Dr. med. Hans-Joachim Maaz legt mit «Angstgesellschaft» eine Analyse der psychosozialen Situation der Zeit vor. Er setzt damit seine Jahrzehnte dauernde Arbeit aus früheren Publikationen fort. Das Buch ist, wie Maaz einleitend schreibt, der Abschluss seiner psychosozialen Analysen. Die Zuspitzung der Situation in der Corona-Krise hat Maaz bereits in dem Band «Corona – Angst. Was mit unserer Psyche geschieht» (2020) analysiert.
Im aktuellen Buch nimmt sich Maaz die politisch-medial erzeugte Angst während der Corona-Krise vor und untersucht, wie sie das Verhalten prägt und ergo das Zusammenleben beeinflusst. Maaz erklärt die Psychodynamiken, die dem Zusammenspiel von Angst-Herrschaft und Unterwerfungsbereitschaft zugrunde liegen. Das Thema Angst und Gesellschaft beschäftigt Maaz schon lange. Es nimmt dementsprechend und zusammen mit seiner «Normopathie»-Diagnose den meisten Raum im Buch ein. Weitere Kapitel verhandeln zum Beispiel kulturelle Ursachenforschung, mediale Berichterstattung, Propaganda, die «Impfung» und andere Massnahmen wie die G-Regeln.
Maaz ist der Ansicht, dass in der Diskussion polarisierende Meinungen vorherrschen und es nur wenige Zwischentöne gibt, was die Spaltung der Gesellschaft fördere. Zu dieser trage das Pandemie-Management massgeblich bei, egal ob «Impf-Terror», 3G/2G oder die allgemeine Vergiftung vieler Beziehungen. Maaz geht es um «das Ringen um Demokratie, Freiheit und persönliche Würde» und um die Aufklärung über Psychodynamiken sowie die Analyse und Deutung von Angst-Verhalten. Maaz landet immer wieder bei der Frage, ob die abnorme gesellschaftliche Entwicklung das Symptom eines Massenwahns sei oder die Folge und Absicht eines politisch-ökonomisch-ideologischen Plans. Er geht von einem «kollusiven Zusammenspiel» aus:
Der Plan schafft mit einer gezüchteten Pandemie-Angst eine wahnhafte Angstabwehr. Der Wahn ermöglicht eine politische Entwicklung, die Mächtige zu einem Plan nutzen können. So ist das Wechselspiel: Angst hilft, einen Plan zu schmieden – der Plan schafft und nutzt die Ängste!
Was ist eine «Normopathie»?
Unter «Normopathie» versteht Maaz eine pathologische Gesellschaftsentwicklung, in der das Gestörte, das Falsche für normal gehalten wird, weil die Gesellschaft von einer Mehrheit der Früh-Entfremdeten gestaltet wird. Mit Letzterer wachse der Wunsch, unbedingt dazuzugehören und sich anzupassen. Wenn viele Menschen ähnlich denken und handeln, würden massenpsychologische Mechanismen der Suggestion und Manipulation den Wunsch nach Anpassung bedienen. Fehlentwicklungen würden nicht mehr realisiert.
Eine Normopathie ist die Herrschaft von Menschen mit Frühtraumatisierung.
In einer Normopathie würden sich vor allem die Kompensationsformen der frühen Selbstentfremdung sammeln, so Maaz. Diese würden gemäss den mütterlichen und väterlichen Beziehungsstörungen dazu führen, dass Kinder durch falsche Erziehung zu Normopathen zugerichtet würden: zu Bedrohten, Besetzten, Ungeliebten, Abhängigen, Gehemmten, Erpressten, Vernachlässigten und Überforderten. Im Kapitel «Die Logik normopathischer Verhältnisse» listet Maaz 15 Psychodynamiken auf, die letztlich zu Revolutionen und Kriegen führen würden, und ebenso 15 zur aktuellen Logik der Pandemie-Normopathie.
Diese Normopathie analysierte Maaz im Nachkriegsdeutschland sowohl in der DDR als auch in der BRD. Kurz nach der Wende erschien dazu sein Buch «Der Gefühlsstau». In den Verhaltensweisen, die in der Corona-Krise als «New Normal» bezeichnet worden sind, sieht Maaz massenpsychologische Vorgänge, deren Wiederaufkommen er nicht für möglich hielt, obwohl er selbst seit über 30 Jahren «eine solche politische Fehlentwicklung» als «psychodynamische Unvermeidbarkeit normopathischer Verhältnisse» beschreibe.
