Amy Abdelnoor, britische Schriftstellerin und Englischlehrerin mit arabischen Wurzeln, weist in The Electronic Intifada auf eine Ironie hin: In Großbritannien würden aus den Geschäften Weihnachtslieder erklingen, die verkünden, es stehe in der Herberge kein Zimmer zur Verfügung. Die Wahrheit sei aber, dass in den Herbergen von Bethlehem heute reichlich Platz für Maria und Josef wäre. Die Hotels der Stadt seien weitgehend leer, und der Tourismus, der bereits von der Covid-Krise schwer getroffen worden sei, sei nun durch die Eskalation der israelischen Gewalt im Westjordanland und die anhaltenden Massaker in Gaza völlig dezimiert. Abdelnoor weiter:
«Um überhaupt an die Türen der Hotels in der kleinen Stadt zu klopfen, müsste das junge Paar natürlich erst einmal von Nazareth nach Bethlehem reisen können. Ihr Weg mit dem Auto oder zu Fuß wäre heute wesentlich komplizierter, als die gleiche Strecke vor über 2000 Jahren mit dem Esel zurückzulegen. Militärische Kontrollpunkte, verbotene Straßen und eine 270 Meilen lange Trennmauer – eine Kombination aus Betonmauern, militärisch patrouillierten Straßen und Stacheldrahtzäunen, die nach ihrer Fertigstellung eine Länge von 440 Meilen erreichen soll und nach internationalem Recht illegal ist – versperren den Weg.»
Die Schriftstellerin ergänzt, dass Marias und Josefs Reise dorthin nicht nur kompliziert wäre, sie hätten auch keine Garantie für eine Rückkehr. Sie bezieht sich dabei auf die Gründung Israels im Jahr 1948 und die Besetzung des restlichen historischen Palästina im Jahr 1967, die zu umfangreichen Zwangsvertreibungen von Palästinensern führten, denen das Recht auf Rückkehr verweigert wurde. Die größte Vertreibung fand 1948 statt, als zwei Drittel der einheimischen palästinensischen Bevölkerung vertrieben wurden. Nach dem Krieg von 1967 schränkte Israel das Aufenthaltsrecht von rund 270.000 Palästinensern weiter ein, die sich auf der Flucht vor dem Konflikt oder im Ausland aufhielten. Abdelnoor erläutert:
«Seitdem bestimmt natürlich Israels Besessenheit von der ‹demografischen Bedrohung› die Politik darüber, wer eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten kann und wer nicht, ob in den besetzten Gebieten oder in Israel. Seit zwei Jahrzehnten verhindert Israel zum Beispiel, dass Bürger palästinensischer Herkunft eine Aufenthaltsgenehmigung für ihre Ehepartner erhalten, wenn diese aus den besetzten Gebieten stammen. Joseph, der angeblich aus Bethlehem stammte, und Maria aus Nazareth hätten unter dem derzeitigen Regime nicht zusammenleben dürfen.»
Abdelnoor erwähnt die Schwierigkeiten, mit denen palästinensische Frauen während der Schwangerschaft konfrontiert sind, und kontrastiert auch diese mit der biblischen Erzählung. Die Geburt Jesu in einer Krippe möge zwar bescheiden erscheinen, doch müssten palästinensische Frauen heute weitaus schlimmere Bedingungen ertragen. Zum Beispiel würden sie an israelischen Kontrollpunkten in illegal besetzten Gebieten festgehalten.
In der Tat stellte die britische Fachzeitschrift The Lancet 2011 fest, dass zwischen 2000 und 2007 jedes Jahr zehn Prozent der schwangeren Palästinenserinnen auf dem Weg zur Entbindung im Krankenhaus an den Kontrollpunkten aufgehalten worden seien, was zu 69 Geburten an den Kontrollpunkten und zum Tod von fünf Müttern und 35 Säuglingen geführt habe.
Die Bedingungen im Gazastreifen sind laut Abdelnoor sogar noch schlimmer. Im vergangenen Jahr habe die israelische Gewalt schwerwiegende Auswirkungen auf Frauen und Kinder gehabt, wobei schwangere Frauen besonders betroffen gewesen seien. Viele hätten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Hebammen, was zu erhöhten Risiken während der Geburt führe. Die Schriftstellerin weist auf das International Rescue Committee (IRC) hin, dem zufolge Unterernährung und Ängste bei schwangeren Frauen weit verbreitet sind und sich die Situation im Laufe der Zeit noch verschlimmern wird. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen warne ebenfalls, dass tausende schwangere Frauen am Rande einer Hungersnot stehen.
