US-Präsident Donald Trump hat ein weiteres Kapitel in dem hundertjährigen Krieg um Palästina eröffnet: Bei einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Washington erklärte er am Dienstag, die USA wollten den Gaza-Streifen übernehmen. Die palästinensische Bevölkerung solle dazu zwangsweise umgesiedelt werden und das Gebiet dann zu einer «Riviera des Nahen Ostens» aufgebaut werden.
Die Äußerungen sorgten inzwischen für internationalen Widerspruch und Protest, so dass das US-Außenministerium sie inzwischen relativierte. Manche deuten Trumps Worte als Druckmittel gegenüber den Palästinensern und den arabischen Staaten, um sie zu Kompromissen bei der Suche nach einer Lösung des Nahost-Konflikts zu bringen.
Was auch immer der US-Präsident damit bezweckt, er setzt damit fort, dass die westlichen Mächte seit mehr als einem Jahrhundert die Region als ihr Eigentum behandeln, ohne Rücksicht auf deren Bewohner. Sie teilen sie auf nach ihren eigenen Interessen, sie sorgen für Zwietracht und fördern Israel, das derzeit einen von einem Waffenstillstand unterbrochenen Völkermord an den Palästinensern begeht.
Wer wissen will, was die Hintergründe und die Vorgeschichte des aktuellen Geschehens sind, dem sei ein kürzlich erschienenes Buch «Krieg in Nahost» der Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld empfohlen. Darin gibt sie auf 128 Seiten einen Überblick über «Geopolitik, Verwüstung, Widerstand und Aufbruch einer Region».
Sie macht darin auf die Vorgeschichte des Geschehens seit dem 7. Oktober 2023 aufmerksam, als palästinensische Gruppen aus dem Gaza-Streifen ausbrachen und Israel angriffen. Leukefeld weiß, wovon sie schreibt, ist sie doch seit 2000 als freie Korrespondentin und eine der wenigen westlichen Journalisten in der Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und der Persischen Golfregion unterwegs und berichtet von vor Ort.
Die Konflikte und Kriege im Nahen Osten haben immer eine Vorgeschichte, betont sie. Und verweist gleich zu Beginn auf Grundlegendes:
«Araber sind wie Juden auch Semiten und daher per se nicht ‹anti-semitisch›.»
Das gehört zu dem eher unterbelichteten Wissen über das Gebiet, das in Deutschland als «Naher Osten» bezeichnet und über dessen Geschichte und Entwicklung so wenig berichtet und informiert wird. Dazu gehört ebenso, dass bereits mit dem «Kreuzzügen» im 13. Jahrhundert – den «Kriegen der Barbaren», wie sie arabische Chronisten nannten – das begann, was als europäischer Kolonialismus in den folgenden Jahrhunderten bis heute blutige Spuren in der Welt hinterließ, wie die Autorin schreibt.
In ihrem Buch benennt sie, wer die Akteure in dem Konflikt seit mehr als 100 Jahren sind und welche Interessen sie verfolgen. Dazu gehören neben den europäischen Mächten und den USA insbesondere die Zionisten, deren Siedlerkolonialismus in Palästina Mustern entspricht, die schon zuvor in anderen Weltgegenden, so in Nordamerika, zu beobachten waren.
Leukefeld beschreibt die Geschichte der Region als Teil des sogenannten Fruchtbaren Halbmondes mit seinen jahrtausendealten Kulturen. Diese habe als Wiege der europäischen Zivilisation eine wichtige Rolle in den vergangenen Jahrhunderten gespielt.
Die Region habe einst eine Brückenfunktion zwischen den Kontinenten und Ländern gehabt und sei mit der alten Seidenstraße über Jahrhunderte wichtig für den Handel gewesen. In dem Buch zeichnet sie nach, wie das britische Empire nach der Region griff und den Nährboden für die bis heute anhaltenden Konflikte schuf. Und sie benennt, wie sich wiederholte, was auch in anderen Weltgegenden zu beobachten war und ist:
«Die (west-)europäischen imperialistischen und Kolonialmächte waren von ihrer vermeintlichen Überlegenheit gegenüber anderen Völkern und Staaten überzeugt und verschleierten ihre weltweite Expansion und Landnahme als ‹Mission zur Zivilisierung der Welt›.»
Das prägte auch den Zionismus, der sich in Europa in Reaktion auf den verbreiteten Antisemitismus herausbildete und nicht minder nationalistisch und kolonialistisch war. Dessen Geschichte wird in dem Buch ebenfalls beleuchtet und zugleich gezeigt, wie das zionistische Projekt der Landnahme Palästinas von den westlichen Mächten unterstützt wurde.
Wobei Leukefeld gleichfalls beschreibt, wie insbesondere London die Bevölkerungsgruppen, ob arabisch oder jüdisch, in der Region benutzte, um seine Interessen durchzusetzen. Dabei hätten die Briten den Arabern wie den zionistischen Juden jeweils Land versprochen, das ihnen nicht gehörte.
Die Autorin erinnert an das britisch-französische Sykes-Picot-Abkommen, mit dem London und Paris 1916 den Nahen Osten aufteilten und verweist ebenso auf die weithin unbekannten US-amerikanischen Untersuchungen der King-Crane-Commission 1919.
Der King-Crane-Report sei für die Pariser Friedensverhandlungen 1919 bestimmt gewesen. In ihm seien nach zweimonatigen Studien und Umfragen vor Ort Regelungen für die Region vorgeschlagen worden, die dieser ein anderes Gesicht als das heutige verliehen hätten: mit einem kurdischen Staat, einem syrisch-palästinensischen-jüdischen Staat, einem Staat Mesopotamien, einem armenischen Staat, einer Rumpf-Türkei – ohne einen eigenständigen jüdischen Staat.