In einer Bedrohungslage dominiere der Rettungswunsch und die sonst verfügbaren Kompensationsformen der individuellen Lebensformen gingen verloren. Die politische Führung entscheide dann, ob die Rettungsbemühungen realitätsgerecht oder normopathisch organisiert werden. Die Normopathen würden dann zum mehrheitlichen Heer der Mitläufer, und der Schritt zum Mittäter für falsches, verlogenes bis verbrecherisches Handeln in der Gefolgschaft und im Dienste der Herrschaft sei nur noch sehr klein.
Führer und Geführte würden eigenes Verschulden an der kollektiven Fehlentwicklung nicht sehen und aus narzisstischer Abwehr schon gar nicht zugeben wollen. Rettungsbemühungen müssten dann immer mehr gesteigert werden, um den grundsätzlichen Irrtum noch verschleiern zu können. Das Falsche müsse mit noch mehr Falschem betäubt werden. Maaz:
In diesem Zustand befindet sich die Pandemie-Angstgesellschaft. Der Impfstoff ist zur Droge pervertiert, dessen Fragwürdigkeit durch immer mehr Boostern verleugnet wird.
Alle Kompensationen müssen laut Maaz in einen Grössenwahn münden. Darin bestehe aktuell die grosse Gefahr, denn obwohl die normopathische Gesellschaft im März 2020 an ihr Ende gelangt sei, drohe nun ein noch falscheres Leben, so Maaz in der Einleitung – die narzisstisch-finanzkapitalistische Normopathie, die Ausdruck einer krankhaft profitorientierten Wachstumsgesellschaft sei, werde in eine globale Herrschaftsform der digital-totalitären Kontrolle übergeleitet. Diesem Zweck diene die derzeitige permanente Angstverbreitung. Maaz:
Eine Angst-Herrschaft ist der erfolgreichste Weg, um politisch-ökonomische Ziele auf undemokratischen Wegen zu erreichen. (...) Auch eine Demokratie kann zu einer normopathischen Diktatur einer Mehrheit über Minderheiten werden, wenn durch eine Angst-Herrschaft den Selbstentfremdeten eine illusionäre Rettung permanent suggeriert wird.
Traumatisierte Gesellschaft
Maaz widmet sich auch der Analyse des Angst-Verhaltens in der Bevölkerung. Seine Diagnose ist ein Angstkomplex: Verunsicherung, Einschüchterung und Abhängigkeit. Das Erbe der totalitären Systeme der Vergangenheit habe zur Entwicklung der profitorientierten Wachstumsgesellschaft der Nachkriegszeit beigetragen: Schon im Kindesalter resultiere aus der Selbstentfremdung eine Fügsamkeit, auf der das Angstregime aufbauen könne. Denn frühtraumatisierte Menschen würden für autoritäre Machtformen brennen, weil sie ihr Leben nur in Abhängigkeit gestalten können.
Diese unterschiedlichen und individuellen Störungen bilden die Basis von Maaz’ Gesellschaftsanalyse. Denn aufgrund dieser Vorprägungen reagiere der Mensch anders auf die verkündeten Paniknachrichten. Und je nachdem sei eben ein starker Führer erwünscht, der dazu legitimiert wird, als Folge der Massnahmen eben auch Menschen auszugrenzen – egal wie absurd oder widersprüchlich das Vorhaben ist. So etwa, als sich trotz 2G-plus-Regel bei einer Geburtstagsfeier zehn von 20 Gästen ansteckten. Maaz:
Arroganz und Überheblichkeit der Macht, die im Zuge der Corona-Massnahmen erkannt hat, dass man mit Ängstigung fast allen Unsinn sagen und unbegründete Massnahmen durchsetzen kann. Narzisstische Machtlust, zu verstehen als eine süchtig gewordene, ungebremste Kompensation der eigenen schweren Selbstentfremdung, und wahnhafte Realitätsverzerrung oder Realitätsverleugnung liegen nicht weit auseinander. (...) Die wohl schlimmste Deutungsvariante ist der Verdacht auf bewusste Täuschung durch den erzeugten Angstkomplex. Je mehr dies gelingt, desto mehr wächst die Überheblichkeit und es fällt immer leichter, auf demokratische Prozesse zu verzichten.
