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Die Corona-Zeit war so einschneidend und prägend, so welterschütternd und voller unerhörter Ereignisse, dass nicht wenige es kaum fassen können, wie schnell sie aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist. Über die nie dagewesenen Freiheitseinschränkungen, Ausgrenzungen und menschlichen Abgründe hat sich ein dicker Mantel des Vergessens gelegt. Eine Gruppe von Künstlern will ihn nun lüften, mit einer Ausstellung in Dresden, die im Titel anklingen lässt, worin das Problem besteht: «Ist das Alles? Schon vergessen?»
Organisiert hat sie André Ismer, der damit erstmals auch als Kurator in Erscheinung tritt. Die Corona-Politik habe tiefe Wunden in der Gesellschaft hinterlassen, erklärt er seinen Beweggrund, künstlerische Positionen zu sammeln und an jene Zeit zu erinnern. «Kaum ein Ereignis in den letzten Jahren hat so viel Verunsicherung, Angst und Wut hervorgerufen.»
Was ihn bis heute verwundert, ist die Widersprüchlichkeit vieler Maßnahmen. Oftmals hätten sie keinen Sinn gemacht, so wie beispielsweise die Verbote, draußen auf einer Parkbank zu sitzen oder Kinder auf einem Spielplatz toben zu lassen. Ismer vermisst eine tiefgründige Auseinandersetzung, einen Widerhall, der die Fehler jener Zeit mahnend in die Zukunft trägt. Seiner Meinung nach hat auch die Kunst viel zu wenig dafür getan.
Alternative Kulturszene
Nun ist es aber nicht so, dass die Kulturwelt generell schweigt. Wie ich im Buch «Kunst und Kultur gegen den Strom» ausführlich darlege, ist seit der Corona-Krise eine durchaus bunte alternative Szene entstanden, mit mutigen Künstlern aus unterschiedlichen Bereichen, die bis heute ihre Stimme erheben, Kritik üben und eine Aufarbeitung fordern. Aber so schnell sie sich ausbreiten mag, sie hat noch nicht alle erreicht und bleibt selbst in manchen Kreisen kritischer Künstler unbekannt.
Ismer jedenfalls konnte bei seinen Recherchen lange Zeit keine Gleichgesinnten finden. Nach und nach lernte er dann doch welche kennen, Künstler wie Simon Rosenthal aus Bamberg, den Leipziger Marco Struckmann oder Frank J. Schäpel aus Berlin. Ismer, der in Dresden lebt und arbeitet, hat sich dann überlegt, diese Kräfte zu bündeln.
Insgesamt nehmen an der Ausstellung zehn Künstler teil, wobei rund die Hälfte aus anderen Städten stammen. Vom 17. Januar bis zum 28. Februar werden anderthalb Monate lang um die 40 Arbeiten präsentiert. Von Installationen über Grafiken bis hin zu Collagen und klassischen Gemälden deckt die Ausstellung fast alle Formen bildendender Kunst ab.
Teilnehmende Künstler
Die meisten Exponate stellt Frank J. Schäpel zur Verfügung, unter anderem das ikonische Bild von der verhafteten Surferin im spanischen San San Sebastián. In Handschellen hinter dem Rücken und mit einer Medizinmaske über Mund und Nase sitzt sie am Strand, während drei Polizisten in Schutzanzügen sie umkreisen, als wäre sie eine gemeingefährliche Verbrecherin.
Frank J. Schäpel, «Testing for Wuhan. Covid-19 Swap»
Simon Rosenthal präsentiert auf der Dresdner «Gedenkausstellung» zwei Arbeiten seiner Flakon-Serie, die in mehreren Varianten das Parfümfläschchen Chanel imitiert und darauf anspielt, dass den Menschen mit dem Corona-Vakzin in der Logik des globalen Kapitalismus ein vermeintlich glücksverheißendes Produkt verkauft werden sollte.
Simon Rosenthal, «Chinavirus»
Ismer selbst zeigt Präsenz mit dem Bild «Die Geisel der Angst», einem symbolischen Gemälde, auf dem mehrere Personen zu sehen sind. Im oberen Viertel liegt eine halbnackte Frau, als wäre sie an Holz genagelt wie Jesus. Sie ist die Geisel der Angst, die Corona-Protagonisten wie Jens Spahn, Angela Merkel und Karl Lauterbach schüren. Ihre Konterfeis ranken sich um die Geisel, genauso wie eine Person im Schutzanzug und mit Gasmaske.
André Ismer, «Die Geisel der Angst»
Probleme in der Filmbranche
Das Bild fällt in den Bereich der «gegenständlichen Kunst», weist aber auch abstrakte Elemente auf, weil Ismer die Fläche aufbricht, so wie in vielen seiner Werke. Er wolle damit Strukturen erzeugen, erklärt er seinen Ansatz. Thematisiert Ismer in seiner Arbeit die Instrumentalisierung der Angst, mit der Politik und Medien das Volk im Zaum hielten, macht seine Dresdner Kollegin Gala Biermann auf die damaligen Umstände in der Filmbranche aufmerksam. «Hollywood in Crisis», heißt ihr Bild, das zu vermitteln versucht, wie schwer es während der Corona-Krise war, am Set zu arbeiten.
Marco Struckmann hingegen zeigt auf der Ausstellung zwei seiner Kurzvideos. In einem von ihnen ist eine Performance auf der Straße zu sehen, mit ihm selbst in einer der Rollen. Drei Figuren treten in dem Video auf, alle drei repräsentieren einen gesellschaftlichen Typen der Corona-Zeit – den Befehlsempfänger, den verarmten Bettler und den Maßnahmenkritiker.
Irritationen
Thomas Bleyl hingegen spielt mit Irritationen, die während der Maßnahmenpolitik an der Tagesordnung standen. In seinem Bild stehen sich Mann und Frau jeweils mit Maske gegenüber. Doch die überdeckt nicht Mund und Nase, sondern die Augen. Nicht weniger irritierend ist das Bild, auf dem protestierende Maßnahmenbefürworter und -kritiker aufeinanderprallen. Beide Gruppen tragen ein riesiges Transparent vor sich, auf dem jeweils «Ihr seid das Volk» steht (siehe Titelbild).
Neben diesen Künstlern stellen zudem Elise Schaller, Ulrich Jungermann, Xingye Huang und Dorothee Kuhbandner aus. Sie alle werden bei der Vernissage am 17. Januar vor Ort sein, sodass die Gäste die Gelegenheit bekommen, sie persönlich kennenzulernen. Zudem erwartet sie ein Rahmenprogramm, mit einem Auftritt der Leipzigerin Claudia Grande. Diese wird einige ihrer musikalischen Performances vortragen, unter anderem das Stück «Schutzmaßnahmen».
In den Tagen danach ist die Ausstellung mittwochs und donnerstags in der Blauen Fabrik von 11 bis 18 Uhr offen für Interessenten. Kurator Ismer hofft auf großen Zulauf, damit «die Corona-Zeit nicht in Vergessenheit gerät», damit «möglichst viele darüber nachdenken, was da passiert ist». Nicht wenige hätten die unmenschliche Politik mitgetragen, sagt er. «Man hätte aber zusammenhalten müssen.» Diese Erkenntnis will seine Ausstellung möglichst breit streuen.
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«Ist das Alles? Schon vergessen?»
17. Januar bis 28. Februar
Mi – Do, 11 – 18 Uhr (und auf Nachfrage)
Blaue Fabrik
Eisenbahnstraße 1
01097 Dresden
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