Demonstrationen gehören zu einem festen Phänomen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch noch nie gab es so viele wie in der Corona-Zeit. Flächendeckend kamen tausende Menschen zusammen, um gegen die Massnahmen-Politik der Bundesregierung zu protestieren. Was dort geschah, hat der Fotograf Marc Bernot mit seiner Kamera festgehalten. Eine Auswahl seiner Bilder ist nun beim Klarsicht Verlag in dem Band «Freiheit» erschienen.
Der Titel hebt das hervor, wofür sich die Menschen nach Einschränkung sämtlicher Grundrechte auf die Strasse begaben, ob in Berlin oder Hannover, ob in Dresden oder Leipzig, ob in Ludwigsfelde oder Fürstenwalde. Nach diesen und anderen Orten ist Bernots Band gegliedert, wobei die meisten von ihnen im Osten Deutschlands liegen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Fotograf selber in Brandenburg lebt.
Quelle: Klarsicht Verlag
Entstanden sind die Bilder auf Demonstrationen und Spaziergängen in den Jahren 2021 und 2022. Er habe sich dort einen Eindruck vom Geschehen verschaffen wollen, erklärt Bernot seine Motivation. «Ich wollte wissen, wer sich dort herumtreibt; ob es sich wirklich um Corona-Leugner, gescheiterte Existenzen oder Reichsbürger handelte.» Was er vorfand, war der Querschnitt der Bevölkerung, «aber niemanden, der extremistisch war», so der 49-Jährige. Das habe ihn fasziniert und ihm durchaus geholfen, die Ereignisse zu verarbeiten.
Dieser Eindruck findet sich in den Motiven seiner Bilder wieder. Zu sehen sind Menschen aus der bürgerlichen Mitte, meist älter als 40, gelegentlich in Begleitung von Kindern, oftmals mit Schildern in der Hand, aber stets friedlich. Der Kontrast entsteht erst durch die Umgebung, die der Szenerie bisweilen eine bedrohliche Atmosphäre verleiht.
Polizeieinsätze prägen die Bilder
Dafür sorgt vor allem das massive Polizeiaufgebot. Auf rund drei Vierteln der Bilder sind behelmte Beamte in Montur Teil des festgehaltenen Realitätsausschnitts. Bernot, der selbst einmal als Polizist gearbeitet hat, kennt ein solches Gebaren aus seiner Zeit nicht und muss sich immer noch wundern: «Während der Corona-Zeit traten sie im Oberkörpervollschutz auf, als wäre es eine 1. Mai-Demonstration», sagt er. «Es ging um Abschreckung.» Obwohl es sich um friedliche Menschen handelte, habe die Polizei nicht deeskalierend gewirkt, sondern im Gegenteil sehr schnell Gewalt angewendet.
Bild: Marc Bernot
Diese Unverhältnismässigkeit wollte er in seinen Bildern zum Ausdruck bringen. In markanter Form zeigt sie sich dort, wo die Polizisten einzelne Demonstranten einkesseln. Auf einem besonders kunstvollen Foto sitzt eine Frau auf dem Boden und schaut hoch zu den Beamten, die sie umkreist haben. In ihrem Gesichtsausdruck liegt Verwunderung und Ungewissheit, die sich mit körperlicher Anspannung vermischt.
Bild: Marc Bernot
Ein anderes zeigt ebenfalls eine Frau, die nicht sitzt, sondern stehend ein Schild vor sich hält: «Höre zu, ich bin noch da!!! Dein Gewissen.» Und obwohl mehrere behelmte Polizisten dicht an sie herangerückt sind, strahlt die Frau Würde und Entschlossenheit aus. Es ist eine anziehende Bildersprache, die Bernot verwendet, zumal alle Fotografien in Schwarz-Weiss daherkommen.
