Hunger und Elend sind schlimmer als je zuvor.
Eine neue Klasse von Feudalherrschern, die
Kosmokraten der großen Konzerne, maßt sich an,
der Welt ihr Gesetz aufzuzwingen. Ihre Profitgier
ist grenzenlos und steht den elementaren
Interessen der Menschen entgegen.
Es kommt nicht darauf an, den Menschen der
Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen
weniger zu stehlen.
Jean Ziegler, «Das Imperium der Schande»
Liebe Leserinnen und Leser!
Alle Welt blickt fassungslos zum Nachtclub Pony auf Deutschlands Schickimicki-Insel Nummer 1. Oder wie es Dushan Wegner in seinem Beitrag «Pendel nun bei ‹Ausländer raus›» für Achgut.com formuliert:
«Die Sylter Prosecco-Crew ruft ‹Ausländer raus› – und der deutsche Propaganda-Apparat dreht frei!»
Ohne Frage, das ausländerfeindliche Gegröle könnte peinlicher nicht sein. Doch nicht nur ist die Art der medialen und Politempörung darüber eines Rechtsstaates unwürdig, auch könnte sie verlogener nicht sein – und vor allem greift die Debatte darüber zu kurz, da sie die massive Mitschuld der «hohen Politik» am Riesenschlamassel ausblendet.
Warum die Empörung über das «Schnösel-Gepöbel» eines Rechtsstaates unwürdig ist? Weil Medien und Politik «nach dem Sylt-Eklat die Gezeigten zum Abschuss freigaben und Scholz, Laschet und Co. dem [auch noch] beipflichteten. Doch wieso gelten hier andere Standards als bei Mördern oder Vergewaltigern?», wie die Berliner Zeitung völlig zu recht in einem Kommentar fragt. Weiter heißt es darin:
«Schnell kursierten die Klarnamen und die Arbeitgeber der jungen Erwachsenen im Netz. Nicht nur der WDR strahlte die Gesichter der jungen Erwachsenen aus. Auch die Bild-Zeitung – Auflage: über eine Million Exemplare – druckte die Gesichter der Personen aus dem Video in ihrer Printausgabe vom Samstag ab.
Das ist bemerkenswert. Denn eigentlich hatte das Blatt aus vorherigen Skandalen die Konsequenz gezogen: Wenn etwa ein mutmaßlicher Mörder oder Vergewaltiger vor Gericht steht und man darüber berichtet, dann verpixelt man das Gesicht oder verdeckt zumindest die Augenpartie mit einem schwarzen Balken ... Doch für die Gröler von Sylt galten diese Standards nicht.»
Moritz N. soll sich auch schon «als erster aus der Sylter Gruppe für seine Gesänge entschuldigt» haben. Das macht nichts Ungeschehen – und wie ernst das wirklich gemeint ist, ist natürlich nicht zu sagen. Doch welcher eingefleischte Nazi würde für so ein verbales Vergehen öffentlich Reue bekunden?
Damit kommen wir zur Verlogenheit des ganzen Shitstorms. Denn wenn ein solcher über einen offenbar nicht eingefleischten Nazi ergeht, wieso erleben wir dann keinen (noch stärkeren) Shitstorm in Bezug auf vieles, was noch schrecklicher ist als die «Ausländer-raus»-Rufe?
Beispielsweise hat ein polizeibekannter Faschist am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen ermordet, die nicht deutsch genug aussahen. Alles, was dies hätte verhindern können, versagte auf Polit- und Polizeiebene in einer Tour, wie die Nachdenkseiten zu bedenken geben:
«Wir wissen ja, wie schnell die Polizei arbeitet, wenn nötig außerhalb des Rechtsstaates, wenn es um die Verhinderung eines Palästina-Kongresses in Berlin geht. Dafür braucht sie so gut wie nichts, weniger als nichts ...
