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Zum Thema Corona wurde schon viel gesagt – in Reden auf Kundgebungen, in Talkshows und Vlogs, in Podcasts und nicht zuletzt in zahlreichen Artikeln. Eine literarische Auseinandersetzung ist bislang nur kärglich erfolgt. Und wenn doch ein Werk erscheint, hat es dieses schwer, die Massen zu erreichen. Meistens lagern sich solche Produkte wie Edelmetalle im Informationsgestein ab.
Einer dieser wenigen Schätze ist «Raffen Sterben Trance» von Teer Sandmann, ein Prosastück, das zwischen Essays, Aphorismen und Tagebuch changiert, ganz in der Tradition der Romantik, eine Art progressive Universalpoesie, die Literatur mit Philosophie und Kritik verbindet; ein Spiel mit den Grenzen, ein ständiges Transzendieren, mit der Tendenz, die «Welt zur Kenntlichkeit» zu verstellen.
Entstanden ist das Buch in den ersten fünf Monaten des Jahres 2024. Als Vorlage dienten Notizen, die Sandmann in der Corona-Zeit gemacht hatte. Er selbst nennt das Produkt einen «Bewusstseinsstrom im Gehirn auf der Fahrt durch leeres Land». Es ist der Versuch, das Monströse sprachlich zu fassen.
Vermengt werden politische Ereignisse und persönliche Erfahrungen, angereichert mit Reflexionen über Repression und Freiheit, über Faschismus und Machttechniken, über Digitalisierung und Technokratie, über Subjekttilgung und das Ende der Gültigkeiten. Nach nur wenigen Sätzen lässt sich in der Erzählhaltung Sandmanns seelische Erschütterung erkennen.
Im melancholischen Ton
Die Maßnahmenpolitik und die durch sie bewirkten gesellschaftlichen Verwerfungen haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dementsprechend melancholisch fällt der Ton aus, in dem der Autor seine Gedanken ausbreitet. Mit Sätzen voller Wehmut mäandert Sandmann um den Corona-Komplex, dringt in ihn von verschiedenen Seiten ein, um aus diesem Kaninchenbau an einer anderen Stelle wieder herauszukommen und irgendwo daneben gleich wieder in ein neues Loch hineinzukrabbeln.
Diese «tausend Ausgangspunkte ergeben sich nicht aus dem Nichts», schreibt er, «sie ergeben sich aus den Mustern, die überall sich einstellen, hüben wie drüben, und die am Ende faschistische Muster sind.» Wie diese Muster aussehen, wird nicht systematisch dargelegt, sondern in Ansätzen, in immer wieder unternommenen Anläufen, die der essayistischen Herangehensweise treu bleiben.
Es sind sprachliche Versuche, das zu benennen, was einerseits offensichtlich ist und andererseits doch nicht erkannt wird, selbst von Dissidenten, die in ihrem Aufklärungseifer, wie Sandmann hervorhebt, in das gleiche «Jagdverhalten» verfallen. Der Autor nimmt sich durchaus der neuen Blockwarte und neufeudalistischer Herren an, schießt gegen die Gates, von der Leyens, Schwabs und andere Prominente der Machtelite. Genauso oft verteilt er aber auch Spitzen gegen den sogenannten Widerstand.
Geschildert werden Situationen, in denen dieser sein «reaktionäres Gesicht» zeigt – und bisweilen sein kitschiges:
«Patriarchale Heile-Welt-Familien-Nationalbilder werden beschworen und dem Genderismus entgegengestellt, gänzlich ignorierend, dass Wohlstand und Heil im Wesen in den beiden zurückliegenden Jahrhunderten wesentlich auf der Ausbeutung anderer Weltgegenden und der Menschen dort basierten.»
Kritik an Digitalisierung und Technik
An einer anderen Stelle wird Kritik an dem Glauben laut, Bitcoin und Blockchain könnten im Kampf gegen die Repression Abhilfe schaffen. Diese seien jedoch nicht nur «Prozeduren» und «Techniken» einer «militanten, polizeistaatlichen Überwachungsindustrie», sondern auch «gleichzeitig mit dem Kapital verbunden». Wie hier wird auch in vielen anderen Passagen deutlich, inwiefern Sandmann in der voranschreitenden Digitalisierung ein Problem sieht.
«Über Technologie und Kapital, Kinder, bleibt der Widerstand dem System eingeschrieben, gegen das er sich scheinbar bei seinem Aufstand gegen die Corona-Repression gewandt hat.»
Die Anrede des Nachwuchses ist ein stilistischer Griff, um dem Text ohne Handlung, Geschichte und Dramaturgie dennoch einen fiktionalen Anstrich zu geben. Mit einem Adressaten wird eine Erzählsituation geschaffen, in der die Interaktion eine zweite Ebene bekommt, ganz im Sinne des romantischen Spiels mit Grenzen und deren Überschreitung. Ob das erzählende Ich fiktionalisiert ist oder real, bleibt offen, wird diffus wie die autoritären Geister, die der Text zu fangen versucht.
Gleichzeitig bietet dieser Kunstgriff viel Interpretationsraum. Mit Kindern können die künftigen Generationen gemeint sein, an die sich der Text wendet, um von den Ungeheuerlichkeiten der frühen 2020er-Jahre zu berichten. Als solche lassen sich aber auch die Zeitgenossen verstehen, die wie Oskar Matzerath in Günter Grass’ «Blechtrommel» sich seit der «Coronainszenierung» weigern, erwachsen zu werden. «Ich weiß nicht, wie ihr überlebt habt, Kinder», lautet die allererste Zeile, «aber um von mir zu sprechen: ich musste, kaum war das Virentheater ausgerufen, ein paar Dinge niederschreiben, um den Bezug nicht zu verlieren. Zu mir, zu meinen Freunden, zur Menschheit».
Viele Leser werden sich mit solchen Sätzen identifizieren können. In ihnen schwingt das mit, was noch immer nicht aufgearbeitet ist, was noch immer in den Knochen steckt, was noch immer nicht ruhig schlafen lässt. Für nicht wenige hat sich während der Corona-Zeit die Welt auf den Kopf gestellt. Dieses innere Durcheinander bildet «Raffen Sterben Trance» authentisch ab, in einem fragmentierten Duktus, in Gedankenschnipseln, die sich nur schwer zu einem Gesamtbild fügen lassen, aber eine Stimmung erzeugen, in der die Vorgänge während der Corona-Jahre verständlicher werden.