Dieses Stilmittel fasziniere ihn. «Die Bilder wirken dann zeitlos», sagt er. «Es gibt nichts, was ablenkt, keine störenden Farben zum Beispiel, sodass sich das Auge auf das Wesentliche konzentriert, nur auf das, was man sieht.» Seine Bilder sollen den Betrachtern das Gefühl vermitteln, dabei gewesen zu sein: «Als wären sie Teil des Beobachtens», erklärt Bernot.
Kreativität der Demonstrationsteilnehmer
Diesen beobachtenden Blick hat er während seiner Tätigkeit als Reportage-Fotograf entwickelt. Seine Kamera holt er gerne dort heraus, wo sich Menschen tummeln – «weil dann gute Motive entstehen», sagt er. Auf den Protesten gegen die Corona-Politik habe ihm besonders die Kreativität der Demonstranten gefallen. Sie drückte sich in der Plakat- und Transparentgestaltung aus, wie einige seiner Bilder verdeutlichen. «Fernseher aus, Gehirn an», steht auf dem Schild einer Frau, die sich in Brandenburg gelassen mehreren Polizisten entgegenstellt.
Eine andere Teilnehmerin spielt hingegen mit frivoler Doppeldeutigkeit, indem sie den Impfdruck von oben mit den folgenden Worten kommentiert: «Wer, wann, was in mich reinspritzt, entscheide ich.»
Derlei Anspielungen prägen viele Statements und beziehen sich unter anderem auf bekannte Filme. Ein besonders gelungenes Beispiel ist Bernot aus Dresden in Erinnerung geblieben. Dort war auf einem Schild das Konterfei Karl Lauterbachs zu sehen. Darunter stand: «Wir wissen, was du letzten Sommer getan hast.»
Zum Handwerk eines guten Fotografen gehört es, solches Kleinod aus der Menge herauszufiltern und im richtigen Augenblick festzuhalten, damit das Motiv seinen Reiz entfaltet. Das tun Bernots Bilder auf jeder Seite des Bands. Obwohl er sich als Reportage-Fotograf versteht, dienen seine Arbeiten nicht bloss der Dokumentation, sondern weisen auch einen gewissen Kunstcharakter auf.
Bild: Marc Bernot
Eindrucksvolles Zeitdokument
Sie sind Ausdruck eines Gestaltungswillens, der bestimmten ästhetischen Prinzipien folgt. Sie leben von Urteilskraft und Timing. Auf einem Spaziergang in Brandenburg hat Bernot ein Foto geschossen, just in dem Moment, als die Sonne sich kurz hinter den Häusern zeigte und ihre Strahlen warf. In geraden Linien ziehen sie sich bis zur gepflasterten Strasse, auf der mehrere Trommler den Demonstrationszug anführen, während oben der schwarz-weisse Himmel für ein kontrastreiches Spiel mit Graustufen sorgt.
Bild: Marc Bernot
Bernots Bildband ist ein eindrucksvolles Zeitdokument, eine Momentaufnahme der jüngsten Geschichte, die die Vielfalt der Protestkultur effektvoll vor Augen führt. Er erinnert an eine Lebensphase voller Emotionen, eine, in der die Stimmung im Land hochkochte, in der die Menschen wie nie zuvor für ihre Grundrechte einstanden, in der sie trotz widriger Umstände friedlich aufbegehrten und ihr kreatives Potential ausschöpften, in der sie weinten und lachten, in der sie neue Freundschaften schlossen und ein politisches Bewusstsein entwickelten, das in den Jahren zuvor verblasst war.
Der Fotografieband weckt viele Erinnerungen. Er kämpft gegen das Vergessen an und entlarvt die manipulative Berichterstattung jener Tage, indem er die verzerrte Realität wieder geraderückt.
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Marc Bernot, «Freiheit – Traum und Wirklichkeit», Klarsicht Verlag, 210 Seiten, hochwertiger Bilderdruck, Softcover, ca. 700g, 2. Auflage 2023, 22x18cm, 38,00 €
ISBN 978-3-98584-236-0
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