Das griechische Portal To Proto Thema (deutsch: das erste Thema) wird im Volksmund in Griechenland To Proto Psema (deutsch: die erste Lüge) genannt. In der letzten Zeit scheint es aber, dass das Portal seinem Spitznamen untreu wird. Kommentare werden kaum noch zensiert und es werden mittlerweile interessante, kritische Artikel publiziert wie ein Interview mit dem Völkerrechtsprofessor und Parlamentarier der Regierungspartei Nea Dimokratia Angelos Syrigos.
Die Rückkehr von Donald Trump an die Spitze der USA habe Europa mit einer unerwarteten und bislang nicht vollständig verarbeiteten Herausforderung konfrontiert. Syrigos verglich die momentane Lage Europas mit der eines Jugendlichen, der plötzlich seine Eltern bei einem Unfall verliert. Diese Metapher verdeutlicht die Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, die die europäische Sicherheits- und Außenpolitik in der Ära nach der Trump-Wahl prägt.
Syrigos betonte, dass Europa in der Vergangenheit zu leichtfertig angenommen habe, dass Trumps politische Rückkehr nicht möglich sei. Diese Fehleinschätzung habe die EU auf dem falschen Fuß erwischt, da die Vereinigten Staaten unter Trump ihren traditionellen Sicherheits- und Politikanspruch gegenüber Europa immer weiter zurückfahren.
«Trump sagt nicht nur, dass ihn das NATO-Bündnis nicht interessiert – er zeigt es auch ganz konkret», so Syrigos.
Die Konsequenz dieser Haltung sei eine zunehmende Entfremdung zwischen den USA und Europa, die zu einer neuen Realität führen werde, in der Europa selbst Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen müsse.
In Bezug auf die Außenpolitik der USA erklärte Syrigos, dass Trump seine Strategie auf das geopolitische Spiel mit China ausrichte und dabei die Rolle Russlands neu bewerte. Die gegenwärtige Politik der USA unter Trump weise deutliche Parallelen zur sogenannten «Nixon-Kissinger»-Doktrin auf, die während des Kalten Krieges versuchte, China von der Sowjetunion abzubringen. Syrigos erläuterte, dass die USA nun darauf abzielten, Russland von China zu trennen und damit zu verhindern, dass sich die beiden Staaten zu einer unaufhaltsamen globalen Machtallianz zusammenschließen.
Dabei werde der Fokus der USA nicht mehr auf Europa, sondern auf den indopazifischen Raum gelegt, der neben China auch die wirtschaftlich und politisch bedeutenden Regionen Indien und Indonesien umfasse. Die USA wollten alle anderen Fronten schließen, um sich voll und ganz auf den geopolitischen Wettbewerb mit China zu konzentrieren.
«Das bedeutet, dass die Ukraine für die USA keine vorrangige Rolle mehr spielt», erklärte Syrigos.
Eine mögliche Waffenstillstandsvereinbarung in der Ukraine könne dazu führen, dass der Konflikt ähnlich wie der in Zypern eingefroren werde, mit dem Unterschied, dass Europa in dieser Konstellation weitgehend auf sich allein gestellt sei. Syrigos äußerte sich zudem zur Zukunft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
«Selenskyj ist erledigt», so Syrigos in einem klaren Statement.
Der Professor geht davon aus, dass es in naher Zukunft zu Präsidentschaftswahlen in der Ukraine kommen werde, was das politische Bild des Landes erheblich verändern könne. Die westliche Unterstützung für die Ukraine werde zunehmend fragwürdig, besonders wenn man die amerikanische Neuausrichtung und den Fokus auf China berücksichtige.
Für Europa bedeute diese neue geopolitische Ausrichtung eine Herausforderung. Syrigos erklärte, dass die Geschwindigkeit der Entwicklungen «enorm» sei und Europa schnell reagieren müsse, um nicht den Anschluss zu verlieren. Er sieht jedoch eine Chance für Griechenland, sich als führende Stimme in den europäischen Diskussionen zu etablieren. Besonders hervorzuheben sei die zunehmende geopolitische Bedeutung der EU, die ihre Außenpolitik unabhängiger und selbstbewusster gestalten müsse.
Ein weiteres Thema, das Syrigos ansprach, war das schwierige Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei. Er vermutet, dass die Türkei angesichts der Neuordnung der europäischen Sicherheitslandschaft nicht in einen offenen Konflikt mit Griechenland eintreten werde. Die EU müsse ihre strategische Position gegenüber der Türkei jedoch weiterhin mit Bedacht und Entschlossenheit gestalten.
Abschließend brachte Syrigos die Notwendigkeit einer stärkeren militärischen Verteidigung Griechenlands zur Sprache. Er erklärte, dass die massive Aufrüstung Griechenlands eine direkte Folge der nationalen Sicherheitsbedürfnisse sei:
«Der Grund, warum wir so viele Waffen haben, ist, dass wir nicht glauben, dass Luxemburgische Marinesoldaten zum Schutz von Kastellorizo kommen werden.»
Angelos Syrigos skizziert ein düsteres, aber realistisches Bild der kommenden Jahre für Europa, das sich einer neuen geopolitischen Ära gegenübersieht, die von den USA unter Donald Trump und einer aggressiveren China-Politik geprägt sei. In dieser neuen Realität müsse Europa nicht nur seine eigenen Sicherheitsstrategien entwickeln, sondern auch aktiv eine Rolle in der Neugestaltung der globalen Ordnung spielen. Gleichzeitig bleibe die politische Zukunft der Ukraine sowie das fragile Gleichgewicht zwischen Griechenland und der Türkei ein unsicheres Terrain, das noch viel diplomatische und strategische Aufmerksamkeit erfordere.