Doch Paris und London hätten die US-Kommission nicht nur mit medialer Hetze begleitet und zu verhindern versucht. Ihre Ergebnisse seien bei den Pariser Verhandlungen ignoriert worden, so Leukefeld. Damit habe sich die französisch-britische Teilung der Region, einschließlich eines eigenständigen jüdischen Staates, durchgesetzt.
Das Buch vollzieht die Zerteilung Palästinas nach, erinnert an die erste Vertreibung der Palästinenser – die «Nakba» – und wie das arabische Land in den Staat Israel «verwandelt» wurde. Auch die Rolle der UNO und ihrer mehr als 200 bisher folgenlosen und von Israel ignorierten Resolutionen zu dem Konflikt wird beschrieben.
Die Autorin blickt über diesen hinaus und erinnert ebenso an die Intervention, Krisen, verdeckten Operationen und Kriege, mit dem der Westen und vor allem dessen neue führende Macht USA nach dem Zweiten Weltkrieg die arabische Welt überzogen. Sie schreibt dazu:
«Seit mehr als 100 Jahren gehören Vertreibung und die Zerstörung von Lebensgrundlagen sowie ziviler Infrastruktur zu den Werkzeugen, mit denen Staaten im Nahen und Mittleren Osten sich Land aneignen wollen, das ihnen nicht gehört.»
Der Staat Israel habe dabei die Vertreibung der Palästinenser systematisiert, stellt sie fest. Mit dem Vernichtungskrieg seit Oktober 2023 hat er das auf die Sptize getrieben, assistiert von den USA und auch von Deutschland.
Die Bevölkerung der Region, ob als Akteur, ob als Flüchtling oder als Stellvertreter-Regierung, sei «gefangen im Netz der Geopolitik», so die Nahost-Korrespondentin. Dieses werde bestimmt zum einen vom westlichen Block der alten Kolonialmächte und andererseits vom Block des Ostens und Südens mit Russland, China und den einstigen Kolonien. Dabei hätten die USA rund um die arabische Halbinsel Militärstützpunkte platziert, um die Seewege und Handelsrouten, vor allem den Öltransport, kontrollieren zu können.
Für Millionen Menschen in der arabischen Welt zähle ein Leben auf der Flucht zu den Folgen. Das führe in der Region zu weiteren Spannungen und Konflikten:
«Die Elenden schlagen sich mit den Elenden um Arbeit, um Wohnungen, um Geldgeschenke, um Almosen.»
Die Autorin erinnert in ihrem Buch unter anderem an das Beispiel Syrien, das nun mit Hilfe von Islamisten endgültig neoliberal ausgeplündert werden soll. Während sie auf die Interessen der verschiedenen geopolitischen Akteure eingeht, bleiben leider die Interessen und Motive der zerstrittenen arabischen Staaten unterbelichtet.
Diese beziehungsweise ihre führenden Kreise sind weit mehr als nur die Opfer der geopolitischen Interessen und Machenschaften externer Kräfte. Diesen bieten den innerarabischen Verwerfungen und Konflikten den Nährboden, um Kontrolle und Macht im eigenen Interesse über die Region auszuüben.
Karin Leukefeld beschreibt den Gang der Ereignisse bis heute, die Fortsetzung des zionistischen Projekts, einschließlich des Auftritts des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im September 2023 vor der UN-Vollversammlung. Dabei zeigte dieser eine Karte des «Neuen Nahen Ostens», auf der es kein Palästina mehr gab.
Ebenso geht sie auf den gegenwärtigen Vernichtungskrieg Israels ein, das den Gaza-Streifen bereits seit 2007 komplett blockierte. Sie beschreibt das Geschehen vom 7. Oktober 2023 einschließlich der konkreten Vorgeschichte:
«Für viele in der arabischen Welt war der Angriff ein ‹Ausbruch aus dem Gaza-Gefängnis›. Wunsch und Hoffnung auf Freiheit und Rückkehr in ihre Heimat Palästina waren bei den Palästinensern stärker als die Angst vor der militärischen Reaktion Israels.»
Zu den Ursachen zählt sie die sich seit Jahren verschlechterten Lebensverhältnisse für die Palästinenser und die anhaltenden Provokationen vor allem der israelischen Siedler, aber auch der Armee. Die Angriffe, Repressionen und Verletzungen des internationalen Rechts durch Israel seinen von Politik und Medien in den westlichen Staaten kaum zur Kenntnis genommen worden.
Der Krieg um Gaza und Palästina ist aus Sicht der Autorin «ein Krieg um die Kontrolle der gesamten Region». Bisher kenne der Krieg nur Verlierer, schreibt sie in ihrem Ausblick, wozu vor allem die Charta der Vereinten Nationen und deren Ziel gehöre, Krieg zu vermeiden.
Ihre Frage, ob es Frieden in den Ländern zwischen der Levante und der Persischen Golfregion geben kann, lässt sie ohne Antwort in ihrem Buch. Sie sieht es als Beitrag dazu, auch in Deutschland über Palästina und «die deutschen und europäischen, die US- und die israelischen Kolonial- und Kriegsverbrechen» in der Region zu sprechen.
Dem ist nichts hinzuzufügen, auch nicht dem damit verbundenen Anspruch:
«Damit diese sich nie wiederholen. Nirgends.»
Karin Leukefeld: «Krieg in Nahost – Geopolitik, Verwüstung, Widerstand und Aufbruch einer Region»; Verlag Hintergrund, Buchreihe WISSEN KOMPAKT 2025. 128 Seiten; ISBN 978-3-910568-15-0; 14,90 Euro
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