Es gibt die verschiedensten Arten von Märkten: Wochenmärkte, Flohmärkte, Öko-Märkte, Lebensmittelmärkte und so weiter. Und es gibt «Wählermärkte», meint der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte und hat diesen ein aktuelles gleichnamiges Buch gewidmet.
Darin setzt er sich mit «Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik» auseinander, wie es im Untertitel heißt. Korte gehe «den Beziehungen zwischen Wählern und Politikern auf den Grund», ist auf der Buchrückseite zu lesen.
Doch zu tief geht er dabei nicht. Er bleibt weitgehend an der Oberfläche des Geschehens und sieht zumeist Kommunikationsprobleme, wenn Parteien und Wähler sich voneinander entfernen und gar nicht erst zueinander finden.
Der renommierte Politikwissenschaftler benutzt das Bild des Marktes dabei nicht im marktwirtschaftlichen Sinn als Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Er beschreibt das Wahlgeschehen dagegen als «Wochenmarkt, wie man ihn aus vielen Städten und Dörfern unseres Gemeinwesens kennt», als «Forum der Begegnung und des Austauschs».
Das Angebot an Parteien sei in den letzten Jahrzehnten überschaubar geblieben. Und die sicherheitsorientierten Wähler hätten trotz aller Krisen (oder gerade deshalb) «die Etablierten, die Bekannten, die Krisenlotsen» gewählt.
«Die pragmatischen Deutschen als wählerische Wähler sind – abweichend von vielen anderen europäischen Ländern – deutlich sicherheitsorientierter und abwägend stabilitätsorientierter.»
Korte macht gar einen «Stabilitätsfanatismus» aus. Die Gesellschaft sieht er als «Mitte-orientiert» an, weshalb er guter Dinge für die Parteien der politischen Mitte von grün und gelb über rosa bis schwarz ist.
Er stellt zwar fest, dass deren Schwäche die «Dezifit- und Protest-Partei» AfD groß mache. Aber deren Wählerpotenzial sei ausgeschöpft. Und wenn die festgestellte «Gesprächsstörung» zu den Mitte-Wählern mit einer «zuversichtlichen Zukunftserzählung» überwunden werde, könne das umgedreht werden.
Korte schreibt außerdem:
«Linksliberalismus, linke Mehrheiten sind offenbar auf absehbare Zeit in Deutschland dahin. Mitte-rechts und rechte Mehrheiten sind in der Bundesrepublik jetzt dominant.»
Zum neugegründeten «Bündnis Sahra Wagenknecht» (BSW) stellt er fest, dieser «neue Stand auf dem Wochenmarkt» habe «vor allem im Osten viel Potenzial». Dort habe die Linkspartei als «regionale Volkspartei des Ostens» ihre spezifischen Bindungswirkungen verloren.
Mit Blick auf die ostdeutschen Landtagswahlen 2024 und die erwarteten hohe Ergebnisse für die AfD erinnert der Politikwissenschaftler, dass diese Partei «viel intensiver im Westen als im Osten» gewählt wird. Die zahlenmäßigen Hauptwähler der AfD würden sich in Bayern befinden. Und:
«Die AfD ist im Westen entstanden.»
Die hohe Zustimmung im Osten erhalte sie vor allem aus Protest.
Korte meint, dass die Parteien der Mitte mit den Wählern wieder mehr reden, Nähe suchen und Vertrauen wecken und so auch «Unpopuläres populär» machen müssen. Dazu müssten auch die sozialen Wünsche der «Sicherheitsdeutschen» wieder mehr berücksichtigt werden.
Keine Rolle spielt bei ihm, was die Politikwissenschaftlerin Lea Elsässer bereits 2018 feststellte: Die politischen Entscheidungen des Deutschen Bundestages von 1980 bis 2013 wurden «systematisch zu Lasten unterer sozialer Klassen verzerrt». Es habe kein systematischer Zusammenhang zwischen den politischen Anliegen der ärmeren Bevölkerungsteile und den parlamentarischen Entscheidungen festgestellt werden können.
Die von Elsässer festgestellte «soziale Schieflage in der politischen Repräsentation» zeigt, wessen Interessen der herrschende Politikbetrieb mit dem Etikett «Demokratie» wahrnimmt und durchsetzt – und was von dem von Korte beschriebenen «Wochenmarkt Wahl» zu halten ist. Interessant ist zumindest seine Bestandsaufnahme der politischen Landschaft vor den Wahlen in Deutschland in diesem Jahr.
Der Politikwissenschaftler sieht Demokratie als «organisierte Freiheit». Wie weit es damit her ist, hat sich in der etwa dreijährigen politisch verursachten Corona-Krise gezeigt: Die Gesellschaft wurde mit Angst- und Panikmache lahmgelegt, Grundrechte missachtet und die Gesundheit von Menschen im Namen ihres Schutzes gefährdetet und geschädigt.
Das, was da geschah und bis heute geschieht, sowie die Folgen harren der Aufklärung und Aufarbeitung. Nicht erst mit veröffentlichten, freigeklagten RKI-Protokollen hat sich gezeigt, wie notwendig das ist.
Buchtipp:
Karl-Rudolf Korte: «Wählermärkte – Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik»
Campus Verlag 2024. 231 Seiten; ISBN 978-3593518350; 26 Euro
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