Maaz zeigt in «Angstgesellschaft», dass nicht nur etliche Bürger, sondern auch herrschende Eliten traumatisiert sind. Letztere wollten ihre narzisstischen Defizite durch das Ausleben eines Machtgefühls kompensieren. Das Verbreiten von Angst stelle dabei ein Mittel dar, um politische und ökonomische Ziele zu erreichen. Maaz attestiert der heutigen «Angstgesellschaft» eine narzisstisch-finanzkapitalistische Normopathie.
Man könnte also folgende These aufstellen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Traumata verdrängt, das Nachkriegswachstum ermöglichte eine narzisstische Kompensation durch den Materialismus. Währenddessen wurden die Traumata quasi erzieherisch weitervererbt, und eine innere Demokratisierung der Bürger hat nie wirklich stattgefunden. Durch das abschwächende Wachstum der jüngsten Jahre können immer weniger Menschen ihre Störungen durch den Materialismus-Kuchen kompensieren, und die Pandemie-Hysterie dient wiederum als Materialismus-Kompensation, als Ersatz-Narrativ der reaktivierten Früh-Ängste, und die berechtigte systemkrisenbedingte Zukunftsangst wird auf eine Virusbedrohung projiziert.
Die «Corona-Normopathie»
Das bestehende Erziehungssystem trägt gemäss Maaz entscheidend dazu bei, die Corona-Massnahmen mitzumachen, obwohl diese von Anfang an «widersprüchlich, unlogisch, absurd, falsch, grotesk, verwirrend und nie wissenschaftlich ausreichend belegt» gewesen seien. Maaz geht von einer kollektiven psychopathologischen Entwicklung aus – einer «Corona-Normopathie». Im Kapitel «Corona-Normopathie» schreibt Maaz:
Diktaturen und totalitäre politische Systeme sind nur im Zusammenspiel von egoistischen bis krankhaften Machtinteressen und Anpassungsbereitschaft möglich: oben die Führer, deren Hunger nach Einfluss aus der Kompensation von Frühtraumatisierungen und erlebter Ohnmacht und Kränkung resultiert, unten die Massen an selbstentfremdeten Menschen mit strukturellen Defiziten, die Kompensation im Mitmachen suchen. (...) Insofern ist für den Machterhalt jeder Normopathie die Herrschaft über die Kinderstube grundlegende Bedingung, um immer genügend abhängige, unsichere, bedrohte Menschen zu reproduzieren.
Maaz kann sich die Duldung und teilweise begeisterte Zustimmung von fragwürdigen Informationen und absurden Massnahmen «bis hin zu autoritären Verboten und staatlicher Willkür von der Mehrheit einer angeblich demokratisch gebildeten Bevölkerung» nur durch eine «angsthypnotische Bewusstseinsverengung» erklären, wobei er einen ganzen Katalog von bekannten, aber nach wie vor ungeklärten Ungereimtheiten in der offiziellen Bekämpfungspolitik auflistet. Und die Entwicklungen im Erziehungsbereich würden wenig Anlass zur Hoffnung geben, das Normopathie-Muster zu durchbrechen. Maaz:
Ganz entscheidend ist die Qualität der Frühbetreuung eines Kindes. Eine zu zeitige Fremdbetreuung in einer Kinderkrippe (vor dem 2. bis 3. Lebensjahr) mit in aller Regel zu wenig Betreuungspersonal (erforderlich wäre etwa eine Betreuungsperson auf nur zwei bis drei Kinder) führt zu nachhaltiger Selbstentfremdung.
Doch aktuell werde das Verständnis für mütterliche und väterliche Betreuungsqualitäten politisch-ideologisch schwerwiegend verstört, etwa wenn von «Elternteil 1» und «Elternteil 2» statt von Mutter und Vater oder von «Menschenmilch» statt Muttermilch gesprochen werde.
