Um das Jahr 1800 soll das Lied «Die Gedanken sind frei» entstanden sein. Darin heißt es:
Die Gedanken sind frei
Wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei
Wie nächtliche Schatten
Kein Mensch kann sie wissen
Kein Kerker verschließen
Wer weiß, was es sei?
Die Gedanken sind frei
Im Jahr 1842 wurde das Lied in dem Band «Schlesische Volkslieder» von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Ernst Heinrich Leopold Richter veröffentlicht. Das Kernmotiv des späteren Liedtextes findet sich schon im 13. Jahrhundert unter anderem beim Kleriker Freidank (Bescheidenheit, 1229). Und die grundlegende Philosophie ist bereits seit der Antike bekannt.
Das Lied hat eine solche Kraft, dass sich zum Beispiel auch Konstantin Wecker 2015 dazu entschlossen hat, eine Version davon in sein Album «Ohne Warum» aufzunehmen. Doch so faszinierend der Gedanke, dass Gedanken frei und nicht erratbar sind, auch ist – sie sind es ab jetzt im Grunde nicht mehr.
So hat eine Studie der Stanford University aufgezeigt, dass neuronale Implantate, auch als Brain-Computer-Interfaces (BCIs) bekannt, gelähmten Menschen nicht nur bei der Kommunikation helfen, sondern auch dazu genutzt werden können, die innersten Gedanken eines Menschen zu offenbaren. Die am 21. August im medizinischen Fachjournal Cell publizierte Arbeit zeigt auf, dass diese Geräte Gehirnsignale dekodieren können, um schneller und mit weniger Aufwand synthetische Sprache zu erzeugen. Die Autoren schreiben:
«Anhand von Multi-Unit-Aufzeichnungen* von vier Teilnehmern fanden wir heraus, dass innere Sprache im Motorkortex robust repräsentiert ist und dass imaginäre Sätze in Echtzeit dekodiert werden können. Die Repräsentation innerer Sprache korrelierte stark mit dem Sprechversuch, wir konnten jedoch auch eine neuronale Dimension der ‹motorischen Absicht› identifizieren, die beide unterscheidet.
Wir untersuchten die Möglichkeit, private innere Sprache zu dekodieren, und fanden heraus, dass einige Aspekte frei formulierter innerer Sprache bei Sequenzabruf- und Zählaufgaben dekodiert werden konnten.»
Der Motorkortex ist eine Region der Großhirnrinde, die an der Planung, Kontrolle und Ausführung von willkürlichen Bewegungen und auch an der Steuerung der sprachbezogenen Muskeln beteiligt sein soll. Er sitzt im Bereich des Frontallappens.
Quelle: medi-karriere.de
Dazu schreibt ZeroHedge:
«Bisher stützte sich die BCIs-Technologie auf Signale von gelähmten Personen, die aktiv zu sprechen versuchten. Das Stanford-Team entdeckte jedoch, dass selbst imaginäre Sprache ähnliche, wenn auch schwächere Signale im motorischen Kortex erzeugt. Mithilfe künstlicher Intelligenz übersetzten sie diese schwachen Signale mit einer Genauigkeit von bis zu 74 Prozent aus einem 125.000 Wörter umfassenden Vokabular in Wörter.»
ZeroHedge zitiert dazu Erin M. Kunz, Hauptautorin der Studie und Postdoktorandin am Neural Prosthetics Translational Laboratory der Stanford University, mit folgenden Worten:
«Wir zeichnen die Signale auf, während sie versuchen, zu sprechen, und übersetzen diese neuronalen Signale in die Wörter, die sie sagen möchten.»
Doch dieser technologische Sprung habe bei Kritikern Alarm ausgelöst, so ZeroHedge. Sie warnten vor einer «dystopischen Zukunft, in der Ihre privaten Gedanken offengelegt werden könnten».
Nita Farahany, Professorin für Recht und Philosophie an der Duke University und Autorin des Buches «The Battle for Your Brain», hat gegenüber NPR Alarm geschlagen: «Je weiter wir diese Forschung vorantreiben, desto transparenter werden unsere Gehirne.» Farahany äußerte sich besorgt darüber, dass Technologiegiganten wie Apple, Google und Meta BCIs ausnutzen könnten, um ohne Zustimmung auf die Gedanken der Verbraucher zuzugreifen. Sie dränge auf Sicherheitsvorkehrungen wie Passwörter, um Gedanken zu schützen, die privat bleiben sollten. Und weiter:
«Wir müssen erkennen, dass dieses neue Zeitalter der Gehirntransparenz für uns wirklich ein völlig neues Terrain darstellt.»
Während die Welt auf künstliche Intelligenz fixiert sei, so ZeroHedge, stecken einige der größten Unternehmen der Tech-Branche Milliarden in BCIs. Elon Musk, der reichste Mann der Welt, habe 1,2 Milliarden Dollar für sein Unternehmen Neuralink aufgebracht, über das derzeit klinische Studien mit führenden Institutionen wie dem Barrow Neurological Institute, dem Miami Project to Cure Paralysis und der Cleveland Clinic Abu Dhabi durchgeführt würden. Und jetzt steige ein weiterer Technologietitan in den Kampf ein, und zwar OpenAI-Mitgründer Sam Altman.
So habe dieser Merge Labs gegründet, um Musks Neuralink herauszufordern. Unterstützt von OpenAIs Risikokapitalabteilung und mit 850 Millionen Dollar bewertet, strebt Merge Labs laut Financial Times eine Finanzierung von 250 Millionen Dollar an.
* Multi-Unit-Aufzeichnungen (auf Englisch: multi-unit recordings) stellen eine Methode der Neurophysiologie dar, mit der man die elektrische Aktivität mehrerer Nervenzellen gleichzeitig misst. Das Grundprinzip besteht darin, eine Elektrode (etwa einen Mikrodraht oder eine Mikroelektrode) ins Nervengewebe einzuführen. Die Elektrode erfasst dann die extrazellulären Spannungsschwankungen, die durch Aktionspotenziale mehrerer nahegelegener Neuronen entstehen. Im Gegensatz zu Single-Unit-Aufzeichnungen, bei denen versucht wird, die Aktivität eines einzelnen Neurons zu isolieren, werden bei Multi-Unit-Aufzeichnungen die kombinierten Signale mehrerer Neuronen aufgezeichnet.