Zurück zu Bethlehem, wo wie schon letztes Jahr auch jetzt die Weihnachtsfeiern abgesagt wurden. Abdelnoor stellt fest, dass der Geburtsort Jesu heute aufgrund des eingeschränkten Fremdenverkehrs ruhig sein mag, aber es sei alles andere als still, wie es in den Liedtexten heißt:
«Letztes Jahr wurde der Geburtsort Jesu am ersten Weihnachtsfeiertag von der israelischen Armee gestürmt, was regelmäßig vorkommt, so auch 2002 bei der Belagerung der Geburtskirche selbst.»
All dies sei eine ferne Realität, die unter dem Lärm der Weihnachtsklingeln in den Geschäften im ganzen Vereinigten Königreich untergehe, so die Schriftstellerin weiter. Es sei sogar eine ferne Realität in den jährlichen Krippenspielen, die in Grundschulen im ganzen Land aufgeführt würden.
«Doch angesichts des Schweigens bei den Weihnachtsveranstaltungen im letzten Jahr, des ohrenbetäubenden Schweigens der meisten Schulen und des gesamten Bildungsapparats während Israels Völkermordkampagne und der Behandlung von Universitätsstudenten, die gegen den Völkermord demonstrieren, wird die Ironie der Schulkrippe bestenfalls unausgesprochen bleiben und schlimmstenfalls absichtlich übersehen werden.»
Noch viel erschreckender findet Abdelnoor, dass die Gedanken der Kinder, ihrer Eltern und Lehrer zweifellos weit weg von den Kindern in Gaza, ja in ganz Palästina sein werden, «denen so viel mehr verwehrt wird als eine Krippe als Bett». Sie schließt:
«Und so wird es in diesen Tagen dazu kommen, dass die Feier der Geburt Jesu, des ‹Retter›-Kindes, das wir für sein Mitgefühl mit den ‹Armen und Gemeinen und Niedrigen› preisen, eindeutig als eine hohle, oberflächliche Nachahmung genau der Botschaft entlarvt wird, die sie zu vertreten vorgibt.»
Haaretz befasst sich ebenfalls mit der Lage in Bethlehem und im Gazastreifen. Weihnachten werde während des Gaza-Krieges in der Geburtstsadt Jesu zu einem «düsteren Fest». Auch die israelische Zeitung konstatiert, dass die Hotels in Bethlehem und anderen Städten dieses Jahr leer seien. Die Gläubigen seien nirgends zu finden. Die Stadt sei in Trauer, sagt Fadi Kattan, ein bekannter christlicher Reiseveranstalter in der Stadt.
Gemäß Haaretz arbeiten zwischen 5000 und 6000 Menschen in Bethlehem direkt in der Tourismusbranche. Dazu würden Tausende von Menschen kommen, die von ihr abhängen. «Alles ist zum Stillstand gekommen», stellt Kattan fest. Er macht aber klar, dass es «nicht nur um den geschäftlichen Aspekt geht»:
«Es geht auch darum, was die Menschen in ihren Seelen fühlen. Was in Gaza geschieht, ist ein Massaker. Weihnachten ist ein Fest der Freude. Wie kann man fröhlich sein, wenn man solche Dinge sieht? Wir haben dort Freunde und Verwandte; wir sind Palästinenser, wir sind das gleiche Volk. Wenn wir eine menschliche Sprache sprechen, wie können wir dann gleichgültig bleiben? Ich bin 46 Jahre alt. Ich habe keine Nakba erlebt, aber was jetzt in Gaza geschieht, ist eine Nakba, ebenso wie das, was wir im Westjordanland mit Straßensperren und Angriffen von Siedlern erleben.
Dies ist kein Religionskrieg, sondern eine Besatzung mit all ihren Auswirkungen. Wir, die älteste christliche Gemeinschaft der Welt, haben an der Seite von Muslimen und Juden gelebt, und es hat hier nie einen Religionskrieg gegeben.»
Wie letztes Jahr, besteht die Weihnachtskrippe in Bethlehem aus Bauschutt, um die Zerstörung im Gazastreifen zu symbolisieren. Angeführt wurde die Initiative Haaretz zufolge von Pfarrer Munther Isaac, dem Leiter der evangelischen Weihnachtskirche der Stadt. In einer Botschaft auf der Website des Rates der lutherischen Kirchen im Nahen Osten habe er geschrieben, dass «die Welt auf die Ereignisse schaut, aber dem Töten und der Vernichtung im Gazastreifen gleichgültig gegenübersteht».
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Amy Abdelnoor ist Schriftstellerin und Lehrerin. Während ihres Studiums der Anglistik und Arabistik an der Trinity Hall in Cambridge fand sie zu ihren arabischen Familienwurzeln zurück. Sie lebte in palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon und später während der zweiten Intifada unter israelischer Militärbesetzung im Westjordanland.
Ihr Debütroman «Ever Land» ist aus diesen Erfahrungen entstanden. Er stand auf der Shortlist für den Lucy Cavendish Fiction Prize 2023 und wurde von Hutchinson Heinemann, Penguin Random House, erworben und soll 2026 veröffentlicht werden.