Wenn aber diese Behörden mehr als genug in der Hand haben, wenn der rassistische Attentäter seine Webseite auf die Wände Hanaus sprüht, wenn er dort ein faschistisches Manifest veröffentlicht, wenn er ‹polizeibekannt› ist, wenn er ganz legal im Besitz von Waffen ist, wenn er völlig ungestört durch Hanau fahren kann, um die Mordserie zu beginnen, wenn ein Mann ihn verfolgt und den Polizei-Notruf darüber in Kenntnis setzen will, wenn im Polizeihubschrauber der Funkkontakt ausfällt und die Besatzung dies genervt der Polizeileitstelle meldet … dann kann der bekennende Faschist ungestört weiter morden, bis er genug hat und sich dann sicherheitshalber selbst (und seine Mutter) tötet.»
Oder denken wir an die Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrunds NSU. Da hatte im Jahr 2012 keine geringere als Angela Merkel als Bundeskanzlerin bei der zentralen Trauerfeier für die NSU-Opfer in Berlin getönt: «Wir tun alles, um die Morde aufzuklären.»
Doch auch 20 und mehr Jahre danach ist «von Aufklärung keine Spur» zu finden.
Was Sylt angeht, so war es ausgerechnet Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die bei Caren Miosga sagte: Es sei nicht richtig, die jungen Leute «offen an den Pranger» zu stellen. Einen Tag zuvor hingegen hatte dieselbe Faeser auf dem Kurznachrichtendienst X und damit öffentlichkeitswirksam noch ordentlich Öl ins Hatzfeuer gegossen, indem sie schrieb: «Wer solche Nazi-Parolen grölt, ist eine Schande für Deutschland.»
Und was alles an Gruseligkeiten ist den medialen und politischen Sittenwächtern keine Riesenempörung wert? Denken wir nur an die zehntausenden Hungertoten – die meisten davon kleine Kinder – pro Tag. Sie gibt es seit Jahrzehnten, ohne dass darüber flächendeckend eine Empörungswelle hereinbrechen würde!
Apropos Hunger, da sind wir bei der zentralen Wurzel des Problems, das weithin nicht zum Thema gemacht wird: die Ausbeutung der armen Länder durch die reichen. Denn wenn es gelänge, der «Dritten Welt weniger zu stehlen», um mit dem eingangs zitierten Ziegler zu reden, dann würde man die Menschen auch nicht dazu veranlassen, in Scharen in die reichen Ländern zu fliehen.
Letztlich heißt das ganz große Thema also Gerechtigkeit. Sprich, je ungerechter es zugeht, desto mehr gehen die Menschen aufeinander los. Dazu schreibt Joe Kaeser, Supervisory Board Chairman bei Siemens Energy & Daimler Truck, schreibt in einem aktuellen Linkedin-Beitrag:
«Wir müssen [aus dem Gebrüll auf Sylt] lernen, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir bei der Analyse des wachsenden Zuspruchs für Rechte nur auf die einfachen gesellschaftlichen Schichten schauen, die – von Staat und Gesellschaft allein gelassen – in ihrer Perspektivlosigkeit und aus Enttäuschung anfällig werden.»
Dennoch wird selbst von Journalisten wie Gunnar Schupelius, der zu den wenigen gehörte, die in etablierten Medienkreisen kritisch über Corona berichtet hat, das Thema weltweite Gerechtigkeit ausgeblendet, wenn es um Flüchtlinge geht.
So gab er am Montag in seiner aktuellen Kolumne nicht nur allen Ernstes die Schlagzeile «Migration ist außer Kontrolle und Berlin überfüllt», die ein Wording hat, das nur Öl ins ausländerfeindliche Feuer gießt. Auch wird darin die beschriebene eigentliche Ursache dafür, dass so viele Menschen selbst in ein Schlechtwetterland wie Deutschland in einer Vielzahl flüchten – nämlich die Ausbeutung und «Bekriegung» der armen Länder –, nicht zum Thema gemacht.
Alles Gute – trotz allem!
Torsten Engelbrecht
PS: Da wir den Spendenlink im gestrigen Spendenaufruf nicht eingefügt hatten, holen wir das heute nach. Wer es noch nicht getan hat, hat nun hier die Möglichkeit drauf zu drücken.
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