Brutale Offenbarung
Gemäss Maaz sind wir Zeugen, Opfer und Täter eines historischen Gesellschaftswandels – «totalitär, global, digital, transhuman». Er konstatiert die Reduktion des schwierigen freien Menschseins auf die psychische Enge der Selbstentfremdung. Der freie Mensch lebe immer nachdenklich belastet, emotional betroffen und im ständig notwendigen Ringen um Würde. Unfreie Menschen ohne Autonomie würden daher gerne aufoktroyierten Massnahmen folgen. Maaz:
Endlich bekommt die Bitterkeit der Frühtraumatisierung durch Befehl und Anordnung eine hilfreiche Erleichterung für die Not der Orientierung.
Maaz kommt bei der Analyse der vergangenen beiden Jahren zu einer ernüchternden Einsicht – nämlich, dass die 70 Jahre Demokratisierung seit dem Kriegsende wenig gebracht hätten, zumindest was die innere Entwicklung der Menschen betrifft. Was die psychologischen Bedingungen und die Sezierung der Corona-Krise angeht, so ist «Angstgesellschaft» – ernsthaft vor Augen geführt – ein brutal offenbarendes Buch. Denn im Grunde geht es nicht nur darum, was seit zwei Jahren passiert, sondern wie sich nicht bewältigte individuelle und kollektive Traumata tief in die Seelen reingefressen haben und sich im Verhalten entsprechend zeigen.
Trotzdem sei die Ausbildung eines selbstbestimmten Lebens möglich. Notwendig dazu sei, die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln, so Maaz. Dann sei ein angstfreies Miteinander und der Aufbau einer nicht selbstentfremdeten Beziehungskultur unter Menschen möglich:
Die beziehungskulturelle Gemeinschaft lebt davon, von sich zu reden (nicht mehr über ...) und vom Anderen empfangen zu werden, ebenso wie von der Bereitschaft, selber zuzuhören, zu empfangen und zu verstehen. Mehr Menschliches gibt es nicht! (...) Die Selbstentfremdung durch die Ängste der Bedrohung, Besetzung, Selbstunsicherheit, Abhängigkeit, Hemmung, Erpressung, des Alleingelassen-Seins und der Überforderung kann sich in einer beziehungskulturellen Gemeinschaft von Politik, Wissenschaft und Moral argumentativ ablösen und eine individuelle Bedeutung mit ganz persönlichem emotionalen Abfluss finden. Mehr Befreiung geht nicht, auch wenn Freiheit nie ganz erreicht werden kann.
Abschliessend bietet Maaz dem Leser Hilfe zur Selbsthilfe, etwa mit dem 20-seitigen Kapitel «Hilfe gegen Selbstentfremdung», wo es um den «Kampf um Würde in schlimmen Zeiten» geht. Maaz bespricht dabei praktikable Hilfestellungen, wie es trotz Corona-Normopathie gelingen kann, sich psychisch gesund zu erhalten. Maaz:
Wir können die Demokratie nur retten oder notwendigerweise weiterentwickeln, wenn jeder von uns bemüht ist, seine Frühängste zu begreifen und den Gefühlsstau abzutragen.
*********
Mehr zu Hans-Joachim Maaz bei Transition News:
- «Wir befinden uns in einer Kollektiv-Psychose», im Gespräch mit Gunnar Kaiser, 10. Januar 2022
- «Ist die Spaltung der Gesellschaft erwünscht?», Video des RPP-Instituts, 1. Dezember 2021
*********
Zum Autor:
Dr. med. Hans-Joachim Maaz ist Psychoanalytiker, Psychotherapeut und Psychiater. Er leitet die Stiftung Beziehungskultur und war von 1980 bis 2008 Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniewerk Halle (Saale). Der langjährige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie ist derzeit Vorsitzender des Choriner Instituts für Tiefenpsychologie und psychosoziale Prävention. Öffentlich bekannt wurde Maaz unter anderem durch seine Bestseller «Der Gefühlsstau» und «Das gespaltene Land».
Buch-Hinweis:
Hans-Joachim Maaz: Angstgesellschaft. Frank & Timme, 2022. 248 S., 18,00 €. ISBN 978-3-7329-0852-3.
Weitere Infos und Bestellung hier.