-Korrespondent Antonio Fumagalli, dass sich über dreißig westliche Staaten, darunter viele Außenminister, in der Ukraine getroffen haben, um die Einrichtung eines Sondertribunals zu unterstützen. Dabei sei betont worden, dass die politische Führung Russlands – insbesondere Putin, Medwedew und Lawrow – zur Rechenschaft gezogen werden solle. Der NZZ-Korrespondent wies jedoch darauf hin, dass diese Personen aufgrund ihrer völkerrechtlichen Immunität während ihrer Amtszeit juristisch nicht belangt werden könnten.
Manche Völkerrechtler äußerten deshalb Zweifel am Nutzen des Tribunals und warnten, es könne sogar kontraproduktiv wirken, etwa indem es die internationale Strafjustiz schwäche. Statt einer neuen Institution würden einige Länder lieber die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ausweiten. Auch die Schweiz unterstütze das Vorhaben nur noch bedingt und wolle eine Entscheidung von weiteren Entwicklungen abhängig machen.
Aller guten Dinge sind drei. In der gleichen Ausgabe publizierte die NZZ ein ganzseitiges Interview mit dem ungarischen Außenminister Peter Szijjártó. Der Chefdiplomat aus Budapest wird dabei als amtsältester Außenminister der EU vorgestellt; kritische Fragen ja – aber keine Spur von voreingenommenem Bashing, wie das bei Mitgliedern der ungarischen Regierungspartei geradezu üblich ist.
Laut Ungarns Außenminister Péter Szijjártó könne nur die USA den Krieg in der Ukraine beenden. Insbesondere setze Budapest große Hoffnungen auf Donald Trump, dem man rationales Handeln und Friedensbereitschaft zuschreibe. Szijjártó warf den europäischen Politikern vor, kein echtes Interesse an einem Kriegsende zu haben und den Konflikt durch Waffenlieferungen bewusst zu verlängern. Ein NATO-Beitritt der Ukraine sei laut ihm ausgeschlossen, da dies den Westen einem zu großen Risiko aussetzen würde. Stattdessen forderte er Sicherheitsgarantien auf Basis eines konstruktiven Verhältnisses zwischen den USA und Russland. Die Idee eines EU-Beitritts der Ukraine lehnte er ab und betonte, dass das Land in vielerlei Hinsicht nicht aufnahmefähig sei.
Auch das sind Dinge, auf die Transition News seit Jahren hinweist. Ändert die NZZ da gerade ihren Kurs? Läuft dabei die «alte Tante» zu Hochform auf?
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