Dier Gesundheitszustand des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico ist nach wie vor sehr ernst, aber er scheint nach einer zweiten Operation am Freitag ausser Lebensgefahr zu sein. Der Politiker befindet sich aber weiterhin auf der Intensivstation des regionalen Krankenhauses von Banská Bystrica (deutsch: Neusohl). Dies gab die Gesundheitsministerin bekannt.
Die Politik in der Slowakei ist seit einigen Jahren sehr stark polarisiert. Auf der einen Seite steht das Fico-Lager mit der von ihm angeführten sozialdemokratischen SMER-Partei und zwei kleineren eher nationalistischen Partnern, auf der anderen Seite das liberale Lager, das von Oppositionsführer Michal Šimečka angeführt wird und auch aus mehreren Parteien besteht. Verbale Angriffe auf Politiker und aggressive Rhetorik gehören zum Alltag, wobei sich beide Lager nichts geschenkt haben.
Das liberale Lager wird auch von den Medien stark unterstützt, die oft in ausländischer, auch schweizerischer Hand sind. Fico kündigte deshalb an, die öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehanstalt zu schließen und neu zu gründen, mutmasslich durch eine ihm wohlgesinntere Gruppe von Journalistinnen und Journalisten. Mit verschiedenen Medien redet er schon länger nicht mehr.
Auch Morddrohungen gab es – und verstärkt seit dem Attentat. Die dem liberalen Lager zugehörige Präsidentin Zuzana Čaputová kandidierte deshalb nicht für eine zweite Amtszeit.
Nach dem Attentat traten die amtierende Präsidentin und ihr aus dem Fico-Lager stammender Nachfolger Peter Pellegrini gemeinsam vor die Kameras und unternahmen einen symbolischen Schritt zur Beruhigung der Gesellschaft und zur Überwindung der Spaltung dieser beiden unversöhnlichen Lager. Innenminister Šutaj Eštok und Verteidigungsminister Kaliňák sprachen ebenfalls von Versöhnung, sahen die Fehler aber vor allem bei der Opposition und den Medien.
In den deutschsprachigen Medien wird sehr detailliert darüber berichtet. Eine gewisse Tendenz zur Opfer-Täter-Umkehr ist aber nicht zu übersehen. Unausgesprochen schwingt die Vorstellung mit, dass Fico durch seine aggressive Rhetorik in der Vergangenheit die Entwicklung, die jetzt zum Attentat geführt hat, selber förderte.
In den sozialen Medien kamen sofort Gerüchte auf, wonach die Sicherheitskräfte am Tatort eher passiv waren. Innenminister Šutaj Eštok stellte sich aber vor die Sicherheitsleute und lehnte einen Rücktritt ab. Auch den Sicherheitschef belässt er im Amt.
Der 71-jährige Angreifer wurde am Samstag dem Haftrichter vorgeführt und in Untersuchungshaft genommen. Ihm drohen 25 Jahre Gefängnis bis lebenslänglich.
Die Regierung hat außerdem darauf verzichtet, den Ausnahmezustand auszurufen, aber sie erhöht den Schutz für Politiker, Verfassungsschützer oder Journalisten.
Ein Punkt, der zuerst nicht im Vordergrund stand, war die Frage, ob der Täter allein gehandelt hat. Auch der Innenminister ging in einer ersten Stellungnahme davon aus, es handle sich beim Täter, einem ehemaligen Wachmann und Schriftsteller, um einen Einzeltäter, der mit der Politik von Fico nicht einverstanden war.
In den sozialen Medien kam schnell der Verdacht auf, dass dies eventuell nicht so sei. Danach gefragt, äußerte sich der ehemalige christdemokratische slowakische Ministerpräsident Ján Čarnogurský vorsichtig. Die vorhergehende Legislatur sei durch eine sehr große Instabilität gekennzeichnet gewesen. Das Fico-Lager habe seit dem letzten Jahr sowohl die Parlaments- wie die Präsidentenwahlen gewonnen.
Trotzdem würden die meisten Medien äußerst kritisch über die Regierungspolitik berichten. Die Äußerungen Fico’s in Bezug auf Russland seien bei Lichte betrachtet relativ milde.
Was ihn von seinen Vorgängern und anderen westlichen Politikern trotz seiner russophilen Rhetorik unterscheide, sei lediglich die Aussage, die Slowakei würde keine Waffen mehr an die Ukraine liefern und kein slowakischer Soldat würde auf ukrainischem Boden kämpfen.
Was Čarnogurský nicht sagte: Fico geißelte jüngst die Coronapolitik der Vorgängerregierung und kritisierte in Brüssel auch die EU-Kommission in Bezug auf die Impfstoffbeschaffung mit harten Worten.
Ist das eine einmalige Tat oder wird die slowakische Gesellschaft immer gewalttätiger? Čarnogurský geht eher von einer einmaligen Tat aus, wenn man vom Mord am Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová absieht. Kuciak, Journalist bei einer Publikation des Schweizer Ringier-Verlages, hatte Verwicklungen des Fico-Lagers mit der italienischen Mafia aufgedeckt, was im Jahr 2018 zum Rücktritt von Fico geführt hatte und zur nachfolgenden politischen Instabilität beitrug.
Seit Fico zum vierten Mal Ministerpräsident geworden ist, fanden Grossdemonstrationen gegen die Regierung statt. Eine weitere war geplant, wurde nun aber abgesagt. Wer steht hinter den Protesten und wie polarisieren sie die slowakische Gesellschaft? Čarnogurský macht klar, dass sich die Äußerungen Ficos in Bezug auf Russland und die Ukraine einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung erfreuen.
Auch die deutschsprachigen Leitmedien gehen nun nicht mehr davon aus, dass der Attentäter ein Einzeltäter war, nachdem in den sozialen Medien schon kurz nach dem Attentat entsprechende Gerüchte aufgetaucht waren. Eines der Indizien sei, dass Inhalte auf der Facebook-Seite des Täters zu dem Zeitpunkt gelöscht worden seien, als dieser in den Händen der Polizei war, erklärte Innenminister Matúš Šutaj-Eštok. In den sozialen Medien kursieren Hinweise, wonach die Ehefrau des Täters mit dem ukrainischen Geheimndienst in Kontakt stand und dass die slowakische Polizei entsprechenden Hinweisen nachgeht.
Kommentar von Transition News
Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine nahm die Slowakei gastfreundlich eine sehr hohe Zahl von Flüchtlingen aus dem östlichen Nachbarland auf. Begünstigt von der Tatsache, dass Ukrainisch und Slowakisch eng verwandte Sprachen sind und ein Teil der Ukraine bis 1938 wie die Slowakei zur Tschechoslowakei gehörte, fanden viele Menschen aus der Ukraine nach dem Februar 2022 in der Slowakei eine neue Bleibe.
Trotz seiner eher pro-russischen Rhetorik war Fico bis zum Attentat pragmatisch und baute auch eine gute Arbeitsbeziehung zu seinem ukrainischen Amtskollegen auf.
Ich bin allergisch gegen Einzeltäterthesen, seit ich den Reichtagsbrand von 1933 genau studierte. Die slowakische Polizei tut also gut daran, bei den Ermittlungen zum Attentat und dem Ministerpräsidenten Fico Spuren ins östlichen Nachbarland zu verfolgen. Fortsetzung folgt.
Kommentare